Das junge Dortmunder Team will dank zahlreicher Neuzugänge dem FC Bayern in dieser Saison im Meisterschaftskampf gefährlich werden.Bild: IMAGO / Kirchner-Media
Analyse
Die Saisonvorbereitung von Borussia Dortmund hätte so ruhig und fokussiert auf die neue Bundesliga-Spielzeit laufen können. Schon im Februar fing die Umsetzung der Planung an. Da verpflichtete der BVB zur großen Überraschung vieler Niklas Süle ablösefrei vom FC Bayern.
Der Innenverteidiger zog einen Wechsel nach Dortmund einer Vertragsverlängerung in München vor. Am 6. Juli sollten die Transferaktivitäten dann eigentlich abgeschlossen sein. Mit Sébastien Haller hatte der neue Sportdirektor, Sebastian Kehl, den Wunschnachfolger für Erling Haaland (wechselte zu Manchester City) gefunden.
Zwischen den Verpflichtungen von Süle und Haller unterschrieben noch Karim Adeyemi, Nico Schlotterbeck und Salih Özcan beim BVB – für viele Fans galt die erste Transferperiode von Kehl als Erfolg. Der Dortmunder Kader war knapp zehn Tage nach dem Trainingsstart vollständig und eine optimale Vorbereitung unter Neu-Trainer Edin Terzic hätte starten können.
Eigentlich.
Doch die schockierende Tumor-Diagnose bei Haller setzte der Dortmunder Euphorie frühzeitig ein Ende.
Sebastién Haller sollte eigentlich beim BVB den abgewanderten Erling Haaland ersetzen. Bild: IMAGO / Kirchner-Media / IMAGO / Kirchner-Media
Die unerwartete und unvorhersehbare Nachricht stellt nun Sportdirektor Kehl wenige Tage vor Bundesliga-Start vor eine schwere Aufgabe: Viel Geld haben die Dortmunder nicht mehr zur Verfügung. Dennoch soll noch ein Stürmer verpflichtet werden, der eine ähnliche Spielweise wie Haller aufweist: groß, kopfballstark und technisch versiert.
Dabei ist die Stürmersuche nicht die einzige Baustelle, die sich der neu geformten Mannschaft stellt. Das Team muss sich noch einspielen und an den Abläufen arbeiten. Deshalb warnte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bereits Ende Mai bei Sky: "Wir müssen so einer Mannschaft jetzt auch mal die Zeit geben. Wenn sechs, sieben neue Spieler dazu kommen, das braucht dann seine Zeit."
BVB: Erfahrung verloren, jugendliche Power gewonnen
Hinzukommt, dass der BVB durch die jungen Zugänge und die Abgänge von Routiniers wie Axel Witsel, Roman Bürki und Marwin Hitz sein Durchschnittsalter um mehr als ein Jahr gesenkt hat. Die Spieler sind durchschnittlich laut "Spiegel" nun 24,03 Jahre alt. In der Bundesliga stellt nur der VfB Stuttgart einen noch jüngeren Kader (22,61).
"Die Frage nach der Meisterschaft darf aber auch gern mal in Leipzig oder Leverkusen gestellt werden."
BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl
Auch deshalb ordnete Kehl in einem "Kicker"-Interview ein: "Alle unsere jungen Spieler sind sehr ambitioniert, bringen schon ein gesundes Selbstbewusstsein mit, stehen aber teils noch am Anfang ihrer Karriere." Das beinhaltet auch: Leistungsschwankungen. Die gab es in der Saisonvorbereitung.
Während zunächst drei ungefährdete Siege gegen unterklassige Mannschaften wie Lünen (3:1), Dresden (2:0) und Verl (5:0) eingefahren wurden, gab es Niederlagen gegen Valencia (1:3) und Villarreal (0:2). Im Pokal gewann der BVB dann wieder souverän gegen Drittligist 1860 München 3:0.
Trotzdem sind es meist die Dortmunder, auf denen die Hoffnungen ruhen, die zehn Jahre lange Meisterserie des FC Bayern zu stoppen. Schmunzelnd sagt BVB-Sportdirektor Kehl im Interview mit "Welt": "Die Frage nach der Meisterschaft darf aber auch gern mal in Leipzig oder Leverkusen gestellt werden." Die Verantwortlichen versuchen, den Druck so gering wie möglich zu halten. Denn in der Außenwahrnehmung könnte sonst ein 2. Platz bereits als nicht zufriedenstellende Saison verstanden werden.
Die jungen Spieler hingegen formulieren die Ziele selbstbewusst. "Eine Serie von zehn Jahren zu stoppen, wäre etwas Unglaubliches für Borussia Dortmund und mich persönlich. Deshalb greifen wir nächste Saison wieder an", sagte der erst 19-jährige Jude Bellingham, der als absoluter Leistungsträger gilt, während einer Medienrunde bereits am Ende der vergangenen Saison.
