Vor knapp einem Monat kauften wir für die watson-Redaktion ein. Wir haben zum Beispiel Süßigkeiten, Joghurts und Obstsorten mitgebracht, aber auch haufenweise Müll. Das ganze Ausmaß seht ihr hier:
Seitdem hat uns die Frage nicht mehr losgelassen, warum Hersteller ihre Produkte so übertrieben einpacken. Also haben wir nachgefragt, bei jeder Firma, deren Produkt vor einem Monat in unserem Einkaufswagen gelandet ist.
Drei haben geantwortet.
Wrigleys Kaugummis
Bild: gk
Das Unternehmen sagte zur Art der Verpackungen folgendes:
der Verbraucher solle "erstklassige Ware" erhalten
Verantwortung für die Umwelt und Nachhaltigkeit seien wichtig
Nachhaltiges Handeln sei eine der obersten Prioritäten im Unternehmen: "Gerade in unseren Produktionsstätten im Hinblick auf eine ökologische Produktion unserer Produkte und Verpackungen"
Und zu unserer eigentlichen Frage:
"Aus diesem Grund bieten wir unsere Kaugummis in der jetzigen Verpackungsvariante bzw. in diesem Format an, um bei dem Produkt die absolute Frische garantieren zu können. Zudem ist aus produktionstechnischen Gründen eine Änderung im Maschinenablauf leider nicht möglich, da die Geräte extra so konzipiert sind. Wir werden auch in der Zukunft weiterhin Alternativen suchen, die auf der einen Seite die Umweltbelastung reduzieren, ohne auf der anderen Seite Qualitätskompromisse eingehen zu müssen. Auch ist die Firma Mars selbstverständlich Mitglied bei der Gesellschaft 'Duales System Deutschland', das heißt, dass unsere Produkte auch den 'Grünen Punkt' tragen."
Wrigleys auf Anfrage von watson
Okay, das Frische-Argument nehmen wir so hin. Die "produktionstechnischen Gründe" finden wir allerdings ein bisschen schwach: Wer sich wirklich anstrengen will, nachhaltig zu produzieren, könnte doch auch mal in neue Maschinenabläufe investieren, oder?
Dr. Oetker
Bild: gk
Die Firma argumentiert:
Ihre Produkte unterlägen strengen qualitativen und hygienischen Anforderungen.
Auch die Verpackung spiele eine wichtige Rolle, wenn es um die Sicherheit und Qualität von Lebensmitteln gehe: Verpackungsmaterial müsse hohe Hygieneanforderungen erfüllen und ausreichend Schutz vor Verschmutzung oder anderen Partikeln bieten.
Im konkreten Fall der Pizza leistet die Verpackung demnach folgendes:
"Die äußere Faltschachtel gewährleistet, dass eine TK-Pizza transportfähig ist. Sie dient neben der Folierung darüber hinaus dem Produktschutz und liefert dem Verbraucher zahlreiche Informationen zum Packungsinhalt. Da es sich bei 'Die Ofenfrische' um eine Rohteigpizza handelt, die im Vergleich zu anderen Sortimenten wie 'Ristorante' oder 'Tradizionale' nicht vorgebacken wird, ist aus Gründen der Stabilität eine zusätzliche Unterlegscheibe enthalten. Sie sorgt dafür, dass auch eine leicht angetaute Pizza beim meist aufrechten Transport in der Einkaufstasche nicht zusammensackt. Das Backpapier vereinfacht darüber hinaus das Ablösen des Produkts von der Unterlegscheibe sowie das weitere Handling und kann direkt zum Aufbacken der Pizza genutzt werden."
Dr. Oetker gegenüber watson
Man könne uns versichern, dass umweltschonende Sortimente und Verpackungen auch Ziel der Bemühungen seien: "So befassen sich bei Dr. Oetker zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allein mit der Entwicklung neuer und der Optimierung bestehender Produktpackungen."
Zur Ostfriesischen Tee Gesellschaft (OTG) gehören etwa die Teemarken Meßmer, Milford und Onno Behrends. Das Unternehmen strebt laut einer Sprecherin an, möglichst wenig Verpackungsmaterial zu benutzen.
Warum das Material, das trotzdem zum Einsatz kommt, nachhaltig sein soll, erklärt uns die Sprecherin sehr ausführlich:
"Die Teebeutel der OTG bestehen ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen. Das Filterpapier der Teebeutel besteht hauptsächlich aus Abacá-Faser (auch Manila-Hanf genannt), einer besonders langen Faser der Abacá-Bananenstaude. [...] Zusätzlich wird Holzzellstoff eingesetzt. Für unsere Zwecke wird sie zu einem möglichst dünnen Papier verarbeitet, perfekt durchlässig für beste Aromendiffusion. Der Teebeutel-Faden stammt aus Wolle von deutschen und Schweizer Spinnereien. Bereits seit Herbst 2010 werden sämtliche Teebeutel-Produkte der OTG ohne Aluminiumklammer ausgeliefert. Die Innovation, die dies möglich macht, ist eine intelligente Verbindung von Teebeutel und Etikett mit einer raffinierten Knotentechnik, deren Entwicklung in zehn Jahren 80 Millionen Euro gekostet hat. Bei allen von der LSH produzierten Teebeuteln spart der Verzicht auf die Aluminiumklammer 50 Tonnen Aluminium pro Jahr. Die Faltschachteln der Teeprodukte der OTG bestehen heute bereits zu 100 Prozent aus Recyclingpapier."
