Wird 2025 endlich das Jahr der Frauen? I doubt it. Kämpft die "tagesschau" heute munter gegen den allgemeinen Wunsch nach news detox an und titelt mit Schlagzeilen über die hohen Anteile von Frauen in Dax-Vorständen, spielt sich im Hintergrund beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk ein Skandal ab.
Denn während halb Deutschland schon mit der Vorbereitung ihrer Weihnachtsgänse beschäftigt war, ernannte die ARD Thilo Mischke zum neuen Moderator von "titel thesen temparemnte" (griffiger: "ttt"). Eine Entscheidung, die nicht nur unreflektiert, sondern auch unendlich ignorant gegenüber jeglichen Werten ist, denen sich der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk verschrieben hat.
Denn Thilo Mischke ist jemand, der Frauen eben nicht "nur dienstlich" angefasst hat. Thilo Mischke ist 43 Jahre alt und ist ein bisschen so etwas wie die männliche Carrie Bradshaw in Deutschland – nur in diskriminierend und frauenfeindlich eben. Thilo Mischke ist jemand, der ohne jegliche Scham Worte wie "wegvergewaltigen" nutzt und derart abwertende Bezeichnungen für die weiblichen Geschlechtsteile findet, dass man sich kurz in die 1990er zurückversetzt fühlt.
Mischkes Qualifikation für das Kulturmagazin "ttt"? Die Veröffentlichung von Büchern mit Titeln wie "Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen" oder "In 80 Frauen um die Welt" (geistreicher Inhalt: eine Wette, mit eben jener Anzahl an Frauen auf der ganzen Welt zu schlafen). Ach ja, und nicht zu vergessen die Aufstellung der einzigartigen These, dass bei den Homo Sapiens nur jene Frauen überlebt hätten, die mit dem "Gendefekt" geboren wurden, trotz Vergewaltigung eine "feuchte Vagina" zu bekommen. Kulturwissenschaftliche Exzellenz, so gesehen.
Der Journalist ist ein typisches Beispiel dafür, dass Sexismus, Rassismus und Ableismus längst kein Problem der Boomer-Generation mit den gern beschimpften "alten weißen Männern" sind. All diese Diskriminierungsformen sind in der Mitte der Gesellschaft und scheinbar auch im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk zum Standard geworden.
Dennoch versuchte man bei "ttt" zunächst den Schein von "awareness" zu wahren. Am Heiligabend veröffentlichten die Verantwortlichen ein Statement, in dem die wichtigen Worte "Wir hören euch" vorkommen.
Denn nach der offiziellen Bekanntgabe der Personalie war doch einige Kritik an Thilo Mischke öffentlich geworden. Im Podcast "Feminist Shelf Control" etwa sezieren Annika Brockschmidt und Rebekka Endler in mehr als zwei Stunden die sexistischen Abgründe des Thilo Mischke. Schaut man sich die zugehörigen Shownotes an, wird klar, dass auch fünf Stunden Podcast drin gewesen wären.
"ttt" gab daraufhin bekannt, dass "seit Tagen intensive Gespräche" geführt würden, um "die Vorwürfe zu prüfen". Bravo. Das Ergebnis drei Tage später: "Wir freuen uns jetzt auf Thilo Mischke und seine Sicht auf Kultur." Wait, what?
Die ARD argumentiert, Mischke habe seine journalistischen Fähigkeiten vielfach unter Beweis gestellt und "sich für seine Ausdrucksweise entschuldigt".
Was hier wohl gemeint ist, sind Mischkes Ausführungen im Gespräch mit Autorin Nadine Primo im Jahr 2021. "Das Buch selber ist kein Fehler, der Titel ist ein Fehler, das ist mir immer ganz wichtig", erklärt er hier, neben anderen historischen Aussagen wie "Ich hatte eigentlich gar keine Chance – ich will mich jetzt nicht als Opfer darstellen in keinster Weise."
Aber hören wir auf, diesen armen jungen Mann herunterzumachen, er war ja bei Veröffentlichung von "In 80 Frauen um die Welt" auch "erst" 29 Jahre alt. Schauen wir doch lieber einmal in Richtung ÖRR, Stichwort Signalwirkung, Bildungsauftrag, Unabhängigkeit.
Hätte es den Instagram-Post zu einer angeblichen Überprüfung nicht gegeben, könnte man das Ganze ja beinahe als Versehen durchgehen lassen. Obwohl man in diesem Fall dann doch stark an der Recherchefähigkeit der zuständigen ARD-Journalist:innen zweifeln müsste. "Die Menge an Dinge, die wir in kurzer Zeit gefunden haben, ist beschämend", heißt es schließlich bei "Feminist Shelf Control".
Doch nach der angeblichen Prüfung ist das Bekenntnis zu Thilo Mischke nur noch lächerlich. Ein Journalist, der in seinem Buch zur Beschreibung seiner – sagen wir, Begegnungen – mit Frauen kaum fünf Seiten ohne das Wort "Busen" auskommt, ist garantiert nicht die beste Wahl für eines der wichtigsten Kulturmagazine im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. In einem offenen Brief an die ARD kritisieren 100 Kulturschaffende aus Literatur und Medien genau das und schließen zukünftige Zusammenarbeit mit der Sendung kategorisch aus.
"Ich wollte Fingerabdrücke nehmen, heimlich Nacktfotos machen, Tonbandaufnahmen vom jeweiligen Sex", schrieb Mischke 2010 zu seiner geistreichen Wette. Wir erinnern uns: Mischke selbst findet nur den Titel dieses Buches potenziell bedenklich, nicht den Inhalt. Liebe ARD, schonmal was von consent gehört?
Wir brauchen nicht die "Sicht auf Kultur" eines Mannes, der Vergewaltigung öffentlich als etwas "Ur-männliches" beschreibt und diese damit nicht nur rechtfertigt, sondern auch normalisiert.