Cihan Çelik muss viele anstrengende Diskussionen mit Patienten führen. bild: screenshot ard
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Die Corona-Lage verschlimmert sich unter der vierten Welle rasant. Die Intensivstationen drohen vollzulaufen, die von der Politik stets kategorisch abgelehnte Impfpflicht findet immer mehr Befürworter. Frank Plasberg diskutiert die Situation mit folgenden Gästen bei "Hart aber fair":
- Markus Blume, CSU-Generalsekretär
- Joachim Stamp, FDP, Stellv. NRW-Ministerpräsident; NRW-Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration
- Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
- Cihan Çelik, Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie auf der Corona-Isolierstation im Klinikum Darmstadt
- Kristina Dunz, Journalistin; stellv. Leiterin des Hauptstadtbüros des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND)
- Simone Stribl, ORF-Journalistin (im Einzelgespräch zugeschaltet)
Mit einer kurzen Reportage von der Corona-Isolierstation, auf der der Lungenarzt Çelik Station arbeitet, geht es los. Eine Krankenschwester erzählt von tragischen Momenten, die sie viel zu oft miterlebt, gerade bei Familien. "Einer geht auf die Intensivstation und kommt nicht zurück." Und auch ein Patient, ein ehemaliger Impfzauderer, spricht. "Ich habe gedacht, das ist nur eine Grippe. Ich habe ich mich sehr getäuscht. Ich würde mich jetzt jede Woche impfen lassen", sagt er schwach, aber überglücklich noch am Leben zu sein.
Corona: Arzt erzählt über Konflikte mit Patienten
Aber nicht einmal im Krankenhaus erkennen alle Ungeimpften sofort den Ernst ihrer eigenen Lage. Er müsse nun "mehr schwierige Diskussionen" mit Patienten führen als in den vorherigen Corona-Wellen, sagt Çelik. "Wir diskutieren über den medizinischen Nutzen von Sauerstoff – Therapien werden abgelehnt." Der Grund sei wohl, dass mancher Patient am Anfang oft noch nichts vom fehlenden Sauerstoff bemerke. Und dann wehrt er sich gegen die Behandlung, weil er den Ärzten nicht vertraue "und denkt, dass wir ihn kranker reden als er ist".
Aber später würden sie oft schon beim Sprechen Atemnot bekommen. "Die absolute Vermeidbarkeit“ der Situation lässt ihn manchmal schon kurz verzweifeln, gibt der Arzt zu. Wenn beim Streit mit Impfgegnern "medizinisch nichts Nachvollziehbares dabei rumkommt, ist der Frust schon sehr hoch". Aber er hat sich zum Ziel gesetzt: "Niemals aufgeben, mit den Patienten darüber zu sprechen – das gehört dazu". Jeder Patient habe ja auch ein Netzwerk und leiste oft nach dem Krankenhausaufenthalt selbst Ausklärungsarbeit.
Für Aufklärung sorgt der Arzt auch in der Sendung: Immer wieder gibt es Menschen, die glauben oder behaupten, dass sie z.B. wegen Vorerkrankungen nicht geimpft werden dürften. Doch Cihan Çelik räumt mit diesem Mythos auf: Im Gegenteil, gerade mit Vorerkrankungen sei die Impfung wichtig.
"Der einzige Grund sich nicht gegen Covid-19 impfen zu lassen, sind Allergien gegen Bestandteile der Impfstoffe."
Cihan Çelik
Und die Anzahl der allergischen Menschen sei "sehr gering".
Impfpflicht bald auch in Deutschland?
Wie es die Politik hat überhaupt so weit kommen lassen, fragt ihn Plasberg. Der Arzt ist ratlos. "Die Wissenschaft war immer sehr deutlich. Dass der wirkliche Anstieg im Herbst und Winter kommen wird und sehr hoch sein wird, war allen klar." Bei seinem letzten Besuch bei "Hart aber fair" nannte er eine Impfpflicht noch "Kapitulation des guten Arguments". Jetzt ist er sicher: "Aus medizinischer Sicht glaube ich, dass wir um eine Impfpflicht nicht herumkommen werden."
In Österreich ist die Impfpflicht ab Februar bereits beschlossene Sache. Die ORF-Journalistin Simone Striel ist aus Wien zugeschaltet "20 Monate haben das alle Parteien ausgeschlossen, ab Freitag 10 Uhr war dann alles anders", fasst sie die Kehrtwende zur Impfpflicht zusammen. Und allmählich scheint das auch in Deutschland zu wanken.
