Wie kann dieser Krieg beendet werden? Bundeswirtschaftsminister Habeck und SPD-Vorsitzender Klingbeil sind weiterhin gegen den Lieferstopp von russischer Energie, während CDU-Politiker Kieselwetter bei "Anne Will" die Abschaltung von Nord Stream 1 fordert. Der ukrainische Außenminister Kuleba erwartet, dass Deutschland nicht mehr so zurückhaltend ist, und die Schriftstellerin Petrowskaja warnt: Der Preis des Krieges wird jeden Tag höher.
Diese Gäste waren am Sonntagabend bei Anne Will:
Die bisherigen Sanktionen seien "klug und konsequent" gewesen, lobt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu Beginn der Sendung. Ein Importstopp von russischer Energie gehöre nicht dazu – gegen diesen sträubt sich die Bundesregierung derzeit noch vehement. Warum, versucht Habeck zu erklären: "Wenn wir einen unüberlegten Schritt gehen, dann könnte es dazu führen, dass wir andere Sanktionen nicht durchstehen können."
Diesen Triumph wolle man Putin nicht gönnen. Weil Deutschland derzeit noch zu abhängig von russischer Energie sei, würde ein Embargo zu Lieferabbrüchen, Massenarbeitslosigkeit und Armut führen, Familien würden nicht mehr heizen können, warnt Habeck. Den Ast abzusägen, auf dem man sitze, sei "nicht klug", so Habeck. Deswegen müsse man erst die Vorbereitungen voranbringen, um so schnell wie möglich Abhängigkeiten zu reduzieren.
Es sei richtig, dass Deutschland derzeit nicht alles tue, um Putin aufzuhalten, räumt Habeck dann ein. Die Einfuhr von Raps und Weizen sei beispielsweise nicht verboten, weil man dann in eine Hungerskrise käme. Auch liefere Deutschland keine Panzer an die Ukraine, um keine Konfrontation zwischen Russland und der Nato zu provozieren. Die ukrainische Schriftstellerin Katja Petrowskaja schüttelt bei diesen Worten den Kopf und lacht. "Wir werden jeden Tag mehr für diesen Krieg bezahlen, wenn wir zögern", meint sie.
Habecks Argument sei falsch, so Petrowskaja. Denn Putin brauche solche Argumentationen nicht, um weiter zu eskalieren. "Putin versteht nur die Stärke", sagt sie. Was müsse noch passieren, damit der Westen noch entschlossener handele, frage sie sich, und fordert mehr Waffen an die Ukraine sowie die Sperrung des Luftraums. Für den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil ist dies das Dilemma der politischen Entscheidungsträger. Deutschland handele konsequent, betont er, und zählt das vierte Sanktionspaket und die Waffenlieferungen auf.
Die Opposition würde jedoch noch deutlich weiter gehen und Nord Stream 1 abschalten. CDU-Politiker Roderich Kiesewetter will Putin damit den Geldhahn abdrehen. Die Konsequenzen für die deutsche Bevölkerung wären zwar enorm, sagt er, doch eher liefere Deutschland zuerst Putin kein Geld mehr als Putin plötzlich kein Gas mehr. Politikwissenschaftlerin Claudia Major unterstützt die Linie der Bundesregierung. Wenn die deutsche Wirtschaft langfristig einbreche, Deutschland Sanktionen nicht halten könne und demzufolge immer schwächer werde, dann würde das, "so hart es klingt", auch der Ukraine nichts nützen, sagt sie.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wird dazugeschaltet. Putin habe zwar erhebliche Verluste in der Ukraine erlitten, doch er bombardiere weiter, erzählt Kuleba. Humanitäre Korridore würden deswegen nicht funktionieren. Die Ukraine sei zu weiteren diplomatischen Gesprächen bereit, möglicherweise auch zu einem zwischen den beiden Präsidenten Selenskyj und Putin. Doch eines würden sie am Verhandlungstisch nicht tun: die territoriale Souveränität der Ukraine und ihrer Gebiete aufgeben, betont Kuleba.
Kuleba fordert nichts von Deutschland, sagt er auf Wills Nachfrage, doch er erwarte drei Dinge. Erstens, dass Deutschland der Ukraine alle möglichen Waffen liefere. Er finde es dagegen nicht in Ordnung, dass deutsche Firmen wie Bosch jahrelang notwendige Komponenten für militärische Fahrzeuge nach Russland geliefert habe – dieselben Fahrzeuge, die jetzt auf ukrainischem Boden fahren. Petrowskaja wischt sich bei Kulebas Worten die Tränen aus den Augen.
Kuleba wolle Deutschland mit Führungsposition bei den Sanktionen sehen und nicht so zurückhaltend wie bislang – und angesichts der Lage brauche es noch mehr Sanktionen. Zuletzt fordert Kuleba den EU-Beitritt der Ukraine – auch dafür erwarte er die deutsche Unterstützung.
Klingbeil stimmt Kuleba zu, dass Europa nun auch geopolitisch Änderungen vornehmen müsse und besonders von Russland bedrohten Staaten näherkommen müsse – ein fixes Ja zur EU gibt er aber nicht. Kiesewetter war soeben erst in Moldawien, Rumänien und Polen. Putins Drohungen, auch weiteren ehemals sowjetischen Republiken die Souveränität abzusprechen, müsse man sehr ernst nehmen. Am Sonntag wurde ein Militärstützpunkt in Lemberg angegriffen, nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. "Ich denke, dass eine Ausweitung des Krieges unmittelbar bevorsteht", sagt Kieselwetter.
Militärisch könne Russland zwar den Krieg gewinnen, doch den Frieden nicht, sagt Major. Petrowskaja glaubt, dass die Ukraine den Krieg gewinnen wird – doch nur wenn der Westen sofort handelt. "Putin hat nicht nur unsere Toten missbraucht, er hat uns alle missbraucht, und unsere Vorstellungen von Krieg und Frieden", wirft sie zudem ein.
Heute oder morgen wird der Sturm auf Kiew geschehen, erzählt Petrowskaja schließlich von einem Gespräch mit einem lokalen Soldaten, der sie kurz vor der Sendung angerufen hatte. Wills letztes Thema: Hatte Klingbeil Kontakt zu Gerhard Schröder? "Nein", antwortet der kurz und knapp.