"Die Passion" auf RTL hat seine ganz eigene Passionsgeschichte hinter sich: Im Februar 2020 kündigte RTL das "Musik-Live-Event" an, in der die Leidensgeschichte von Jesus Christus in einem modernen Gewand und umrahmt von modernen Pop-Songs erzählt werden sollte. In den Niederlanden ist dieses TV-Event bereits seit Jahren ein Zuschauermagnet – im April 2020 wollte es der Kölner Sender in die Tat umsetzen.
Für "Die Passion" hatte RTL viele bekannte Gesichter engagiert: Ex-"DSDS"-Gewinner Alexander Klaws sollte Jesus spielen und Thomas Gottschalk als Moderator durch den Abend führen. Für die Rolle von Jesus' Mutter Maria wurde Sängerin Ella Endlich angekündigt, Schauspieler Mark Keller sollte als Judas auftreten, Musiker Laith-Al-Deen als Petrus und "Der letzte Bulle"-Star Henning Baum ergatterte die Rolle von Pontius Pilatus. Auch die Jüngerschaft von Jesus war prominent besetzt. Außerdem versprach RTL Auftritte von einigen Gast-Stars.
Doch dann kam Corona und das Event musste verschoben werden. Erst jetzt ließ es die Lage zu, dass RTL endlich mit "Die Passion" auf Sendung ging. Kurz vor Start wurde das TV-Spektakel jedoch von einem Skandal überschattet: Gil Ofarim, der ebenfalls zum Cast gehörte, wurde wegen Verleumdung und falsche Verdächtigungen angeklagt. Doch RTL hielt an Ofarim fest und erklärte, dass bis zu seiner Verurteilung für Gil Ofarim die Unschuldsvermutung gelte.
Trotz der schwierigen Vorgeschichte schaffte es RTL am Ende doch noch wie durch ein Wunder, "Die Passion" am 13. April über die Bühne zu bringen. Doch nach Mittwochabend stellt sich die Frage, ob der Sender uns dieses Leid nicht hätte ersparen sollen.
Doch wir machen es wie in der Schule: Bevor Kritik geübt wird, sagt man etwas Positives: Grundsätzlich ist gegen die Idee, die Passionsgeschichte von Jesus Christus zu erzählen, natürlich nichts einzuwenden. Schließlich gibt es schon seit Jahrhunderten sogenannte Passionsspiele. Die bekanntesten finden seit dem 17. Jahrhundert in Oberammergau statt.
Und Alexander Klaws als Jesus zu engagieren, war auch eine gute Idee von RTL. Wer Klaws nur als ehemaligen "DSDS"-Gewinner sieht, tut dem 38-Jährigen Unrecht. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich der Sänger als Musical-Darsteller etabliert: So spielte er die Hauptrollen in bekannten Produktionen wie "Tanz der Vampire", "Tarzan" oder "Ghost – Nachricht von Sam". Außerdem verkörperte er von Oktober 2014 bis November 2015 am Theater Dortmund Jesus in der Rockoper "Jesus Christ Superstar".
Und auch bei "Die Passion" machte Klaws seine Sache gut: Dass er singen kann, steht außer Frage, und er spielte die Rolle des Jesus überzeugend, ohne peinlich zu wirken. Doch das ist das einzig Nette, was über das TV-Event gesagt werden kann.
RTL hat "Die Passion" als großes "Musik-Live-Event" angekündigt, das in der Essener Innenstadt stattfindet und mit einem großen Star-Aufgebot geworben. Auf dem Burgplatz in Essen wurde zu diesem Zweck auch eine große Bühne aufgebaut. Doch die Zuschauer, die sich zu dem Platz aufgemacht hatten, bekamen zunächst nichts zu sehen oder zumindest nicht mehr als die Zuschauer vor den heimischen Bildschirmen.
Denn beim großen "Musik-Live-Event" war der Großteil der Show nicht live, sondern war vorproduziert. Die meisten Szenen der "Passion" und Musik-Einlagen der Darsteller wurden bereits vor zwei Jahren in Essen gedreht. Auch das Publikum vor Ort sah die Sequenzen nur auf einem großen Bildschirm.
Auf der Bühne dagegen standen fast die ganze Zeit nur Moderator Thomas Gottschalk und Sängerin Ella Endlich, die als Maria einige Lieder sang. Damit wirkte das TV-Event mehr wie eine Art Public Viewing oder wie ein Konzert von Ella Endlich, das von Einspielern unterbrochen wurde.
