Und auf einmal stand Kevin Spacey wieder da, auf einer Bühne, nahm einen Preis entgegen und bedankte sich für die Auszeichnung, als sei nichts gewesen. Er sende "positive Vibes" sagte Spacey, mit dem durchdringenden, markerschütterndem Blick, den man noch aus seiner Rolle als Frank Underwood kennt, um kurz darauf Elton John zu zitieren: "I'm still standing!"
Am Rande des Filmfestivals in Cannes ist Kevin Spacey, zweifacher Oscar-Gewinner und einstiger Hollywood-Hochadel, mit einem Preis der Organisation Better World Fund bedacht worden. Ausgezeichnet wurde sein Lebenswerk. Das ist in den vergangenen Jahren erheblich angekratzt worden.
2017 erhoben mehrere Männer Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen Spacey, der die Anschuldigungen stets zurückgewiesen hat, mehr als 30 waren es insgesamt. Netflix zog Konsequenzen und trennte sich von ihm, von laufenden Projekten wurde er entlassen. Seitdem spielte er keine Rolle mehr in Hollywood.
Inzwischen wurde Spacey in zwei großen Verfahren freigesprochen, 2022 in New York, ein Jahr später in London. Der Auftritt in Cannes ist sein erster zurück im Rampenlicht. Das letzte Mal besuchte er das Festival im Jahr 2016, ein Jahr vor der #MeToo-Bewegung. Der "Guardian" nannte es einen "soft relaunch", eine sanfte Rückkehr auf die große Bühne.
Als Kevin Spacey um 23.30 Uhr die Bühne des Carlton Hotels betrat, war davon nicht viel zu sehen. "Wer hätte je gedacht, dass es eine mutige Idee ist, jemanden zu ehren, der in jedem einzelnen Gerichtssaal, den er je betreten hat, entlastet wurde", sagte Spacey. Es sei sehr schön, zurück zu sein.
Er, Spacey, so darf man den Auftritt verstehen, wurde Opfer eines verleumderischen Mobs und nimmt nun wieder den rechtmäßigen Platz ein, der ihm vor acht Jahren entrissen worden ist. Von Reue sieht man nichts.
Es ist noch gar nicht lange her, im Juni 2024, da gestand Kevin Spacey in einem großen Interview mit Piers Morgan, er sei früher "zu übergriffig" gewesen und habe "Grenzen überschritten". "Ich bin absolut 150 Prozent bereit, die Verantwortung für diese Dinge und Fehler zu übernehmen, die ich gemacht habe", sagte er.
Dass keine zwölf Monate später von dieser Selbstkritik nichts mehr zu erkennen ist, mag weniger mit seiner persönlichen Entwicklung zu tun haben als mit dem gesellschaftlichen Klima.
Denn gleichzeitig werden massenhaft Diversitätsprogramme eingestellt, die Situation für LGBTQ+-Personen wird prekärer oder, nur wenige Meter entfernt, gilt neuerdings ein prüder Dresscode beim Filmfestival von Cannes "aus Gründen des Anstands". Es weht ein neuer Wind.
Vor wenigen Wochen posierten Till Lindemann und Jérôme Boateng, beide von Vorwürfen der sexualisierten Gewalt freigesprochen, zusammen für einen Instagram-Post. Darauf zu sehen war auch eine selbsterstellte Printversion einer ntv-Kolumne, die sich mit den Vorwürfen beschäftigt. Ein Foto wie ein Statement: Es zeigt Männer, die vor Gericht freigesprochen worden sind, und die, mit dem Zeitgeist im Rücken, wieder breitbeinig das Rampenlicht suchen.
Man darf nicht vergessen: Lindemann hat nie bestritten, dass er Teil eines Systems war, das junge Frauen gezielt im Umfeld von Rammstein-Konzerten backstage führte. Und Boateng ist in einem Berufungsverfahren rechtskräftig wegen fahrlässiger Körperverletzung an seiner damaligen Partnerin verurteilt worden.
Natürlich ist es richtig, dass Menschen immer die Möglichkeit haben sollten, in der Gesellschaft rehabilitiert zu werden. Aber dieses Recht offenbart eine Leerstelle: Es gibt keine Sprache für das, was zwischen Schuld und Verantwortung liegt. Rehabilitierung ist ein Prozess und er beginnt mit Einsicht.
Wer zurückkehrt, sollte mehr tun als weitermachen. Das Problem ist nicht, dass sie zurück sind. Sondern wie.