Die Corona-Situation läuft aus dem Ruder, die Politik ist mehr gefragt denn je – und trotzdem findet sich in der Runde bei Anne Will wenig Konsens, sondern umso mehr Konfrontation. Gesundheitsminister Jens Spahn und FDP-Chef Christian Lindern wollen angeblich Schuldzuweisungen vermeiden, trotzdem landen beide immer wieder dort. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig lobt dagegen ihren Corona-Weg und die zukünftige Außenministerin Annalena Baerbock gibt sich diplomatisch und erklärend, damit "hier wirklich keine Missverständnisse entstehen". Den Großteil der Sendung wird wild durcheinander gequatscht – was bei vielen Zuschauern mit Sicherheit die besagte Verwirrung und Fragezeichen hinterlässt.
Das waren Anne Wills Gäste am Sonntagabend:
Was kann Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jetzt noch unternehmen, um diese Welle zu schwächen? Schon zu Beginn der Sendung schiebt Spahn die Verantwortung von sich weg. Kontaktbeschränkungen, Absage von Veranstaltungen, flächendeckendes 2G Plus seien nun notwendig und diese Entscheidungen würden schließlich seit 18 Monaten bei den Ländern liegen, nicht bei ihm.
Dann gesteht er sich aber doch ein: Auch er habe Fehler gemacht, er hätte "klarer sein müssen" bei der Notwendigkeit von 2G. Dazu habe er bereits im Sommer Gespräche geführt, die sich wiederum aber nicht in Beschlüsse umsetzen ließen, weil Politiker im Wahlkampf nicht ein solches Signal gegen Ungeimpfte setzen wollten, erklärt sich Spahn und integriert so doch eine Schuldzuweisung in sein Schuldeingeständnis.
Der Frage nach einem flächendeckenden Lockdown geht Spahn aus dem Weg. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig habe nun erstmal Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte festgelegt.
Allgemein sei Mecklenburg-Vorpommern schon immer strenger gewesen als andere Länder – nun sehe man auch, dass in Ländern wie Bayern die Situation schlimmer sei, dort seien aber beispielsweise noch immer Fußballstadien voll. "Alles, was er öffentlich bundesweit fordert, kann er in seinem Land machen", sagt Schwesig mit Blick auf Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der eine Bundes-Notbremse fordert. Schwesig kombiniert so quasi Eigenlob mit Schuldzuweisung.
FDP-Chef Christian Lindner bleibt seiner Linie treu und warnt vor den Schäden eines Lockdowns. Man müsse konsequenter verhandeln, um diesen zu verhindern. Es wird kommende Woche einen Bund-Länder-Krisenstab geben, wie Lindner ankündigt. Doch Maßnahmen müssten immer verhältnismäßig sein, schließlich sei die Lage "leider" in manchen Ländern sehr unterschiedlich. Er erwarte, dass die Länder, die bisher noch nicht alle rechtlichen Mittel zur Kontaktreduzierung ausgeschöpft haben, das in den nächsten Tagen tun werden.
Die Probleme liegen derzeit aber auch bei der Logisitik der Impfung, sagt Lindner in Richtung Spahn. Seine Koalitionspartnerin, Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock, stimmt zu. Menschen würden zum Teil stundenlang vor Impfstationen stehen – hier müsse mittelfristig eine bessere Struktur geschaffen werden, vor allem für die Booster-Impfungen. Und: "Wir müssen jetzt die Vorbereitungen für die Kinderimpfung treffen", sagt sie weiter. "Sobald das in Deutschland möglich ist, müssen mobile Impfteams vor den Schulen stehen."
Spahn lobt das Einsetzen eines Krisenstabs – den Vorwurf der logistischen Probleme lehnt er ab, man habe mehr als genug Impfstoff, genauer gesagt drei Millionen Dosen Biontech und sechs Millionen Dosen Moderna pro Woche.
Man könne nicht bis zur nächsten Bund-Länder-Runde am 9. Dezember warten mit weiteren Maßnahmen, stimmt die künftige Außenministerin Baerbock Spahn zu. Im Laufe der Sendung wiederholt sie sich: Man müsse in den nächsten Tagen genau beobachten, ob die Länder den vollen Instrumentenkasten nutzen und alle verfügbaren Maßnahmen nutzen – dazu gehören auch Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte. Wenn einige Ländern nicht handeln, müsse bundesweit reagiert werden und auf der Ministerkonferenz Konsequenzen gezogen werden, kündigt Baerbock an.
Die Ampel verspielt noch vor ihrem Start Vertrauen, sagt Will. "Das ist keine objektive Beobachtung", unterbricht Lindner. "Nein, das ist mein Empfinden." Journalistin Melanie Amann stimmt Will zu. Die Ampel übernehme die Fehler der alten Regierung – zu wenig Vorbereitung, zu wenig vorausschauendes Handeln. "Ganz besonders Sorgen macht mir Ihre Partei, Herr Lindner", merkt die Leitung des "Spiegel"-Parlamentsbüros weiter an.
Der unterbricht: Viele Experten würden Kontaktbeschränkungen empfehlen, keinen flächendeckenden Lockdown, davon würden auch Spahn und Wieler nicht sprechen. Lindners Argumente entsprechen nicht der Wahrheit – viele Virologen und Mediziner haben sich bereits öffentlich dazu geäußert, dass ein kurzer Shutdown für alle die sinnvollste Maßnahme wäre. Dann schalten sich auch Baerbock und Schwesig in die Diskussion mit ein, beide verteidigen das neue Infektionsschutzgesetz der Ampel. Alle fallen sich gegenseitig ins Wort – nur Gesundheitsminister Spahn hält sich zurück. "Es ist heute wirklich schwierig in der Sendung, dass Sachen immer wieder durcheinander gewürfelt werden", findet Schwesig. Hängen bleibt wenig von der Chaos-Diskussion.
Amann verstehe nicht, warum das neue Gesetz den Ländern gewisse Instrumente wie Ausgangsbeschränkungen und flächendeckende genommen wurden. "Das ist für mich FDP-Ideologie, die besagt, dass es keinen Lockdown mehr gibt." Lindner schüttelt nur den Kopf – seine Koalitionspartnerin Baerbock springt ihm zur Seite und stellt klar: "Hier schauen Millionen Zuschauer zu, wir müssen aufpassen, dass wir die nicht verunsichern." Doch dafür scheint es bei diesem Wirr-Warr bereits zu spät zu sein.
Am Ende versucht Will, immerhin noch eine Frage zu klären: Wird Karl Lauterbach neuer Gesundheitsminister? Doch Schwesig lacht nur verschmitzt. "Olaf Scholz wird für alle Positionen einen guten Vorschlag machen", antwortet sie. Bei Anne Will würde das nicht diskutiert werden, es ist der Schlusssatz der Sendung.