Die Bahn ist nicht pünktlich, auf den Autobahnen staut sich der Verkehr und auf dem Land gibt es oft keine Alternative zum Auto. Eine Verkehrswende muss her, auch um das Klima zu schützen. In diesem Punkt sind sich in Deutschland die meisten Menschen einig. Wenn es darum geht, wie diese Verkehrswende umgesetzt werden soll, gehen die Meinungen jedoch weit auseinander. "Auto oder Bahn, Tempo oder Limit – Steckt die Verkehrswende im Stau?", fragte Anne Will am Sonntagabend ihre Gäste in der gleichnamigen ARD-Talkshow.
Tempo, Tempo, Tempo, so lässt sich der Plan der FDP in der Verkehrspolitik zusammenfassen. "Wir müssen überall schneller werden", stellte Christian Dürr gleich zu Beginn der Sendung klar und nannte das schnelle Handeln der Politik bei den LNG-Terminals im Zuge der Gaskrise als Beispiel. "Grünes Licht für alle Verkehrsprojekte. Damit in Deutschland weniger Stau ist und die Menschen schnell vorankommen", zitierte Dürr FDP-Chef Christian Lindner. Egal ob mit dem Auto oder auf Schienen, Dürr und die FDP wollen bei allen Projekten aufs Gaspedal treten.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang stimmte zunächst zu. "Wir müssen schneller werden", sagte Lang: "Bei den erneuerbaren Energien, bei den Stromnetzen. Auch beim Ausbau der Schiene. Aber wenn ich alles priorisiere, priorisiere ich am Ende gar nichts mehr." Dann verwies Lang auf die Klimakrise und dass diese durch den Bau neuer Autobahnen zusätzlich befeuert würde. Ein Punkt, wegen dem es in der Ampel knirscht.
Thorsten Frei war beim Thema Autobahn deutlich näher bei Dürr. "Autobahnen sind auch heute noch die Lebensadern der Wirtschaft, viele Menschen sind in unserem Land darauf angewiesen", sagte der CDU-Politiker. Umleitungen und Staus durch kaputte Straßen seien eben nicht klimaschonend, erklärte Frei und plädierte deshalb dafür, auch weiterhin Autobahnen auszubauen.
Im Verlauf der Sendung wurde über das 49-Euro-Ticket gesprochen, über Elektromobilität, über das Dienstwagenprivileg und über Autobahnprojekte in einzelnen Bundesländern, die nicht vorankommen. Sogar die energieaufwendigen E-Fuels führte FDP-Mann Dürr als mögliche Lösung an. Dabei verlor sich die Diskussion oft in Details, während große Streitthemen wie ein mögliches Tempolimit auf den Autobahnen nur am Rande besprochen wurden. Was vielleicht auch daran lag, dass in Berlin eine Wahl ansteht und sich niemand allzu weit aus dem Fenster lehnen wollte.
Für den Klartext waren am Sonntagabend bei "Anne Will" deshalb in erster Linie die Gäste zuständig, die nicht aus der Politik kamen. "Ich sehe vor allem, wie weit die bisherigen Äußerungen von den Menschen weg sind", sagte die Verkehrsexpertin Katja Diehl: "Ich habe nichts gegen das Auto. Aber ich habe etwas dagegen, wie das Auto gerade genutzt wird. 45 Minuten am Tag mit einer Person an Bord, das kann effizienter laufen."
Diehl forderte ein Grundrecht auf freie Wahl der Mobilitätsmittel, gerade für Menschen im ländlichen Raum. Sie müsse aktuell ihre Eltern herumkutschieren, da es auf dem Land für diese keine Alternativen gebe. "Das fühlt sich unfrei an. Das ist gegen die Würde des Menschen, um Mobilität bitten zu müssen", sagte Diehl.
Steigende Zulassungszahlen bei Autos seien ein Zeichen verfehlter Verkehrspolitik, erklärte Diehl wenig später, was Frei auf den Plan rief. "Sie sagen, jedes Auto ist etwas Schlechtes. Ich sage, das ist eine falsche Aussage", entgegnete der Unions-Politiker. Dann wurde es ein wenig hitzig. "Das sage ich nicht, nein", erwiderte die Verkehrsexpertin und verwies auf die zahlreichen SUVs und Vans in ihrer Heimat Hamburg. "Ich habe auch ein Recht auf Lebensqualität in der Stadt. Müssen wir so tun, als ob wir im Garten Eden sitzen? Nein. Der Zustand, den wir gerade haben, ist schlecht", sagte Diehl.
"Sie wollen anderen erklären, wie sie leben sollen", ärgerte sich Frei: "Ich würde zwar unterschreiben, dass wir zur CO2-Neutralität hin müssen. Aber ich würde niemals unterschreiben, dass wir weniger Autos brauchen."
Mehr Autobahnen gegen Stau zu bauen, sei "als würde man den Gürtel lockern, wenn man abnehmen will", brachte Diehl ein weiteres anschauliches Beispiel. Anne Will unterbrach die Diskussion schließlich, einig wären sich die beiden ohnehin nicht geworden.
"Welt"-Journalist Robin Alexander kam daraufhin auf die LNG-Terminals und deren schnelle Realisierung zurück. Statt dieses Momentum auch für die Verkehrswende zu nutzen, würde sich die Politik wieder in endlosen Diskussionen über Ideologien und Verbote verlieren. Schließlich seien die wenigsten Menschen auf Auto, öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad festgelegt, sondern grundsätzlich bereit, alle Verkehrsmittel gleichermaßen zu nutzen. "Die Politik führt ein Theater auf, das bei den meisten Menschen gar nicht da ist", ärgerte sich Alexander.
Die Verkehrswende sei eine "Mammutaufgabe" und für "jeden Verkehrsminister eine schwierige Aufgabe", räumte Ricarda Lang ein. Nachdem sowohl die Grünen-Chefin als auch FDP-Politiker Dürr und CDU-Politiker Frei am Anfang der Sendung von Tempo und Geschwindigkeit gesprochen hatten, fehlten am Sonntagabend bei "Anne Will" letztlich die konkreten und schnell umsetzbaren Vorschläge für eine klimafreundliche und effiziente Neugestaltung des Verkehrs in Deutschland. Die Verkehrswende scheint tatsächlich im Stau zu stecken.