Früher, da kamen einfach Promis zu Markus Lanz, hielten ihr Buch oder ihre CD in die Kamera und gaben ein paar Anekdoten von sich, das Publikum lachte und applaudierte. Mit Corona wurde das anders, das Publikum verschwand aus dem Studio und Lanz wurde immer mehr zum Polit- und Gesellschaftstalker. Zu Beginn dieser Woche hatte er nun mal wieder gleich beide großen Themen der Zeit in einer Sendung. Über Corona und den Krieg in der Ukraine spricht er mit folgenden Gästen:
Tag 34 des Kriegs und Russland hat bei Verhandlungen in Istanbul erste Zeichen gesendet, die eine diplomatische Beendigung des Krieges zumindest denkbar erscheinen lassen. Russland stellte eine geringere militärische Aktivität rund um Kiew in Aussicht. Als vertrauensbildende Maßnahme. Einen Waffenstillstand gibt es trotzdem nicht.
Schon seit Wochen fordern viele Stimmen, jegliche Energieimporte aus Russland zu stoppen, um so den Geldfluss nachund nach zu kappen. Für Moderator Markus Lanz ist das "der ultimative Konflikt", auf den alles hinauslaufe.
Und die Journalistin Anna Lehmann sieht es ähnlich. Deutschland agiere zu zögerlich, findet sie. "Wir kümmern uns derzeit mehr um unsere Sicherheit als um die Sicherheit der Ukrainer", sagt sie. Es würde viel darüber diskutiert, welche verheerenden Auswirkungen ein Ende der Energiekäufe von Russland in Deutschland hätte. Die Möglichkeit, dass ein solches Embargo zum schnellen Ende des Krieges in der Ukraine führe, findet sie nicht bis zu Ende diskutiert.
Es klingt ja auch ganz einleuchtend: Die Energieverkäufe stellen die Haupteinnahmequelle des russischen Staates dar. In Zeiten der verstärkten Sanktionen sogar praktisch sein einziges. Markus Lanz wirft in den Raum, dass der Westen allein seit Kriegsbeginn 20,7 Milliarden Euro nach Russland überwiesen habe.
Deutschland bezieht derzeit 55 Prozent seines Gases von Russland. Sollte das nun von heute auf morgen wegfallen, gäbe es eine Versorgungslücke. Zuerst würden Firmen weniger Gas bekommen, dann private Haushalte, am Ende dann vulnerable Einrichtungen. Soweit der ganz grobe Notfallplan, am Finetuning wird aktuell gearbeitet. Denn die Situation ist durchaus ernst. Wladimir Putin hat aus finanztaktischen Erwägungen angewiesen, Zahlungen nur in Rubel entgegenzunehmen, doch die westlichen Partner weigern sich.
Und so fragt sich Lehmann: "Wieso schwört man die Leute hierzulande nicht auf Verzicht ein?" Sie verstehe nicht, warum es nicht schon längst Tempolimit, autofreier Sonntag, Homeoffice-Pflicht gebe – alles Maßnahmen, die zumindest ein wenig Energie sparen. "Es fehlt mir auch die Bereitschaft zum Verzicht hier auf unserer Seite. Die Politik tut so, als könnten die Leute hier weitermachen wie bisher", findet sie.
Doch Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister Hamburgs (SPD), hält einen sofortigen Verzicht auf die Gaslieferungen für unklug. "Es schadet dem Westen mehr als dass es Russland schadet – man muss ja auf die Gesamtwirkung achten." Deutschland habe eine hohe Abhängigkeit vom Gas, für die Stromerzeugung, für die Industrie. Die Folge wären unkalkulierbare Pleiten.
Außerdem könne Russland das eingenommene Energie-Geld aufgrund der Sanktionen aktuell sowieso nicht verwenden.
Und auch einen Seitenhieb gegen das Tempolimit kann er sich nicht verkneifen: "Mit einem Tempolimit von 130 beeindrucken wir Herrn Putin überhaupt nicht."