CSU-Generalsekretär Markus Blume will "eine Vollbremsung". bild: screenshot ard
Markus Blume, CSU-Generalsekretär, sieht sie auch hierzulande am Horizont. "Ich bin mir sicher, in einigen Wochen wird es seinen breiten gesellschaftlichen Konsens geben: Ja, wir brauchen das." Vor einer fünften Welle könne nur dieses "Instrument" retten.
Derzeit gebe es ein "bundesweit so dynamisches Infektionsgeschehen, dass es jetzt eine Vollbremsung braucht". Das klingt nach bundesweitem Lockdown.
Journalistin Kristina Dunz, Leiterin des Hauptstadtbüros des Redaktionsnetzwerks Deutschland, findet, die Politik hat sich "vom Bundestagswahlkampf wegspülen lassen" und zu wenig auf die Wissenschaft gehört. Zwischen GroKo und Ampel sei es ein bisschen wie ein Staffellauf, bei dem der Stab fallengelassen wurde. Als Mitglied der kommenden Ampel-Koalition hat sich die FDP nicht gerade im Team Vorsicht positioniert und im Oktober noch einen Freedom Day gefordert.
Frank Plasberg (re.) nimmt Joachim Stamp ins Gebet.bild: screenshot ard
FDP-Politiker räumt Fehler ein
Plasberg fragt Joachim Stamp, Stellvertretender Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, warum er das getan hat, obwohl das RKI damals schon gewarnt hat. "Ich habe damals bewusst von einem Tag der Eigenverantwortung gesprochen, weil ja klar war: Die Pandemie ist nicht vorbei", versucht er, sich herauszuwinden. Auf Nachfrage gibt er dann zu: "Was ich auch unterschätzt habe – dass die Impfbereitschaft so stark nachgelassen hat." Die Menge der Ungeimpften sei "erkennbar zu groß" und die Anzahl der Intensivbetten zu klein. Darum bringt er eine "hohe Netto-Rückkehrprämie" von mehr als 5000 Euro für Pflegekräfte, die ihren Beruf verlassen haben, ins Gespräch. "Weil wir in einer Notsituation sind."
Bei der Impfpflicht tut sich die FDP sehr schwer. Und auch Stamp versucht, um eine eindeutige Antwort herumzukommen. Man hätte schon allein wegen der sich ändernden Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zu Astrazeneca anfangs "nicht glaubwürdig" eine Impfpflicht fordern können, findet Stamp. Plasberg hakt mehrfach nach, weil der FDP-Politiker lange ausholt und der Moderator fürchtet, dass er wieder ausweicht. Schließlich läuft Plasberg hinter seinem Pult vor. "Ich komme nochmal näher mit sicherem Abstand, weil ich vielleicht nicht richtig verstanden wurde."
Schließlich ringt sich Stamp eine Antwort ab: "Wenn Sie mich hätten ausreden lassen, dann hätten Sie den Satz gehört, dass ich persönlich mir das gut vorstellen kann. Es ist ja auch ein lernender Prozess von uns allen." Die FDP hätte einen Verfassungsrechtler in Gremien eingeladen und der hätte auch ihn überzeugt.
Annette Kurschus ist die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.bild: screenshot ard
Weniger juristisch als moralisch betratet Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Situation. "Freiheit hat christlich gesehen immer mit Gemeinschaft zu tun. Alles Tun oder Unterlassen hat sich daran zu messen, was das mit dem anderen macht. Es ist deine Pflicht als Mensch, wenn du in einer Gemeinschaft lebst, dich impfen zu lassen."
Kirchen-Vertreterin gegen medizinische Benachteiligung von Ungeimpften
Allerdings gibt sie zu, dass sie ihre Meinung im Lauf der vergangenen Wochen auch geändert hat. Zwar sei die Kirche und auch sie auf Konsens und Verständigung aus. "Aber es funktioniert ja nicht, und es drängt die Zeit. Das Hin und Her kostet Menschenleben." Darum findet sie jetzt: "Mir ist der Schutz der Vulnerablen wichtiger als alle zusammenzuführen." Eine "Hammeraussage", wie Plasberg findet. Sie ist aber ausdrücklich gegen eine medizinische Benachteiligung von Ungeimpften. Auch in Situationen, in denen es nicht mehr genug Krankenbetten geben sollte, um alle Patienten zu versorgen.
"Ein Ungeimpfter ist als Mensch nicht weniger wert als jeder Geimpfte auch. Das darf bei der Entscheidung keine Rolle spielen."
Annette Kurschus
Für die Wellchild-Awards kehrte Prinz Harry in dieser Woche zurück in seine britische Heimat. Im Royal Lancaster Hotel in London traf er auf Kinder und Teenager sowie deren Eltern, die mit Preisen der Wohltätigkeitsorganisation ausgezeichnet wurden. Dabei zeigte sich der Royal von seiner nahbaren Seite.