Putins Krieg gegen die Ukraine dauert nun schon über zwei Wochen. Aus der Ukraine Geflüchtete kommen zu Tausenden auch in Deutschland an, EU-Staaten unterstützen die Ukraine mit Waffen. Eine Lieferung von MiG-29-Kampfjets aus Polen war den Nato-Verbündeten aber nun doch zu heikel – zu groß die Gefahr, dass Russlands Präsident Wladimir Putin dies als Übertreten einer roten Linie und Einmischung der Nato gewertet hätte. Sandra Maischberger blickt auf die Woche, die nur ein Thema kannte, mit diesen Gästen:
Joachim Gauck ist inzwischen 82 Jahre, hat als kleines Kind das Ende des Zweiten Weltkriegs miterlebt. Er lässt sich durch wenig aus der Ruhe bringen. Und so hat er derzeit auch keine Angst vor einem Übergreifen des Kriegs nach Deutschland oder gar einem russischen Atomschlag. "Ich habe mir oft Gedanken gemacht zur deutschen Neigung zur schnellen Angst", sagt der Altbundespräsident. Es sei jetzt Zeit, auf die politischen Analytiker zu hören. Putin wolle ja als "ruhmreiche Figur" in die russische Geschichte eingehen. "Er hat noch verschiedene Möglichkeiten, er muss nicht die letzte wählen, Europa und die Welt in einen Krieg zu ziehen." Wie Gauck das sagt, klingt es fast zu gut, um wahr zu sein. Aber ein Zurück zum normalen politischen Umgang mit Putin in der Staatengemeinschaft scheint derzeit schwer vorstellbar.
Und auch für Gauck steht fest: "Jeder, der jetzt die Gespräche gesucht hat mit dem Moskauer Despoten, wurde angelogen." Er habe "brachiale diktatorische Absichten" und die Länder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, etwa Moldawien und Georgien, seien "in großer Gefahr", irgendwann Ähnliches zu erleben wie gerade die Ukraine.
Gauck selbst hat Putin 2012 als Bundespräsident in Berlin getroffen. Er sei damals schon "misstrauisch" gewesen.
Gaucks Argwohn ist aber auch biografisch motiviert: Sein Vater wurde 1951 in ein sowjetisches Arbeitslager verschleppt wegen angeblicher Spionage. Erst nach zwei Jahren erfuhr die Familie, wo der verschollene Vater war, nach vier Jahren kam er heim. Diese kindliche Unrechtserfahrung steht wie ein Ausrufezeichen vor Gaucks ganzem Wirken und Denken. Und so nimmt der ehemalige Pfarrer eine Position ein, die für einen Mann Gottes nicht alltäglich ist. Als Maischberger fragt, in wieweit sich der Westen in der Ukraine engagieren sollte, antwortet er:
In ihrer Konsequenz sehr harte Worte, die wohl nur wegen der geschmeidigen Sprechweise Gaucks nicht ganz so ruppig klingen. Er meint: Waffenlieferungen ja, militärische Unterstützung nein. Außerdem findet er: "Es ist diesmal keine Feigheit, wenn die deutsche Bundesregierung hier Zurückhaltung walten lässt." Es sei nur vernünftig. Denn "Putin ist ein wild entschlossener und ethisch nicht gefestigter Herrscher" und eventuelle Folgen seien nicht absehbar.
Gauck sieht dafür aber eine andere Sache, die die Deutschen und Europäer tun können, um die Ukrainer wirkungsvoll zu unterstützen: auf Energielieferungen aus Russland komplett verzichten. Obwohl es teuer und unbequem werden könnte.
Auch könne man mal "ein paar Jahre weniger Lebensglück" hinnehmen. "Eine generelle Delle in unserem Wohlstandsleben ist, was Menschen ertragen können."
