Ungarns Präsident Orbán boykottiert EU-Sanktionen, Erdogan will den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden verhindern und Ländern wie Polen oder Estland poltern gegen die lasche Haltung Deutschlands gegenüber Putin. Die Einigkeit in Europa steht derzeit auf wackligen Beinen – dabei war sie im Kampf gegen Russland bisher der größte Trumpf.
Maybrit Illner diskutierte am Donnerstagabend mit ihren Gästen zum Thema: "Streit statt Stärke – doch nicht gemeinsam gegen Putin?"
Journalist Deniz Yücel hegte in diesem Zusammenhang schlimme Befürchtungen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth hingegen lobte das Handeln der eigenen Regierung.
Das waren die Gäste bei "Maybrit Illner" am 9. Juni:
Einheit und Geschlossenheit ebenso wie Entschiedenheit und Stärke – dies sind nach CSU-Europapolitiker Manfred Weber die Werte, die die Europäische Union im Wertekonflikt mit Wladimir Putin brauche. Entsprechend dürfe der Westen in der aktuellen Situation auch in seiner Auseinandersetzung mit Erdogan keine Zugeständnisse machen.
Deniz Yücel jedoch äußerte genau diese Befürchtung: "Dass man Erdogans Erpressungsspiel mitspielt und beispielsweise die Kurden verrät." Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte das Handeln des Türkischen Präsidenten „ein Spiel“. Erdogan versuche außenpolitisch Macht zu demonstrieren und sich damit innenpolitisch zu profilieren.
Laut Politologin Gwendolyn Sasse werde diese Spiel jedoch nicht aufgehen. "Wenn die Türkei überhaupt eine Vermittlerrolle hätte spielen können, dann verspielt er sie gerade", so Sasse. Die Ukraine würde die Türkei in ihrer Nähe zu Russland nicht als vertrauensvollen Mittler ernst nehmen. Außerdem gebe es derzeit eh keinen Verhandlungsspielraum.
Generalleutnant a.D. Ben Hodges zeigte sich sehr besorgt und betonte die Wichtigkeit einer starken Allianz des Westens gegen Wladimir Putin. "Ich denke, es wird einen Preis zu bezahlen geben", erklärte Hodges mit Bezug auf die Blockade Erdogans zum Nato-Beitritt von Finnland und Schweden.
Es sei nun besonders an Deutschland voranzugehen und zu zeigen, dass die EU gemeinsam standhaft bleibt. Doch Hodges kritisierte auch:
Die Kritik an mangelnder Hilfe für die Ukraine aus Ländern wie Polen oder Estland sei unangemessen. Deutschland halte stets seine Versprechen über Waffenlieferungen und leiste auch darüber hinaus sehr viel – jedoch sei das Land ein schlechter Verkäufer seiner Hilfe.
Kritik am deutschen Handeln jedoch kommt nicht nur aus verschiedenen Ländern der EU. Auch Deniz Yücel kritisierte die Bundesrepublik und ihren Kanzler. Der Journalist bemängelte: "Zunächst einmal kommt das, was die Bundesregierung verspricht, in der Ukraine nicht an." Deutschland habe immer noch nicht geliefert.
Claudia Roth (Bündnis '90/Die Grünen) bestritt dies. Sie störte sich an der Reduzierung der Debatte auf Waffenlieferungen. Deutschland leiste große Hilfe darüber hinaus. Auch sprach sie Bundeskanzler Scholz ihr Vertrauen aus. Die Kritik einiger osteuropäischer Länder wollte Roth so einfach nicht gelten lassen. Diese müsse man ernst nehmen, jedoch reales Handeln entgegensetzen.
Ost gegen West – laut Gwendolyn Sasse, Direktorin des Berliner Zentrums für Osteuropa- und Internationale Studien, gebe es diese vermeintlich geografischen Blöcke nicht. Eine solche Unterscheidung spiele Wladimir Putin nur in die Karten. "Ich glaube, da ist etwas Übersteigertes dran, diese Differenz aufmachen zu wollen und damit schaden wir uns nur selbst", war sich Sasse sicher.
Dass das niemand wollen kann, darüber waren sich in der Runde bei "Maybrit Illner" ausnahmsweise alle einig.