
Um "Schneewittchen" brennt ein Kulturkrieg, der desaströse Auswirkungen haben könnte.Bild: Disney
Meinung
Rechtskonservative Kreise vereinnahmen die vermeintliche Box-Office-Niederlage von "Schneewittchen" als Triumph über die "Woke"-Kultur. Warum man das (gerade jetzt) nicht hinnehmen darf.
25.03.2025, 16:3925.03.2025, 16:39
Am Wochenende nach dem Kinostart von "Schneewittchen" bekam ich bei X die "perfekte Snow White" in die Timeline gespült. Das offensichtlich KI-generierte Bild zeigte eine fotorealistische junge Frau mit weißer Haut, rosigen Wangen, blutroten Lippen und pechschwarzen Haaren. Es war eine der harmloseren Attacken auf Rachel Zegler.
Wer sich die Hauptdarstellerin des neuen "Schneewittchen"-Films anschaut, würde kaum auf die Idee kommen, dass ihr Aussehen derartige Reaktionen auslöst. Rachel Zegler ist, wenn man so will, normschön. Sie ist schlank, großäugig, jung. In die Schablone der Schneewittchen-Figur fügt sie sich widerstandslos ein.
Die Kontroverse um "Schneewittchen"
Aber sie ist eben nicht weiß, Rachel Zegler hat kolumbianische Wurzeln. Sie erfüllt entsprechend nicht den Perfektionsgrad jener Bilder, die entstehen, wenn man ChatGPT mit der Disney-Zeichentrick-Version füttert. Ein Bild aus dem Jahr 1937 – das ist der Maßstab.

Das "originale" Schneewittchen.Bild: Disney
"Schneewittchen" eignet sich perfekt als Kulturkampf-Objekt, weil die "Regeln" für ihr Aussehen scheinbar so klar definiert sind. Die Märchenfigur ist Jahrhunderte alt, aber jede:r kennt das Disney-Schneewittchen. Regeln, das sind hier eigentlich irgendwelche Ideale in den Köpfen. Aber (Rechts)Konservative lieben Regeln, Disney und Rachel Zegler haben gegen sie verstoßen.
Jetzt ist passiert, was diesen Menschen wunderbar in den Kram passt: Es läuft nicht gut für Disneys "Schneewittchen". Die vermeintliche Niederlage, so der aktuelle Triumph-Schrei, sei nun auch eine Niederlage für die Woke-Kultur. Das darf man so nicht stehen lassen.
Was Rechtskonservative sich über "Schneewittchen" erzählen
Der oben beschriebene Post stammt aus der rechtskonservativen Blue-Check-Bubble bei X, deren Reichweite seit der Übernahme der Plattform durch Elon Musk stetig wächst. Hier treffen sich Trump-Anhänger:innen, AfD-Wähler:innen, Andrew-Tate-Incels auf einer mehr oder weniger radikalen Verständigungsebene.
In den Kreisen kursieren wortgewaltige Behauptungen wie diese: "Sie haben eine toxische Feministin, Männerhasserin und Anti-Trump-Narzisstin gecastet, die keinen Bezug zur Realität hat und ein geliebtes, traditionelles Märchen in ein lahmes, wokes Propagandastück verwandelt."
Der Kontext: Rachel Zegler hatte im Vorfeld der Veröffentlichung das Disney-Original als veraltet bezeichnet und unter anderem die Liebesgeschichte kritisiert, der schöne Prinz sei eigentlich ein Stalker. Der Film zeichnet Schneewittchen nun als unabhängige Frau, die Liebesgeschichte spielt nur eine Nebenrolle.
Ansonsten würde man dem Film einen "woken" Ansatz aber gar nicht groß ansehen. Außer, man will es unbedingt.
Es wird nun wahlweise von einem "gewaltigen Flop" oder vom "größten Flop der Geschichte" geschrieben. Oder auch vom "größten Desaster in der Geschichte von Woke-Hollywood".
Was bedeutet "woke" eigentlich? "Woke" beschreibt ein Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten, insbesondere Rassismus und Diskriminierung. Ursprünglich positiv gemeint, wird der Begriff heute teils abwertend für vermeintlich übertriebene politische Korrektheit oder Aktivismus verwendet.
Man sieht hier eine Mischung aus Schadenfreude und ehrlichem Genuss von jenen, die sich schon immer im Recht gesehen haben und sich von einer vermeintlichen Niederlage ihrer fehlgeleiteten "Gegner" nun bestätigt sehen.
Der "Woke"-Ansatz wird als Grund für das schlechte Abschneiden des Films hingestellt. Mit der Realität hat all das nichts zu tun, was diese Erzählung nicht weniger gefährlich macht, später mehr dazu.
