Das neue Jahr hat bereits seinen ersten TV-Eklat und das, obwohl die Person, um die es geht, gar nicht auf Sendung war. Thilo Mischke sollte bei "ttt – titel, thesen, temperamente" als Moderator auf Max Moor folgen, doch nach heftiger Kritik ist das nun vom Tisch. Innerhalb weniger Tage hat die ARD eine Rolle rückwärts gemacht.
Während zu Thilo Mischke mittlerweile alles gesagt ist, wirkt der Sender wie ein Fähnchen im Wind. Die aktuelle Stellungnahme lässt tief blicken und wirft vor allem die Frage auf: Wer in der "ttt"-Redaktion hat sich eigentlich überhaupt mit Thilo Mischke auseinandergesetzt?
Aber von vorn. In seinem 2010 erschienenen Buch "In 80 Frauen um die Welt" geht es um die sexistische Wette, mit möglichst vielen Frauen auf der ganzen Welt zu schlafen. Auch durch rassistische Sprache fällt das Werk auf.
Später fiel Mischke weiter unangenehm auf – zum Beispiel, als er 2019 mit Caroline Rosales über deren Buch "Sexuell verfügbar" sprach. Mischke stellte im Podcast die abenteuerliche These auf, dass Frauen beim Sex nur deshalb feucht würden, weil alle anderen ohne diesen "Gendefekt" zu Tode vergewaltigt wurden. Wortwörtlich sprach er von "wegvergewaltigen".
Wenig überraschend wurde all das als Kritik vorgebracht, nachdem die ARD Thilo Mischke plötzlich als Moderator für "ttt" ankündigte. Dieser Mann sollte also durch ein Kulturmagazin führen. Die Redaktion startete einen Versuch der Deeskalation, indem bei Social Media versichert wurde: "Wir hören euch." Man kündigte "intensive Gespräche" an, um die Vorwürfe zu prüfen.
Das (vorläufige) Ergebnis wurde schon wenige Tage später verkündet. "Wir freuen uns jetzt auf Thilo Mischke und seine Sicht auf Kultur", hieß es plötzlich. Der 43-Jährige habe "sich für seine Ausdrucksweise entschuldigt" und seine journalistischen Fähigkeiten vielfach unter Beweis gestellt. Na dann!
Den jüngsten Twist hat dann kaum jemand kommen sehen. Am 4. Januar meldete sich die ARD erneut zu Wort. Thilo Mischke wird nicht als Moderator bei "ttt" eingesetzt, lautet das Update diesmal. Kein Witz. Die Social-Media-Abteilung des ÖRR ist definitiv nicht zu beneiden.
Dabei lohnt sich ein genauer Blick auf die Begründung, die dem Publikum präsentiert wird. Demnach überschatte "die in den vergangenen Tagen entstandene heftige Diskussion um die Personalie Thilo Mischke die für uns zentralen und relevanten Themen, die wir mit der Sendung und Marke 'ttt' transportieren und gemeinsam mit der Community diskutieren möchten".
Die ARD und Mischke seien sich einig darin, "dass es nun vor allem darum geht, einen weiteren Rufschaden von 'ttt' und Thilo Mischke abzuwenden". Ja, richtig gelesen: Es geht hier um das Image eines Senders und eines Moderators. Das mit den Vorwürfen – war da was?
Geradezu kurios wird nun den kritischen Stimmen der vergangenen Tage – unter anderem unterzeichneten mehr als 100 Kulturschaffende einen offenen Brief – die Schuld an der verhinderten "ttt"-Nachfolge gegeben. Denn hätten die Menschen einfach geschwiegen, hätte die ARD ihre Ruhe und müsste nicht auch noch am Wochenende Pressemitteilungen veröffentlichen. Nervig, diese lebhafte Debattenkultur in einer Demokratie!
Spätestens an dieser Stelle geht es nicht mehr nur um Thilo Mischke, sondern den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich gern betont progressiv und aufgeklärt gibt, nur um durch tragende Entscheidungen zu verdeutlichen, dass es am Ende vor allem um den eigenen Ruf geht. Anderenfalls wäre vermutlich von vornherein besser zur Personalie Thilo Mischke recherchiert worden. Dieses Theater war vermeidbar.
Auch, wenn die Fälle nur bedingt vergleichbar sind, bietet sich ein Blick zu RTL und Yasin Mohamed an. Der Reality-Star wurde schnell und endgültig aus dem "IBES"-Cast für die kommende Staffel gestrichen, nachdem eine Ex-Freundin Vorwürfe erhoben hatte. Der Vertrag war sogar schon unterzeichnet. So geht Krisenkommunikation. Da können die Öffentlich-Rechtlichen noch was lernen.
Jetzt will die ARD, zusammen mit Thilo Mischke, die "Thematik journalistisch aufarbeiten" – ob es da auch um eigene Fehler geht?