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Marvel: "Deadpool & Wolverine" verkörpert die Krise des Superhelden-Kinos

"Deadpool & Wolverine" läuft im Kino.
"Deadpool & Wolverine" läuft im Kino. Bild: Disney
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Warum "Deadpool & Wolverine" die Existenzkrise des Superhelden-Kinos verkörpert

29.07.2024, 07:2030.07.2024, 17:50
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"Deadpool & Wolverine" vereint, man ahnt es nach dem Titel vielleicht, zwei der beliebtesten Superhelden der letzten Jahre: Deadpool (Ryan Reynolds) und Wolverine (Hugh Jackman). Etliche weitere bekannte Figuren stoßen im Verlauf der Handlung dazu.

"Deadpool & Wolverine" wird ein großer Erfolg, daran besteht gar kein Zweifel. Analyst:innen rechnen mit einem Einspielergebnis von 360 Millionen US-Dollar nach dem ersten Wochenende. Das ist keine kühne Prognose. Blockbuster mit größeren Superhelden-Kollektiven waren in den vergangenen Jahren so gut wie immer erfolgreich.

"Deadpool & Wolverine": Die großen Zeiten des MCU sind vorbei

Die Produktion mit den meisten Superhelden-Auftritten der Geschichte, "Avengers: Endgame", ist, Überraschung, gleichzeitig der erfolgreichste Superhelden-Film der Geschichte. Dieses Rezept – Masse – funktioniert selbst in Krisenzeiten. Und in einer kreativen wie wirtschaftlichen Krise befindet sich das Superheldenkino schon lange.

Aber "Deadpool and Wolverine" wird diese Krise nicht beenden. Er ist ihr bisher deutlichster Ausdruck.

Die Goldrauschjahre des Marvel Cinematic Universe (MCU) gehen zu Ende, und damit auch eine eintönige, aber rentable Phase des Kinos generell. 2018 und 2019 rissen selbst MCU-Filme mit vergleichsweise unbekannten Held:innen wie Captain Marvel und Black Panther sensationell die Milliarden-Marke an den Kinokassen. Die innerhalb eines Jahres veröffentlichten Avengers-Filme "Infintiy War" und "Endgame" erwirtschafteten gemeinsam fast fünf Milliarden US-Dollar.

Das MCU hatte ein epochales Momentum. Aber in dem Wort "Momentum" liegt das Problem schon begraben: Es hält nicht ewig. Die MCU-Filme "Ant-Man and the Wasp: Quantumania" und "The Marvels" floppten im letzten Jahr. Sowas schien lange undenkbar. Disney baute seinen Streamingdienst Disney Plus auf Marvel- und "Star Wars" auf und verkündete dieses Jahr die Verknüpfung mit anderen Services, wohl auch, weil die vermeintlichen Premium-Inhalte nicht mehr genug Kundschaft anlocken.

Die Frage an diesem Punkt lautet aber nicht mehr, warum das MCU deutlich weniger interessiert, das wurde schon lange beantwortet. Die Liste der Versäumnisse ist lang: Es fehlen die Stars, die interessanten Figuren, ein verbindender Erzählbogen, der die teilweise schon immer öden Einzelteile aufwertet, wahrscheinlich gibt es einfach zu viel von allem, und irgendwas mit Corona.

Die wirklich wichtige Frage ist: Wie reagiert Marvel mit "Deadpool & Wolverine" auf diese bekannten Probleme?

Es folgen Spoiler zum kompletten Film.

Wenn du keine Figuren und Geschichten mehr hast, für die sich die Leute interessieren, dann musst du alte recyceln. Marvel und Disney haben eine Maschine dafür erfunden, sie heißt "Multiversum". Der enorm erfolgreiche "Spider-Man: No Way Home" holte die verstoßenen Spider-Man-Darsteller Tobey Maguire und Andrew Garfield aus "ihren Dimensionen", also den eingestellten Reihen der 2000er und 2010er, zurück ins MCU. "Deadpool & Wolverine" geht noch einen Schritt weiter.

"Deadpool & Wolverine" ist unterhaltsam, aber ...

Schon die Rückholaktion für Hugh Jackmans Wolverine ist eine Verzweiflungstat. Die Figur feierte 2017 in "Logan" ihren (eigentlich) endgültigen Abschied – mit einem Ende, das als nahezu perfekt gilt. Aber Deadpool brauchte die emotionale Griffigkeit und die "Legacy" des haarigen Helden, um seiner unnahbaren Ironie etwas entgegenzusetzen. Deadpool begnügt sich mit einer Wolverine-Variante aus einem Paralleluniversum.

Mit dieser Unverfrorenheit exhumiert der Film anschließend weitere Superhelden-Leichen.

