Tagelang hatten Linkin Park ihre Fans mit einem Timer auf ihrer Homepage auf die Folter gespannt, nun ist es offiziell: Sieben Jahre nach dem Tod ihres Frontmanns Chester Bennington kehrt die Band zurück – mit einer Tour und einem Album. Emily Armstrong nimmt den Platz von Chester Bennington an.
Noch dieses Jahr spielt die Band sechs Konzerte, darunter eines in Hamburg. Das Album "From Zero" erscheint am 15. November, vorab gibt es die Single "The Emptiness Machine". "From Zero" also – Linkin Park starten also noch einmal bei null, zumindest scheinen sie das selbst so zu sehen.
Konsequent ist die Band dabei nicht – und damit hat das Comeback einen bitteren Beigeschmack.
Grundsätzlich: Es ist eine gute Sache, dass die Band wieder auf der Bühne stehen möchte. Das Comeback-Konzert zeigte auch bereits, dass sich Emily Armstrong sehr gut einfügt. Die Rechnung mit ihr könnte aufgehen. Doch ein Faktor stört enorm.
So sehr die neue Sängerin auch überzeugen kann: Ohne Chester Bennington ist Linkin Park nicht mehr Linkin Park. Sondern eine andere Band. Demnach hinterließe das Comeback einen besseren Eindruck, wenn sich die Gruppe umbenannt hätte – aus Respekt vor dem Sänger, der 2017 Suizid beging.
So aber ersetzt Emily Armstrong ihren Vorgänger 1:1, und das ist bedenklich. Natürlich ist es naheliegend und praktikabel, dass Linkin Park ihren Namen behalten. Die Marke ist etabliert und wird genügen, um für einen Mega-Ansturm auf die Konzert-Tickets zu sorgen, weshalb die Band gerade nicht "bei Null" startet.
Ganz anders wäre es, würden Mike Shinoda und Co. unter einem neuen Namen auftreten. Kurzum: Eine Umbenennung würde für die Musiker:innen vermutlich erstmal weniger Geld bedeuten, aber eben auch Chester Bennington den nötigen Respekt erweisen.
Markenrechtlich mag das Comeback unproblematisch sein, da eben auch Shinoda einen wichtigen künstlerischen Part spielt. Moralisch ist es problematisch.
Nun lässt sich auf den ersten Blick argumentieren: Linkin Park ist bei Weitem nicht die erste Band, die ihr vermeintlich wichtigstes Mitglied ersetzt. Das stimmt, und doch ist Linkin Park ein Sonderfall. Der entscheidende Punkt: Chester Bennington schied tragisch aus dem Leben.
Ozzy Osbourne flog wegen Drogen-Problemen bei Black Sabbath raus, Peter Gabriel verließ Genesis sogar aus freien Stücken, weil ihm sein Privatleben ab einem bestimmten Punkt wichtiger war. Das sind komplett unterschiedliche Konstellationen.
Schon eher vergleichbar ist die Entwicklung bei Linkin Park mit AC/DC, die ihren verstorbenen Sänger Bon Scott durch Brian Johnson ersetzten. Hier spielt aber der Faktor eine Rolle, dass die Band zu diesem Zeitpunkt noch nicht derart in der Popkultur verwurzelt war wie Linkin Park mit Chester Bennington.
Im Gegenteil: Das erste Album mit Brian Johnson, "Back in Black", wurde zum größten kommerziellen Erfolg von AC/DC, viele Fans entdeckten und würdigten die Genialität von Bon Scott erst rückblickend.
Ein weiteres Beispiel: Die verbliebenen Mitglieder von Queen gingen nach dem Tod von Freddy Mercury mit Paul Rodgers und Adam Lambert auf Tour, machten aber deutlich, dass die neuen Sänger nicht auf einer Stufe mit dem legendären Frontmann stehen. Dafür reichte ein Detail: Die Gruppe nannte sich "Queen + Paul Rodgers" beziehungsweise "Queen + Adam Lambert". Es sind Kooperationen, keine Fusionen.
Das Comeback wird sich für die neuen Linkin Park finanziell sicherlich lohnen, doch ob es dem Vermächtnis der Band guttut, ist äußerst fraglich.
Nirvana gibt es nicht ohne Kurt Cobain, die verbliebenen Beatles haben sich nach der Ermordung John Lennons nicht mehr zusammengerauft – und das ist sicherlich mit entscheidend für den Legenden-Status, den diese Acts bis heute genießen. Sie bleiben allein durch die (unerfüllte) Sehnsucht ihrer Fans lebendig.
Die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen, ist manchmal vielleicht die bessere Entscheidung, denn wer schon eine große Geschichte hat, kann auch viel kaputtmachen.