Edin Terzic kämpft in Dortmund gegen den Jürgen-Klopp-Komplex
Neben neuen Spielern und einem neuen Sportdirektor hat Dortmund auch einen neuen Trainer. Mit Edin Terzić startet ein Dortmunder Eigengewächs als Chefcoach in die Spielzeit. Schon in der Saison 2020/21 übernahm er interimsweise nach der Entlassung von Lucien Favre, führte den BVB noch in die Champions League und gewann den DFB-Pokal.
Zwischen 2010 und 2013 war Terzić Scout und Jugendtrainer in Dortmund, den Pokalsieg 2012 feierte er als Fan in der Kurve mit. Nach Stationen bei Besiktas Istanbul und West Ham kehrte er 2018 zurück. "Edin hat gegenüber Marco (Rose, d. Red.) und jedem anderen Trainer den großen Vorteil, dass er den Verein wie seine Westentasche kennt. Und er hat den Vorteil, dass er sich als Teil des Vereins sieht, was ein Trainer in der Regel sonst nicht macht, weil er von außen kommt", erklärte Watzke gegenüber "Bild am Sonntag".
Edin Terzić startet in seine erste vollständige Saison als Cheftrainer beim BVB.Bild: IMAGO / Kirchner-Media / IMAGO / Kirchner-Media
Damit könnte Terzić der Hoffnungsträger sein, der es wieder schafft, die Fans mitzunehmen und zu emotionalisieren, den Umbruch zu moderieren und ein Team zu formen und letztlich auch wieder Titel holen. Durch seine menschliche Art und eine erfolgreiche Zeit könnte er das Nachtrauern hinter Jürgen Klopp, dem viele BVB-Fans noch immer anhängen, beenden.
Klopp verließ Dortmund bereits 2015, baute den BVB aber ab 2008 neu auf. Die Borussia führte er zu zwei Meisterschaften, einem DFB-Pokalsieg und ins Champions-League-Finale 2013. Er war bei den Fans beliebt und gleichzeitig erfolgreich.
Terzic holt die BVB-Anhänger Fans vor der Saison ins Boot
Seitdem konnte kein Trainer mehr so lange in Dortmund bleiben und in der Kombination aus Fan-Nähe und sportlichem Erfolg überzeugen. Entweder war eine gemeinsame menschliche Basis zwischen Trainer und BVB-Verantwortlichen nicht gegeben – wie offenbar bei Thomas Tuchel. Oder der langfristige sportliche Erfolg blieb aus. Hier kommen Peter Bosz, Lucien Favre und Marco Rose ins Spiel. Dass die Trainer nach Klopp immer in dessen Schatten standen, glaubt Kehl nicht. Zumindest nicht innerhalb des Vereins.
Der Sportdirektor räumte aber im "Welt"-Interview ein:
"Es ist schwer, dieses sehnsüchtige Gefühl, das Jürgen bei den Menschen hier hinterlassen hat, aus dem Kopf zu bekommen. Aber es wird Zeit, dass man die Vergangenheit hinter sich lässt, wenn es denn um die Ausgestaltung der Zukunft geht. Wir versuchen ja, jedem Trainer die Chance zu geben, hier eine neue und vor allem seine Geschichte zu schreiben."
Die Dortmunder Hoffnung existiert, dass Terzić diese Geschichte schreiben könnte. Beim BVB-Familientag am 31. Juli wandte sich der Trainer über das Stadionmikrofon direkt an die Fans: "Elf Borussen werden nicht reichen, um die großen Ziele zu erreichen, auch nicht 28 im Kader. Wir brauchen jeden Mitarbeiter, wir brauchen euch und eure Unterstützung, um die großen Ziele zu erreichen."
Nachdem er von lautem Applaus unterbrochen wurde, fügte der 39-Jährige hinzu: "Noch sechsmal schlafen, dann spielen wir hier im schönsten Stadion der Welt. Lasst es uns zum lautesten der Welt machen."
Solche Aussagen fördern die Bindung mit den Fans so kurz vor dem Bundesligastart am kommenden Samstag gegen Leverkusen. Sein Dortmunder Hintergrund wird dabei helfen, bei den Anhängern gut anzukommen. Dazu kommt der sportliche Erfolg, den er in seiner kurzen Zeit als Interimstrainer mit dem DFB-Pokal bereits gefeiert hat und den es jetzt zu bestätigen gilt.
Eigentlich also optimale Bedingungen für eine erfolgreiche und titelreiche Saison. Wäre da nicht der zehnmalige Serienmeister aus München.
Der Erfolg des FC Bayern in der bisherigen Saison ist auch unmittelbar mit einem Namen verbunden: Joshua Kimmich. Der Sechser ist seit Jahren beim Rekordmeister gesetzt, litt jedoch seit Längerem unter einem Formtief.