Der Woke-Flop-"Snow White": Und was ist da jetzt dran?
Zunächst zu den Box-Office-Zahlen, also den Kinoeinnahmen von "Schneewittchen" nach dem ersten Wochenende. Der Film spielte in den USA knapp über 42 Millionen Dollar ein, weltweit waren es 87,3 Millionen.
Es ist wahr: Von der Realverfilmung eines der berühmtesten Märchen, die Hollywood zur Verfügung stehen, hätte sich Disney mehr erwarten dürfen. Auch Branchenblätter wie "Variety" bewerteten das Ergebnis als "schläfrig." Aber:
Es gibt mehrere Erklärungen für das eher mittelmäßige Abschneiden.
- Die Kritiken für "Schneewittchen" sind, unabhängig von dem diversen Ansatz, ziemlich mies. Das schadet jedem Blockbuster.
- Aufgrund der politischen Diskussionen rund um den Film soll Disney-Marketing-Bemühungen zurückgefahren haben. Die Hauptdarsteller:innen Rachel Zegler und Gal Gadot vertraten beim Nahost-Konflikt gegensätzlich Postionen.
- Überhaupt wird der Film von einer chaotischen Produktionsgeschichte begleitet, was Box-Office-Ergebnisse drücken kann.
Dazu kommt: Das bislang mittelmäßige Einspielergebnis bestätigt einen Trend. Die Disney-Live-Action-Filme performen an den Kinokassen längst nicht mehr so stark wie zu Prä-Corona-Zeiten, als "The Lion King" ganz selbstverständlich die Milliarden-Grenze knackte.
Apropos "The Lion King", der Nachfolger "Mufasa: The Lion King", um den es keine Woke-Diskussion gab, hatte in den USA ein schlechteres Eröffnungswochenende als "Schneewittchen".
Und selbst wenn man sich auf diese Diskussionsebene herabbegibt: Wokes Kino ist erfolgreich. Das berühmteste Beispiel ist natürlich "Barbie", der als feministischster Blockbuster seit Menschengedenken über eine Milliarde einspielte und zu einem Popkultur-Phänomen wurde.
Warum ist diese Lüge gefährlich?
Dennoch wirkt die Erzählung, diverse, inklusive Filme würden an den Kinokassen schlechter performen. Disney und große Filmstudios haben Angst vor konservativen Fans. Auch gegen "Star Wars 8" gab es 2017 einen Woke-Shitstorm. Die asiatischstämmige Schauspielerin Kelly Marie Tran wurde nach dem Start von rassistischen Fans aus Social Media gemobbt. In dem Nachfolger "Star Wars 9" schrumpfte ihre Rolle zusammen.
Auf den 2016 mit einer frauenfeindlichen Hasswelle überzogenen "All Female-Ghostbusters"-Film reagierte das Studio ein paar Jahre später mit einem radikal nostalgischen Ansatz, der die alten Figuren zurückbrachte (und teilweise tote Schauspieler).
Dazu kommen etliche Geschichten, in denen Disney queere Storylines für konservative Märkte aus Animationsfilmen strich, etwa bei "Lightyear".
Auch Rachel Zegler weichte ihre Kritik an alten Disney-Filmen nach dem Kinostart von "Schneewittchen" auf.
Die rechten Traditionalisten, die X-Trolle gewinnen gerade. Und sie haben mächtige Unterstützung.
Hollywood-Studios fahren nach Trump-Wahl Inklusion zurück
Es stimmt: Hollywood konzentrierte sich in den vergangenen Jahren vermehrt auf die Einbindung von Minderheiten. Es gibt viel aufzuholen, aber die Filmwelt ist dennoch divers wie nie. Diese Fortschritte wurden hart erkämpft, jeder bleibt Status fragil. Minderheiten wird nichts geschenkt.
Der giftige Kulturkrieg um "Schneewittchen" spielt sich nun vor dem Hintergrund der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump ab. Am 21. Januar, dem Tag nach seiner Vereidigung, hatte Trump ein Dekret unterzeichnet, das jegliche "illegale" DEI-Bemühungen beendet. DEI steht für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion.
Es geht bei DEI darum, jene Menschen zu unterstützen, die etwa unter rassistischer oder sexueller Diskriminierung leiden. Auch große Hollywood-Studios wie Warner und Disney verschreiben sich den Zielvorgaben. Aber: "Trumps Kampagne zur Abschaffung von DEI hat Unternehmen in der gesamten Branche aufgeschreckt", schreibt der "Hollywood Reporter".
Die US-Wahl hatte darüber hinaus eine Signalwirkung an die Studios. Der Rückbau von Diversität ist in vollem Gange. In diesem Klima ist die Lüge über das erfolglose diverse Kino so gefährlich wie nie zuvor.