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Ryan Reynolds mit unauffälligem Toupet in "Deadpool & Wolverine". Bild: 20th Century Studios/Marvel Studios / Jay Maidment

Es gibt eine Paralleldimension in "Deadpool & Wolverine", in der die Held:innen der vergangenen Jahre entsorgt wurden. Jennifer Garners Elektra, Wesley Snipes' Blade, Chris Evans' "Fantastic Four"-Figur Johnny Storm und einige versprengte X-Men-Charaktere bestreiten hier ihr Dasein. Deadpool und Wolverine bescheren ihnen eine letzte Mission – und den Tod.

Es macht Spaß, Ryan Reynolds bei dieser – teilweise buchstäblichen – Leichenfledderei zuzuschauen. Es ist manchmal sogar berührend. Aber man muss sich schon nochmal vor Augen führen, was für eine filmgewordene Spätkapitalismus-Perversion man sich hier gerade eigentlich angeschaut hat.

Aus Mangel interessanten neuen Figuren holten Marvel und Disney die Unerwünschten und Aussortierten zurück, die schon so lange aussortiert waren, dass man sie inzwischen ein bisschen vermisste.

Aber du kannst eben nur recyceln, solange es genug Weggeworfenes zum Wiederverwerten gibt. Und bald geht Marvel selbst der Müll aus.

Disney hat das Superhelden-Genre ausgedörrt

Ein MCU-Film mit Deadpool, Wolverine, Johnny Storm und Elektra war überhaupt nur möglich, weil Disney 2019 für ein paar Milliarden ein ganzes Studio kaufte: 20th Century Fox.

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Das heißersehnte Team-Up von Deadpool und Wolverine.Bild: 20th Century Studios/Marvel Studios / Jay Maidment

In "Deadpool & Wolverine" fließt Marvel-Geschichte zusammen. Rechtebedingt verlief diese ab Ende der Neunziger in mehreren parallelen Strängen: Spider-Man wurde bei Sony zum Milliarden-Hit und die X-Men wuchsen bei 20th Century Fox. Auch das MCU selbst begann übrigens nicht bei Disney, sondern mit "Iron Man" 2008 bei Paramount. Man kaufte Marvel Studios erst, als die Maschine angelaufen war.

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Disney hat den Superhelden-Film nicht groß gemacht. Aber das Unternehmen presste diese Frucht so lange, bis sie komplett ausgedörrt war – und seltsam zusammengeschraubte Filme wie "Deadpool & Wolverine" entstehen mussten, die uns nun vollkommen normal erscheinen.

"Sie werden dich das tun lassen, bis du 90 bist", sagt Deadpool am Ende des Films zu Wolverine. Auf der Metaebene spricht er gleichzeitig mit dem Darsteller Hugh Jackman, der sich mit seinen 55 Jahren vor dem Dreh nochmal mehrere Stunden täglich ins Fitnessstudio wuchtete. Mit "Sie" meint er Disney.

Also, hat Deadpool Recht? Wird es niemals aufhören? Eigentlich müsste man anders da rangehen: Es war verrückt, dass das mit den Superhelden-Filmen so lange gutging.

Superhelden-Filme sind vorbei, aber es kommt etwas Neues

Zwischen 2008 und 2023 spielten die 33 MCU-Filme rund 30 Milliarden US-Dollar ein, rechnet "The Numbers" aus. Das ist filmhistorisch gesehen eine einmalige Zahl, die sich so wohl nicht wiederholen lassen wird.

Diese Monokultur hat den darbenden Kinobetreibern über schwere Zeiten hinweggeholfen, aber sie war ein süßes Gift. Es hat die Industrie, die dachte, es geht immer so weiter, träge und mutlos werden lassen. Eine Welt, in der vier Marvel-Filme pro Jahr beim Publikum kein Sättigungsgefühl hervorrufen, kann nicht von Dauer sein. Aber es braucht Zeit, bis man das versteht und begreift, dass man sich thematisch umorientieren muss.

Trotzdem hat Disney die kommenden "Phasen" des MCU bis 2027 komplett durchgeplant. In nicht einmal zwei Jahren erscheint demzufolge "Avengers 5: Doomsday". Darin kehrt, wie seit kurzem bekannt ist, Robert Downey Jr. zurück, aber nicht als Tony Stark/Iron Man, sondern als Schurke Dr. Doom – die nächste Verzweiflungstat. "Avengers 6: Secret Wars" kommt übrigens schon ein Jahr später. Der letzte Film in der Liste ist ein gewisser "Untitled X-Men-Movie". Es ist fast schon komisch.

Währenddessen holen sich im Superhelden-Boom vernachlässigte Genres wie der Katastrophenfilm ("Twisters"), das Biopic ("Oppenheimer"), die romantische Komödie ("Wo die Lüge hinfällt") und der Kriegsfilm ("Top Gun: Maverick") die Räume zurück, aus denen Marvel und DC sie eineinhalb Jahrzehnte nahezu verdrängt hatten.

Ja, "Deadpool & Wolverine" wird erfolgreich, aber er ist nicht die Antwort auf die Superhelden-Krise oder gar ihre Lösung. Im Gegenteil. Dieser Film ist der letzte Lichtschein eines schon lange verglühten Universums.

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