Man konnte den Sieg hören. Rufe, Trommeln und Klatschen setzten ein, noch bevor die Schlusssirene verstummte. Dazu mischte sich die Stimme von Sänger Campino. Und der Wunsch nach Unendlichkeit, "an Tagen wie diesen".
Hamburg-Wilhelmsburg, die ersten vier Viertel liegen nun hinter ihnen. Deutschlands Basketballerinnen haben im EM-Auftaktspiel mit 89:76 (44:27) gegen Schweden gewonnen. Minutenlang ließen sie sich feiern. Von einer ausverkauften Halle, 3414 Fans, darunter Stars und Sternchen aus Sport und Politik.
Die 3x3-Olympiasiegerinnen Svenja Brunckhorst , Sonja Greinacher, Marie Reichert und Sport-Staatsministerin Christiane Schenderlein waren ebenso gekommen wie Basketball-Ikone Dirk Nowitzki, der am Abend seines 47. Geburtstags viele Hände schüttelte. Die von Ingo Weiss, Präsident des Deutschen Basketball Bunds (DBB), und die der deutschen Korbwerferinnen.
"Es war voll cool, dass er da war und uns hier supportet", sagte Leonie Fiebich nach Spielende. Nicht nur sie, auch Luisa Geiselöder und Emily Bessoir, waren froh. Über das große Interesse an ihrer Sportart und jeden reservierten Sitzplatz in der Inselpark Arena, dem Wohnzimmer der Hamburg Towers, "einer eher kleinen Halle".
Es waren diese Worte, formuliert von Fiebich, gerichtet an den Verband, die vor EM-Start die Runde machten. Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erhob sie Vorwürfe gegen den DBB, die EM sei "nicht genug promotet" worden.
Konkret bezog sie sich auf den Standort, an dem Deutschland, Schweden, Spanien und Großbritannien ihre Gruppenspiele austragen und um den Einzug ins Viertelfinale kämpfen.
Die Halle ist zu klein, die Nachfrage doch viel größer. Immerhin habe Fiebich gehört, "dass viele Menschen noch Tickets wollen, aber alle ausverkauft sind. Da hätte man vielleicht anders planen können", sagte sie. Vielleicht einen Umzug in die Barclays Arena wagen können, dort, wo sonst der HSV Handball spielt. Aber der DBB scheute offenbar das Risiko, die 15.000 Tickets nicht verkauft zu bekommen.
"Aber gut, das ist jetzt so", sagte Emily Bessoir nach Abpfiff. "Eine ausverkaufte Halle ist super, egal wie." Und dennoch: "Gerade mit Blick auf die WM 2026 könnte man gucken, was der Frauenbasketball in Deutschland so auslöst."
Es ist Donnerstag, der 19. Juni, 13.25 Uhr. Über den 14 Gleisen am Hamburger Hauptbahnhof sucht man vergeblich nach dem Gesicht von Emily Bessoir. Stattdessen findet man Mats Hummels, Weltmeister von 2014 und Fußball-Rentner, auf einer meterlangen Werbeanzeige, abgelichtet mit Kopfhörern, inklusive Noise-Cancelling, versteht sich.
Dass die Hafenstadt, neben Piräus in Griechenland, Brünn in Tschechien und Bologna in Italien, Austragungsort der Basketball-EM der Frauen ist, verspürt man hier nicht. Also geht die Suche weiter, nur ein paar Meter vom Nah- und Fernverkehr entfernt: die Touristen-Information.
Hinter einer Plexiglasscheibe steht ein Mitarbeiter, braune Augen, Brille, Drei-Tage-Bart, auch auf dem Kopf. Ob er wisse, dass in Wilhelmsburg heute auf höchstem Niveau Basketball gespielt wird. "Klar", sagt er, schließlich sei das sein Job. Zeitung lesen, Newsportale durchforsten, Hamburger Abendblatt, Medien, die über die EM berichten und so.
