Gesenkte Köpfe, bloß kein Blickkontakt mit den nach Erklärungen dürstenden Journalist:innen, einfach möglichst schnell in die Kabine. Nein, die Stimmung bei den Profis des FC Barcelona war am Dienstagabend wahrlich keine gute. Gerade hatten sie in der Champions League überraschend mit 0:1 gegen Shakhtar Donezk verloren und damit den vorzeitigen Einzug ins Achtelfinale verpasst.
Wegen des Kriegs in der Ukraine fand das Spiel nicht in Donezk, sondern in Hamburg statt. Entsprechend viele deutsche Medienschaffende waren vor Ort, hofften auf Antworten von den DFB-Stars Marc-André ter Stegen und İlkay Gündoğan, vom langjährigen Bundesliga-Knipser Robert Lewandowski oder vom früheren Gladbach-Verteidiger Andreas Christensen. Sprechen wollte aber keiner von ihnen. Zumindest nicht auf Deutsch. Oder nicht mit der Presse.
Christensen huschte frisch geduscht direkt in den Teambus, Gündoğan tauschte sich am Rande lediglich mit HSV-Vorstand Jonas Boldt aus, Zuhören war explizit unerwünscht. Lewandowski tauchte kurzzeitig an einem Seiteneingang auf, um zwei polnische Fragen zu beantworten. Einzig ter Stegen nahm sich etwas mehr Zeit, antwortete dabei ausschließlich auf Spanisch.
"Wir sind wütend auf uns selbst. Das darf uns nicht passieren", unterstrich der deutsche Nationaltorhüter mit seiner Wortwahl, wie angefressen er war. Trainer Xavi sollte auf der Pressekonferenz ähnliche Worte finden: "Wir reisen wütend ab, haben zwei schlechte Spiele hinter uns."
Schon in der Liga hatten die Katalanen gegen Real Sociedad eine dürftige Leistung geboten. Ter Stegen musste mehrfach retten, in der Nachspielzeit war Ronald Araújo der Lucky Punch zum 1:0-Sieg geglückt. Xavi sieht daher "mentale Probleme" sowie eine Blockade: "Wir sind in einem Tief."
Das genaue Gegenteil erlebt derzeit Noah Darvich. Der Nationalspieler weilt mit dem DFB-Team bei der U17-Weltmeisterschaft in Indonesien, gilt dort als eines der vielversprechendsten Talente. Mit seinen Mitspielern hat Darvich im Sommer bereits die U17-Europameisterschaft gewonnen, war dabei Kapitän. Jetzt soll der nächste Titel her.
Der Triumph im kontinentalen Vergleich war für den offensiven Mittelfeldspieler, der momentan als eines der größten Versprechen des deutschen Fußballs gilt, aber nicht das einzige Highlight während des Sommers. Vom SC Freiburg, bei dem er im Alter von zehn Jahren gelandet war, wechselte Darvich zum FC Barcelona. In dessen legendäre Jugendakademie, La Masia.
Lionel Messi, Andrés Iniesta, Xavi, Pep Guardiola: Die Liste der bei Barça ausgebildeten Stars ist lang. Die vier genannten waren bei ihrer Verpflichtung aber Schnäppchen, zumindest im Vergleich zu Darvich. Für den bei seinem Transfer noch 16-Jährigen überwiesen die Katalanen 2,5 Millionen Euro, die Ablöse kann sich durch Bonuszahlungen noch verdoppeln.
In noch höheren Sphären bewegt sich indes die Ausstiegsklausel, die ihm der Klub aufgrund arbeitsrechtlicher Bedingungen in den Vertrag geschrieben hat. Wer die deutsche Offensivhoffnung kaufen will, muss eine Milliarde Euro nach Barcelona überweisen.
Kein Wunder also, dass Darvich unter besonderer Beobachtung steht. Als Barças U19 in Norderstedt gegen den Nachwuchs aus Donezk spielte, wäre der Fokus wohl ganz besonders groß gewesen. Da weilte der 17-Jährige wegen der WM aber schon nicht mehr bei seinem Klub.
"Natürlich wollen einige Spieler bei der Nationalmannschaft dabei sein, was es uns schwer gemacht hat, eine Mannschaft zu formen", sagte Óscar López, Trainer von Barcelonas Nachwuchsteam, nach der Partie im Gespräch mit watson. Er dachte dabei an Darvich, aber auch an einige spanische Talente, die auf Reisen sind.
In Norderstedt durfte zum Teil ein noch jüngerer Jahrgang ran, der Coach brachte etwa zwei 15-Jährige. Die erledigten den Job aber mit Bravour, setzten sich mit 3:0 gegen die Ukrainer durch. Im Hinspiel hatte es einen 2:0-Erfolg gegeben, zu dem Darvich mit seinem ersten FCB-Tor beigetragen hatte.
"Er hat gute Voraussetzungen, ist jung und muss sich im Team beweisen", sprach López über seinen Schützling. Gewisse Anpassungsprobleme erkannte er beim deutschen Youngster aber auch: "Es ist nicht leicht, von außen reinzukommen. Er braucht Zeit, um unser Spielkonzept richtig zu verstehen."
Darvich kommt zwar aus der Freiburger Fußballschule, die in den letzten Jahren mit hervorragender Arbeit aufgefallen ist, "Tiki-Taka" steht dort aber eben noch nicht auf dem Programm. Wie in anderen Nachwuchsabteilungen auch, in denen sich Barça bedient.
López weiß also, wie mit jungen Spielern umzugehen ist, die neu in La Masia sind. "Es ist sehr schwer, hierherzukommen und die Philosophie zu verstehen. Es gibt viele Spieler, die dafür Jahre brauchen. Es ist kompliziert, aber er hat keinen Druck", erklärte der Trainer.
Entscheidend sei es, geduldig mit dem Spieler zu sein. Und das ist López im Falle Darvichs. Wobei der Deutsche auch ein gewisses Entgegenkommen zeigt: "Er hat eine gute Auffassungsgabe."
Dass ihn dies in absehbarer Zeit in die erste Mannschaft spült, ist keineswegs ausgeschlossen. Der FC Barcelona ist nämlich nicht nur für die Ausbildung junger Spieler bekannt, sondern auch dafür, ihnen eine Chance im Profiteam zu geben.
So spielten diese Saison mit Lamine Yamal (16) und Marc Guiu (17) schon zwei Talente oben mit, die auch in der Youth League zum Einsatz kommen könnten. Der Weg ist also geebnet, die passenden Schuhe trägt Darvich an den Füßen und die ersten Meter hat er bereits zurückgelegt. Jetzt bedarf es nur noch der Standhaftigkeit, um bis zum Ziel durchzuziehen.