Erst nach über anderthalb Stunden war mehr auf der Bühne los – da standen Alexander Klaws als Jesus, Henning Baum als Pontius Pilatus und Martin Semmelrogge als Verbrecher Barabbas auf der Bühne. Zu diesem Zeitpunkt war das Spektakel aber auch schon fast wieder vorbei. Mehr bekam das Publikum nicht zu sehen. Nur zum Schlussapplaus kamen noch einige Darsteller wie Samuel Koch, Stefan Mross oder Nicolas Puschmann auf die Bühne.
Und dafür wurde so viel Aufwand betrieben? Wenn man ehrlich ist, hätte RTL "Die Passion" schon vor zwei Jahren als eine Art Musical-Spielfilm ins Fernsehen bringen können. Man hätte nur noch ein paar extra Szenen mit Ella Endlich als Maria drehen müssen – und Schwupps wäre die Sache gegessen gewesen.
Ob "Die Passion" dann vielleicht auch weniger skurril gewirkt hätte? Wahrscheinlich nicht. Dass RTL die Leidensgeschichte von Jesus in einem modernen Gewand erzählen wollte, ist zwar löblich, doch an einigen Stellen wurde es, sagen wir mal, zu modern.
So beschrieb Thomas Gottschalk Petrus als "so etwas wie den Sprecher der Gruppe", der Verräter Judas sei dagegen "so etwas wie der Manager" der Gruppe gewesen. Und Jesus würde man heute einen Influencer nennen, war sich Gottschalk sicher. Das Ganze gipfelte in einem absurden Vergleich von Gottschalk, ob Jesus damals nicht hätte rufen sollen: "Ich bin ein Star, holt mich hier raus!" Um bei dem "Jugend-Jargon" des 71-Jährigen zu bleiben: Das war cringe!
Auch viele Szenen der "Passion" waren an Absurdität nicht zu übertreffen: So sah man Rainer Calmund, der eine Wurst isst, während Klaws alias Jesus beim Sternekoch Nelson Müller Brot für einen Jünger holt. Und nach seiner Gefangennahme traf Klaws/Jesus im Transporter auf Wolfgang Bahro, den man als skrupellosen Jo Gerner aus der RTL-Serie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" kennt und "Hinter Gittern"-Star Katy Karrenbauer. In diesen Momenten keine Fremdscham zu empfinden, war fast unmöglich.
Bei der Musik-Auswahl bewiesen die Macher des Live-Events auch nicht immer ein glückliches Händchen. In einer Szene trällerte Mark Keller als Judas doch allen Ernstes "Durch den Monsun" von Tokio Hotel. Viele Zuschauer befürchteten in dem Moment wahrscheinlich, dass Heidi Klum als Ehefrau von Tokio-Hotel-Gitarrist Tom Kaulitz noch einen Überraschungsauftritt hinlegt und vielleicht plötzlich Maria Magdalena spielt.
Während "Durch den Monsun" allerdings als weitere Absurdität abgetan werden kann, waren andere Songs ein wahres Ärgernis. Viele Zuschauer kritisierten unter anderem, dass "Und wenn ein Lied" verwendet wurde. Der Song wird im Original von den Söhnen Mannheims gesungen und zu der Gruppe gehört auch Xavier Naidoo, dem seit Jahren Nähe zu rechtsextremen Verschwörungserzählungen vorgeworfen wird. Auch das ein Lied von Andreas Gabalier gesungen wurde, stieß auf wenig Verständnis.
Wenn man über "Die Passion" spricht, muss man auch noch einmal über Gil Ofarim sprechen. RTL begründete seine weitere Teilnahme an dem Format damit, dass die Anklage gegen den Sänger und Schauspieler von Gericht noch nicht bestätigt wurde. Doch nach Mittwochabend hat man den Eindruck, dass das nur die halbe Wahrheit ist.
Den Fakt ist: Gil Ofarim kommt vielen der abgedrehten Szenen für "Die Passion" vor und es wäre für RTL wahrscheinlich ein zu großer Aufwand gewesen, diese Szenen mit dem gesamten Cast und einem Ersatz für Ofarim nachzudrehen. Das Problem (und andere) hätte der Kölner Sender nicht gehabt, wenn sie "Die Passion" vor zwei Jahren einfach als Musical-Spielfilm im Fernsehen gezeigt hätten.