Er sagt das mit einer Selbstverständlichkeit, die überrascht. Immerhin deutet in dem Laden nichts daraufhin. Keine Plakate oder Banner, nur Flyer von Museen, Musicals, König der Löwen, Michael Jackson, Harry Potter und vom Hamburger Dungeon, ein beliebtes Gruselkabinett. Warum keine Broschüre zum Turnier? "Wenn der Veranstalter uns nichts schickt, können wir auch nichts ausstellen", sagt der Mitarbeiter nüchtern.
14.17 Uhr, Besuch einer Freundin in Hamburg-Stellingen, unweit vom Volksparkstadion in Altona. Seit sechs Jahren wohnt sie in Hamburg, zum Studieren ist sie hergezogen, Lehramt. An ihrer Schule habe sie von der EM nichts mitbekommen, auch nicht auf St. Pauli, in der Halle ihres Handballvereins. Eigentlich nirgendwo, nicht in der Innenstadt, nicht in Harburg. Überall sehe sie nur Heidi Klum, posierend im Bikini für Calzedonia.
Tatsächlich war es sogar ihr Vater, der sie auf das Turnier aufmerksam machte. Aus Wismar, einer Stadt in Mecklenburg-Vorpommern und ihre Heimat, erreichte sie ein Anruf. Ihr Vater wollte wissen, ob sie Karten hat. Die Spiele der deutschen Frauen? Zu dem Zeitpunkt schon ausverkauft.
17.07 Uhr, an der S-Bahnstation Hammerbrook leert sich die S5. "Hier keine Weiterfahrt", ertönt es aus den Lautsprechern. Der Grund: Menschen auf den Gleisen, Verdacht auf Suizid. Ich setze mich ins Uber neben Sayed, grauer Ziegenbart, müde Augen.
Seit mehr als 20 Jahren kutschiert er Leute durch die Stadt, heute ist sein erster Arbeitstag nach dem Heimatbesuch in Afghanistan. Schlimm sei es, was dort passiert, einmischen wolle er sich aber nicht. "Ich kann die Welt nicht retten", sagt er. Aber Sport, das sei gut. "Sport lenkt ab."
Sayed hat vier Kinder, zwei Töchter, zwei Söhne. Die Söhne spielen Playstation, sind faul, sagt er. Die Mädchen hingegen fleißig, eine spielt Volleyball, die größere Basketball. Er selbst war Ringer.
Weil er vier Wochen nicht in Hamburg war, wisse er nichts von der EM, sagt er. Auch nicht von seiner Tochter, die Basketball spielt.
An der Straße, die zur Inselpark Arena führt, setzen sich zum allerersten Mal an diesem Tag Trikots in Bewegung. Getragen werden sie von Fans, Jung und Alt, von Matheo, sieben Jahre, und Angela, 61 Jahre. In Rot und weiß, die Farben der Nationalmannschaft. Vereinzelt sieht man bemalte Kinderwangen, Streifen, in schwarz-rot-gold. Auch auf Schals und Tröten. Alles Mitbringsel von zu Hause.
Vor der Halle macht der Veranstalter nicht auf sich aufmerksam. In einer Fanzone, die laut dem DBB "Spiel, Spaß und Action" versprechen soll, werden Schuhe geputzt, und Sachen verschenkt, darunter Popcorn und Socken.
"Dare to dream" – von dem Motto der Europameisterschaft, liest man auf Hamburgs Straßen nichts. Dafür spürt man es drinnen. Ein Indiz sind die Fans, die ihre Trikots tragen. Und Dirk Nowitzki, auf dessen Unterstützung sie setzen können.
Großes Wagen, großes Träumen, das glaubt man vor allem den Spielerinnen. Und ihren Augen nach dem gewonnenen Spiel. Sie leuchten. Manche heller als die Scheinwerfer unter dem Dach der eher kleinen Inselpark Arena.