Und wie ist die Lage in Russland? Selten gab es mehr Vermutungen und weniger Wissen. Die Politologin und Ost-Europa-Expertin Margarete Klein ist zur Beurteilung der Lage eingeladen. Angesichts der dürren Informationen aus Russland kann es nur eine enttäuschende Spekulationsrunde mit Allgemeinplätzen werden: Sie sieht eine ins Stocken gekommene russische Armee, gleichzeitig aber "auch zunehmende Brutalität der Kriegsführung, die an Aleppo oder Grosny erinnert". Zur "psychologischen Kriegsführung" der Russen gehöre auch die Entsendung der für ihre Skrupellosigkeit berüchtigten paramilitärische Truppen des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow in die Ukraine. Und trotzdem läuft der Krieg alles andere als nach Plan für Russland.
Immer wieder gab es auch Gerüchte über Hausarreste in der Führungsebene Russlands. Bricht Putins Machtapparat? Was es denn beispielsweise zu bedeuten habe, dass Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu zwei Wochen nicht zu sehen war, und das in einer solchen Situation, will Markus Land von Klein wissen. Das sei "absolut ungewöhnlich", auch weil der altgediente Schoigu der drittbeliebteste Politiker des Landes sei. "Er ist eine Schlüsselfigur." Klein weiß nicht, was im Kreml los ist, ist sich aber sicher, dass etwas los ist. "Wir sehen subkutan, da kommt ein bisschen was hoch."
Der Krieg sei das wichtigste Thema aktuell, gibt Peter Tschentscher zu. "Trotzdem dürfen wir die Corona-Lage nicht ganz aus den Augen verlieren, aber das scheint mir ein bisschen der Fall zu sein", sagt der Arzt und Bürgermeister angesichts des bevorstehenden Wegfalls fast aller Maßnahmen am 1. April. Dann haben es die Parlamente der Bundesländer in der Hand, Maßnahmen zu beschließen.
Tschentscher war immer eher Team Vorsicht. Die Maskenpflicht abzuschaffen bei Rekord-Inzidenzen hält er für keine gute Idee. Aber er ist fest davon überzeugt, das sie für Hamburg durch den Beschluss der Bürgerschaft erstmal bestehen bleibt.
Es gab viel Diskussionen um die Neufassung des Bundesinfektionsschutzgesetzes, aber Tschentscher gibt sich zurückhaltend. "Das Gesetz hätte besser ausfallen können, es ist etwas umständlich." Journalistin Lehmann nennt es hingegen ganz offen "Murks".
Nicht ganz so schlimm sieht es der Virologe Hendrick Streeck. Er sitzt seit Dezember 2021 im Corona-Expertenrat der Bundesregierung und hat in der Vergangenheit immer eher eine lockere Linie vertreten. Dieser bleibt er treu:
Jeder könne sie weiterhin tragen, er selbst werde sie auch in gewissen Situationen aufsetzen. Aber er glaubt, dass es Zeit ist, die Corona-Regeln "zu entschlacken". Als Beispiel führt Markus Lanz die allgegenwärtigen Spuckschutzscheiben aus Plexiglas an, die Streeck mal kritisch erwähnt hatte. "Wir müssen mit Corona umgehen, es wird nicht weggehen", sagt der Virologe. Er empfiehlt: "Mehr Pragmatismus wagen". Auch bei Impfpflicht und Genesenen-Status: Jeder, der Antikörper im Blut habe, habe eine Grundimmunität.
"Es ist ein sehr guter Schutz vor einem schweren Verlauf, auch bei Genesenen." Gerade auch angesichts der vielen Ukraine-Flüchtlinge, die zum Teil mit in dem in der EU nicht zugelassenen Sputnik-Impfstoff immunisiert oder ungeimpft sind, spricht sich Streeck für den Genesenen-Status mit einer Dauer von sechs Monaten für alle aus. Um den Zeitraum gab es viel Wirbel, als ihn das Robert-Koch-Institut schlagartig auf 90 Tage gekürzt hatte. Mittlerweile gilt er wieder sechs Monate – aber nur für Geimpfte. Ungeimpfte gelten nur drei Monate als genesen.