Ostfriesischen Tee Gesellschaft (OTG) gegenüber watson
Na gut, warum die Beutel so aufwendig verpackt sind, weißt du jetzt immer noch nicht. Aber immerhin kannst du auf der nächsten Party mit Wissen über Teebeutel-Gewebe und Teebeutelfaden-Fasern angeben.
Die wenigen Antworten, die wir erhalten haben, haben uns nicht weitergebracht, also haben wir einen Experten angerufen. Sebastian Haupt ist Konsumentenpsychologe und er kennt sich mit Verpackungen aus.
watson: Warum werden so viele Lebensmittel doppelt und
dreifach verpackt? Sebastian Haupt: Eine Verpackung hat verschiedene Zwecke:
Sie dient dem Schutz. Schokobons beispielsweise würden wahrscheinlich aneinander kleben oder sogar verschmelzen, wenn es warm wird. Das ist ein Grund, warum der Hersteller sie einzeln verpackt.
Eine Verpackung kann auch dazu dienen, Aromen zu bewahren. Darum sind manche Teebeutel nochmal einzeln verpackt.
Ein Pappkarton um Zahnpastatuben etwa kann helfen, dass sich die Produkte besser ins Verkaufsregal sortieren lassen – und auch mehr Produkte dort ihren Platz finden. Ein weiterer Grund, Produkte zusätzlich zu verpacken.
Außerdem ist die Verpackung ein Verkaufsfaktor: Sie zieht die Aufmerksamkeit der Kunden auf sich, signalisiert Qualität, kommuniziert Produkteigenschaften und Markenwerte und erleichtert es den Menschen, Marken oder Produkte zu finden und wieder zu erkennen.
Aber würde ich die Schokopralinen nicht auch
wiedererkennen, wenn sie ihre Außenverpackung behielten, die Hersteller aber
darauf verzichten würden, jedes Stückchen einzeln zu verpacken?
Natürlich. Doch konsumpsychologische Erhebungen
haben ergeben: Eine Verpackung wertet Produkte auf.
Wir sind es zum Beispiel gewöhnt, dass Hochwertiges aufwendig eingepackt ist.
Eine Premium-Hautcreme, die noch in einem Karton steckt, sieht wertvoller aus.
Zudem lassen sich Umverpackungen leichter veredeln:
Beispielsweise die Textur der Oberfläche oder geprägte Logos. Auch
Glanz und andere visuelle Effekte ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und
erhöhen den subjektiv wahrgenommenen Wert eines Produktes
Schafft es eine
Verpackung in die Hände des Kunden, löst schon die Berührung das
psychologische Besitzgefühl aus, was die Kaufwahrscheinlichkeit erhöht sowie die
Bereitschaft, einen gewissen Preis dafür zu bezahlen.
Zusätzlich lieben Menschen es schlichtweg, Dinge auszupacken.
Haben Forscher das wirklich untersucht? Allerdings. Eine Studie aus Hongkong hat etwa ergeben,
dass Konsumenten sich eher für ein Produkt entscheiden, wenn sie beobachten
können, wie es ausgepackt wird. Die Forscher zeigten den
Studienteilnehmern unter anderem eine
Gedenkmünze in einer Box. Mal war die Box schon offen, mal öffneten
die Forscher die Box vor den Augen der Probanden. Die
Münze, die ausgepackt wurde, bewerteten
die Probanden stets besser.
Eine Verpackung
weckt unbewusst unsere Entdeckungslust, ähnlich wie ein eingepacktes Geschenk.
Auspacken macht Spaß und dieses positive Gefühl strahlt auf den Inhalt einer
Verpackung ab.
Ich will mich bewusst dagegen wehren und Verpackungen
vermeiden. Kann ich damit etwas bewirken? Der Kunde diktiert, was im Regal steht –
die Nachfrage bestimmt das Angebot. Je mehr Leute sich gegen aufwendig
verpackte Waren entscheiden, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Märkte
einen Trend bemerken und die Hersteller schließlich zum Umdenken gezwungen
werden.
Einige Hersteller haben das bereits erkannt und
verzichten auf Karton-Banderolen oder andere Verpackungselemente, die keinen
praktischen Nutzen haben und unnötigen Müll erzeugen.
Aber was ist, wenn ich keine Wahl habe und das Produkt
nur aufwendig verpackt kaufen kann? Einfach die Verpackungen im Supermarkt lassen. Dort
stehen ja Recycling-Mülleimer. Die sind allerdings
nicht darauf ausgelegt, viel Verpackungsmüll
aufzunehmen und haben meist wenig Fassungsvermögen sowie
schmale Einwurfschlitze.
Nicht ganz unabsichtlich.
Supermärkte sind nicht daran interessiert, dass jeder Kunde einen Haufen Müll bei seinem Einkauf hinterlässt.
Die Märkte müssen den Müll schließlich auf eigene Kosten entsorgen. Hier
können Kunden also Druck machen: Je
mehr Verpackungsmüll sie noch vor Ort wegwerfen, desto teurer
wird es für die Märkte. Irgendwann werden diese genug
haben und die Botschaft an die Hersteller weitertragen: Weniger
Verpackung bitte!