Die deutsch-ukrainische Autorin Katja Petrowskaja erhofft sich vom heutigen Treffen der Außenminister Russlands und der Ukraine, Sergej Lawrow und Dmytro Kuleba, in Antalya wenig. Zumindest von russischer Seite. "Vielleicht wollen sie einfach Zeit gewinnen. Wann haben sie Versprechen gehalten?", fragt sie ernüchtert. Aber Putin wende sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung. Die Autorin hat auch Freunde in Russland und die Situation dort sei "eine Katastrophe, das Land ist in den letzten Tagen zu Nordkorea geworden": Einige Freunde, die gegen den Krieg demonstriert haben, säßen deshalb im Gefängnis.
Ihre 86-jährige Mutter hat sich nun nach langem Zögern auf den Weg gemacht heraus aus Kiew. Sie musste erst einmal überredet werden, ihre Heimat in Richtung Ungarn zu verlassen. Noch ist sie nicht in Sicherheit. Nicht nur deshalb wünscht sich Petrowskaja eine Flugverbotszone über der Ukraine, kontrolliert von der Nato.
Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Uni in München rät dringlichst davon ab. "Das würde bedeuten, einen Krieg gegen Russland zu führen." Denn eine Flugverbotszone zu schaffen, klinge harmloser als es ist: Man müsste zuerst Flugplätze und Flugabwehrsysteme zerstören, "auch in Russland", dann würden eventuell eindringende Flugzeuge zum Umkehren aufgefordert, eskortiert oder im Extremfall abgeschossen. Abgesehen davon sei es ja auch nicht so, dass die Nato nichts tue. Die USA lieferten Aufklärungsbilder in Echtzeit in die Ukraine, diverse Staaten würden Waffen liefern. "Der Westen tut sehr viel dafür, damit die ukrainische Armee diesen Widerstand leisten kann, den sie leistet." Die nicht zu überschreitende Grenze sei eine direkte Einmischung der Nato.
Aber warum läuft es für Russland so schlecht? In einem geleakten Papier des russischen Geheimdienstes heißt es, die russische Führung habe sich auf Berichte verlassen, die "erstunken und erlogen" waren, weil sich niemand traute, die Wahrheit zu schreiben und auch den wahren Zweck der Berichte nicht kannte. Und so habe man im Kreml geglaubt, dass die Truppen in der Ukraine wirklich "als Befreier" empfangen werden, erzählt Masala. Und weil die russische Führung darum dachte, dass der Krieg in wenigen Tagen gewonnen sei, haben sie sich um die Nachschubversorgung nicht genug gekümmert. Nun fehle alles von Benzin bis zu Feldküchen.
Dieser Krieg verläuft wenig vorhersehbar. Der langjährige ARD-Korrespondent in Moskau, Thomas Roth, zum Beispiel gibt ganz offen zu, dass er ihn gar nicht erst für möglich gehalten hat, "obwohl ich Putin viel Schlechtes zugetraut habe. Er ist gefährlich, er hat offenbar gar keine Skrupel, Kinder anzugreifen, Kliniken anzugreifen, der geht auch noch weiter." Von russischen Freunden weiß er aber, dass die westlichen Sanktionen schon erste Wirkungen zeigten: In den Läden gebe es weniger Lebensmittel. Noch könne Putin die Russen ruhig halten mit Repressionen. "Auf Dauer wird es nicht gelingen, wir brauchen Geduld."
Diese Geduld fehlt der "Zeit"-Politik-Redakteurin Mariam Lau. Sie glaubt nicht an den Erfolg der heutigen Verhandlungen. Selbst, wenn etwas beschlossen werde, müsse man Putins Handlungen erst abwarten. "Entscheidend ist, was er tut. Sehr glaubwürdig ist der Mann nicht mehr."
Der "Spiegel"-Autor Markus Feldenkirchen hört aus Russland "immerhin Signale der rhetorischen Abrüstung" heraus. Für ihn ist dies eine Folge der "grandiosen Fehlkalkulation" der russischen Seite in diesem Krieg. Putin habe sich verschätzt in der Zähigkeit der Ukrainer und in der Entschlossenheit des Westens, der sich zuvor immer hat "an der Nase herumführen lassen". Auch er plädiert wie Altbundespräsident Gauck für den vollständigen Verzicht auf russisches Öl, das sei der größte Hebel. "Ein Schritt, der bleibenden Eindruck hinterlässt."