Der Prozess gegen Arafat Abou-Chaker und seine Brüder Yasser, Nasser und Rommel vor dem Berliner Landgericht nahm zuletzt eine ungeahnte Wendung. Bei einer Razzia am Morgen des 22. September wurden bei Clan-Chef Arafat Abou-Chaker 18 Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht. Dabei ging es unter anderem um den Vorwurf der Steuerhinterziehung. Parallel zum Verfahren am Landgericht Berlin muss sich Arafat Abou-Chaker nämlich in einem Zivilverfahren verantworten – daher die Durchsuchung.
Doch während der Steuer-Razzia kam es zu einem Zwischenfall. Eine Steuerfahnderin soll Unterlagen des Angeklagten abfotografiert haben. Das Brisante: Es soll sich dabei um handschriftliche Notizen gehandelt, die Arafat im Strafprozess gegen ihn angefertigt haben soll. Laut seinen Anwälten enthalten diese Notizen wichtige verteidigungsrelevante Details, die nicht hätten abfotografiert werden dürfen, weil sie unter das geschützte Mandantenverhältnis fallen. Ein fairer Prozess sei nun nicht mehr möglich, argumentierten die Anwälte und stellten einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens. Zumindest solle der Prozess aber unterbrochen werden, bis der Vorfall geklärt sei.
Am vergangenen Montag wurden drei Steuerfahnder als Zeugen befragt, die an der Durchsuchung direkt oder indirekt beteiligt gewesen waren. Unter anderem war jene Finanzbeamtin als Zeugin geladen, die die Unterlagen mutmaßlich fotografiert hatte. Vor Gericht bestätigte sie, Fotografien gemacht zu haben, weil sie die Unterlagen für steuerlich relevant hielt. Welchen Inhalt die Unterlagen konkret hatten, konnte sie aber nicht sagen. Die Strategie der Verteidiger war nun klar: Sie verlangten am Ende des letzten Verhandlungstages eine vollumfängliche und nachweisliche Löschung der Daten. Ansonsten sei ein fairer und unabhängiger Prozess nicht mehr sichergestellt. Eine knifflige Angelegenheit für den Vorsitzenden Richter, der über den Antrag der Verteidigung, den Prozess einzustellen, nun entscheiden musste.
Der 11. Verhandlungstag wurde daher mit Spannung erwartet. Doch eilig hatte es der Vorsitzende Richter, Martin Mrosk, mit seiner Entscheidung erstmal nicht. Zunächst sagte ein weiterer Polizeibeamte, der an der Durchsuchung Arafats Wohnhauses beteiligt war, aus. Neue Informationen lieferte dieser nicht, doch die Anwälte der Abou-Chakers hatten jetzt einen neuen Angriffspunkt: Es geht um den Vorwurf, Bushido habe von einem Journalisten der "Bild" von der Durchsuchung erfahren. Das wiederum könnte bedeuten, dass der Journalist seine Information aus erster Hand erhalten habe, also von einem an der Durchsuchung beteiligten Beamten. Damit stünde der Vorwurf des Verrats von Dienstgeheimnissen im Raum. Bushido behauptet dagegen, erst im Internet von der Durchsuchung erfahren und daraufhin seinen Anwalt informiert zu haben. Die Verteidigung hält jedoch dagegen und behauptet, zu diesem Zeitpunkt habe es noch keine Online-Artikel zu der Durchsuchung gegeben.
Und auch, wenn diese Vorwürfe eigentlich nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind, geht es um den Eindruck, den sie hervorrufen. Falls bewiesen werden kann, dass sich Zeugen mit Ermittlern und der Presse absprechen, ist ein faires Verfahren kaum noch möglich. Diese Situation versuchen sich die Verteidiger Arafats nun natürlich zunutze zu machen. Und so wurde ein Antrag verlesen, der vorsieht, den betreffenden "Bild"-Journalisten als Zeugen zu laden. Selbst der Vorsitzende Richter zeigte sich von der Rolle der Presse irritiert. Denn fest steht: Die Information, dass die Steuer-Razzia am 22.9. stattfinden wird, wurde frühzeitig an die Presse weitergeleitet.
Diese Erkenntnis fand der Vorsitzende Richter zumindest "merkwürdig" und frage den Polizeibeamten im Zeugenstand: "Wer hat diese Information denn weitergegeben?" Eine Frage, die der Zeuge nicht beantworten konnte. Er gab jedoch zu bedenken, dass an der Planung der Aktion viele Beamte involviert waren, was eine Geheimhaltung erschwere.
So endet dieser Prozesstag mit noch mehr offenen Fragen, als er begann. Die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens ist jedenfalls vertagt. Die Frage, wer und wann Informationen an die Presse weitergegeben hat und wann Bushido und sein Anwalt von der Durchsuchung wussten, hat auf den ersten Blick nicht viel mit der Strafsache zu tun. Es geht aber um etwas Grundlegendes: nämlich die Glaubwürdigkeit des Zeugen und Nebenklägers Bushido.
Der Vorsitzende Richter kündigte an, bis zum nächsten Termin am 26. Oktober über die Anträge zu entscheiden. Gleichzeitig sagte er aber auch an Bushido gewandt: "Herr Ferchichi, vielleicht schaffen wir es dann ja, mit Ihnen weiterzumachen."