Selbst, wenn man es mit aller Macht versucht hätte, hätte man diesem Phänomen in den vergangenen vier Wochen nicht aus dem Weg gehen können. Und nein, es geht nicht um die Fußball-EM in Deutschland an sich. Sondern viel mehr um Tausende in orange gekleidete Niederländer:innen, die von "links naar rechts" hüpfen und zum Stadion marschieren.
Beim Halbfinale gegen England am Mittwochabend in Dortmund waren es dann so viele, wie im ganzen Turnier nicht, schließlich hatten die Oranje-Fans auch einen kurzen Anreiseweg. An der Grenze kurz hinter Arnheim meldete die niederländische Verkehrsbehörde bereits um 11 Uhr mittags einen Stau von 4,7 Kilometern.
Doch das ganze Spektakel hat nun ein Ende gefunden. Denn durch die 1:2-Niederlage gegen England stehen nicht die Niederlande, sondern die Three Lions im EM-Finale – zum zweiten Mal in Folge.
watson war beim Spiel vor Ort und zeigt dir, was du bei den TV-Übertragungen in der ARD und bei MagentaTV nicht gesehen hast.
Orange is the new Schwarz-Gelb in Dortmund: zumindest galt das am Mittwoch. Nachdem die niederländischen Fans bei diesem Turnier bereits Berlin, München, Hamburg und Leipzig in ein Heimspiel verwandelt hatten, setzten sie in Dortmund nochmal einen drauf: Laut Verbandsangaben waren 110.000 Niederlande-Fans in Dortmund.
Das war im Stadtbild deutlich zu erkennen: Irgendwas leuchtete immer orange.
Und nicht, dass sie es nötig gehabt hätten, aber sie hatten die Unterstützung zahlreicher deutscher Fans sicher. Immer wieder gab es Schulterklopfer und ein paar nette Worte auf Niederländisch für das Tragen eines orangen Trikot. Wenn aufgrund der kleinen Sprachbarriere verwirrte Blicke die Folge waren, wurde sich einfach kurz zugejubelt oder abgeklatscht. Die niederländische Botschaft fasste das bereits vor dem Viertelfinale gegen die Türkei auf X zusammen.
Um das Heimspiel auch wirklich perfekt zu machen, wurden die niederländischen Fans am Dortmunder Hauptbahnhof von einer Blaskapelle empfangen. Die "Musiciens du boeremoes" aus einem kleinen Ort zwischen Eindhoven und Nijmegen wollten ihr erste EM-Spiel nicht ohne ihre Instrumente begleiten.
Spätestens, als sie dann noch "God Save the King" anstimmten, hatten sie auch die Sympathien der englischen Anhänger:innen. Die niederländischen Fans sind die absoluten Gewinner des Turniers und hätten einen eigenen Titel verdient.
Im Stadion ging das Duell hingegen an die englischen Fans, die ihre Mannschaft euphorisch und lautstark bejubelten. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass sie im bisherigen Turnierverlauf noch nie so viele Torchancen ihres Teams in einem Spiel gesehen hatten.
Diese Menschenmassen hinterlassen jedoch auch jede Menge Müll. Vor allem leere Bierdosen und Bierflaschen. Denn, und das soll hier nicht unerwähnt bleiben: auch viel englische Fans waren in Dortmund unterwegs. Auf dem circa 2,5 Kilometer langen Fußweg vom Hauptbahnhof zum Stadion war jede Bar und jedes Restaurant restlos überfüllt. Weil der Gehweg auch zugestellt war, wurde teilweise der Radweg zum Fußgängerweg.
Das bedeutete jedoch auch jede Menge Arbeit für die Dortmunder Stadtreinigung, die auch rund eine Stunde, nachdem der Fanmarsch weitergezogen war, waren sie noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt.
Über Fußball wurde dann auch noch gesprochen. Kurz vor Beginn der Übertragung bei MagentaTV stattete Ex-Bundesliga-Profi Nigel de Jong dem Team um Moderator Johannes B. Kern, 2014er-Weltmeister Benedikt Höwedes und Ex-Bayern-Star Owen Hargreaves einen kurzen Besuch ab.
Der 81-fache niederländische Nationalspieler begrüßte zunächst nur seinen beiden ehemaligen Profi-Kollegen, unterhielt sich gut fünf Minuten mit ihnen. Kerner stand allein unter seinem Regenschirm etwas abseits des Trios, wurde abgepudert und schaute dem Gespräch zu. Erst kurz bevor de Jong, der seit Januar 2023 Sportdirektor des Verbands ist, die Runde wieder verließ, begrüßte er auch den MagentaTV-Moderator per Handschlag.
Vor jeder Partie bei dieser Europameisterschaft vollzieht die Uefa eine Eröffnungszeremonie. Englands Trainer Gareth Southgate hatte auf diese Spielerei aber wohl weniger Lust.
Denn während die Volunteers ihre Choreografie abspulten, machte der englische Nationaltrainer einige Schritte auf das Feld und applaudierte in Richtung der englischen Fans, um sich für die Unterstützung zu bedanken.
"Diese Hingabe und das Geld, das sie für ihre Reisen ausgeben, ist unglaublich. Wenn ich nicht auf dem Platz stehen würde, würde ich genauso wie sie feiern", sagte der Trainer auf der Pressekonferenz.
Eigentlich war es bei dieser EM bisher üblich, dass Fans auf das Spielfeld rennen oder, wie am Dienstagabend, den Jubel der Spanier stürmen.
Englands Torhüter Jordan Pickford, so etwas wie der Fan, der es ins Tor geschafft hat, drehte den Spieß mit Schlusspfiff einfach um. Der Torhüter, der bei Anhänger:innen Kultstatus genießt, wurde schon beim Warmmachen bejubelt und schlug sich als Dank in Richtung Fans mit der Faust auf die Brust.
Beim Schlusspfiff brachen dann alle Dämme.
Pickford stürmte nicht zu seinen Teamkollegen, sondern direkt in die Arme der englischen Fans hinter seinem Tor, die natürlich fast alle kein T-Shirt mehr trugen.