
Gisèle Pelicot wird bereits als feministische Ikone dafür gefeiert, sich öffentlich gegen die Scham von Vergewaltigten zu stellen.Bild: imago images / ABACAPRESS
Analyse
19.12.2024, 10:3120.12.2024, 16:23
Triggerwarnung: Im folgenden Text geht es um sexualisierte Gewalt, die teilweise explizit beschrieben wird.
In Frankreich wurde in den vergangenen Monaten ein Fall verhandelt, der so furchtbar ist, dass ihn viele fassungslos verfolgt haben: Dominique Pelicot, 71, hat über etwa neun Jahre hinweg seine eigene Frau mit verschreibungspflichtigen Schlafmitteln und Medikamenten gegen Angststörung bewusstlos gemacht und sie in diesem Zustand von vielen Männern vergewaltigen lassen. Während er zusah. Und Fotos machte. Und filmte. Aktiv mit den Tätern Positionen absprach, ihnen dabei half, seine Frau so zu legen, dass die Männer bekamen, was sie wollten.
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Über ein Internetportal bot er seine Frau Gisèle in einem Chat an, dessen Name aus dem Französischen übersetzt "ohne ihr Wissen" bedeutet. Es kamen hauptsächlich Fremde, aber auch Nachbarn. Eine genaue Zahl lässt sich nicht nennen, die Berichte dazu gehen auseinander. Falls jemand seine Frau vorab sehen wollte, machte er einen Zeitpunkt in einem Supermarkt aus, sodass seine Frau von den Tätern "begutachtet" werden konnte. Er führte sie vor, wie ein Zuchtpferd auf einer Auktion.
Auf der Anklagebank: Herr Jedermann
Auf der Anklagebank saßen neben Herrn Pelicot jedenfalls 50 weitere Männer. Die restlichen 20 bis vermutlich 30 Täter konnte die Polizei nicht identifizieren. Die Männer lebten in einem Radius von höchstens 50 Kilometer um das Haus der Pelicots, die meisten hatten ihren Wohnsitz nur 10 bis 20 Kilometer entfernt.
Nun wurde das Urteil verkündet: Dominique Pelicot wurde wegen schwerer Vergewaltigung zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Alle 50 Mitangeklagten wurden ebenfalls schuldig gesprochen und zu Gefängnisstrafen zwischen drei und 15 Jahren verurteilt. Dabei blieben die Richter teilweise hinter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück. Bei zwei der Mitangeklagten wurde die Haft zur Bewährung ausgesetzt.
Der jahrelange sexuelle Missbrauch sowie die regelmäßige Einnahme der Medikamente führte bei Gisèle Pelicot zu Schlafstörungen, gynäkologischen Problemen, Gedächtnisverlust und Depressionen. Kaum einer der Männer soll mit Kondom verhütet haben. Ihre körperlichen Kollateralschäden gingen so weit, dass sie befürchtete, an Alzheimer oder einem Gehirntumor erkrankt zu sein. Auch soll sie sich sehr von ihren Kindern und Enkelkindern zurückgezogen haben, schreibt die "Deutsche Welle".
Die 50 Männer, die sich neben dem (inzwischen Ex-)Ehemann von Gisèle Pelicot vor Gericht zu ihren Taten äußerten, sind aktuell zwischen 27 und 74 Jahre alt. Darunter: Familienväter, Großväter, ein Gärtner, ein Feuerwehrmann, ein Journalist. Nur wenige waren zuvor bereits straffällig gewesen. Sie bilden die französische Durchschnittsgesellschaft ab. Deswegen werden sie auch "Monsieur Tout le Monde", also Herr Jedermann, genannt.
Bis auf die Tat der Vergewaltigung haben all die Männer nur eine Sache gemeinsam: Keiner von ihnen hat die Geschehnisse bei der Polizei oder einem Arzt gemeldet. Nicht einen einzigen anonymen Tipp gab es in den fast zehn Jahren, der Gisèle Pelicot viel Leid hätte ersparen können.
Gisèle Pelicot: Die Ausreden ihrer Vergewaltiger
Nun stellt sich die Frage: Wie verteidigen sich die Männer? Ein Drittel von ihnen räumte die Vergewaltigung ein. Eine Strategie, die sehr viele der restlichen Angeklagten fuhren: Zu behaupten, sie hätten keine Vergewaltigung beabsichtigt. Sie hätten geglaubt, das Ganze sei ein einvernehmliches Sexspiel eines freizügigen Paares.
Manche sagen auch, Herr Pelicot habe sie manipuliert und nicht deutlich genug gemacht, dass die Frau tatsächlich bewusstlos sei – und sich nicht nur schlafend stelle. Auch seien viele davon ausgegangen, dass das Vorgehen schon in Ordnung sei – der Ehemann habe es ja in die Wege geleitet.
Bei diesen Aussagen wird deutlich, dass die Männer in diesem Prozess Frauen nicht als eigenständige Personen oder vollwertige Menschen betrachten. Sie gaben keinen Wert auf ihre ausdrückliche Einwilligung – die man sich auch bei Sexspielen jeder Art holen muss.
Einer der Männer sagte, laut französischem Recht habe sein Körper Gisèle Pelicot wohl vergewaltigt – sein Hirn jedoch nicht. Schließlich sei er nicht in der Absicht einer Vergewaltigung zum Haus der Pelicots gekommen...
Hört man diesen Aussagen zu, wirkt es, als wären diese Männer Schuljungen, denen man erst hätte erklären müssen, dass man so nicht mit anderen Menschen umgeht. Dass Frauen nicht für ihr Vergnügen verwendet werden dürfen.
Eine Partnerin eines Angeklagten wollte ihren Mann in Schutz nehmen und sagte laut Bericht des "Spiegel", "wenn ihr Mann tatsächlich hätte vergewaltigen wollen, hätte er sich eine hübschere Frau ausgesucht." Die internalisierte Misogynie wird hier deutlich: Anstatt einem Vergewaltigungsopfer beizustehen, wird sie auf ihr Äußeres reduziert und ihre Glaubhaftigkeit abgesprochen.
Aber es sind nicht nur die Täter und ihre Angehörigen vor Gericht, die nicht viel Geistreiches beizutragen haben. Der Bürgermeister von Mazan, in dem sich der jahrelange Missbrauch zugetragen hat, sagte laut einem Beitrag im "Zeit" Podcast "was jetzt" (Folge vom 17. Oktober 2024), dass das ganze noch schlimmer hätte kommen können. Immerhin habe Herr Pelicot sich nicht an Kindern vergriffen.
An dieser Aussage sind gleich zwei Dinge fürchterlich: Zum einen sollen die Enkelkinder von Pelicot berichtet haben, dass ihr Großvater sehr wohl "Doktorspiele" mit ihnen spielen wollte. Zum anderen diskreditiert es den Missbrauch an einer Frau, der sich fast über ein Jahrzehnt zog und der von vermutlich über 80 Männern begannen worden sein soll. Fast, als würde der Bürgermeister sagen, dass eine Erwachsene sowas schon aushalten könne. Sich nicht so anstellen solle. Das alles nicht so dramatisch sei. Es hätte ja schlimmer kommen können.
Dass diese Aussage Gewalt an Frauen relativiert – darüber dürfte der Bürgermeister sich in dem Moment wohl kaum Gedanken gemacht haben.
Sexualisierte Gewalt: Das Schweigen der Männer
Was bei der Recherche zu diesem Thema ebenfalls deutlich wird: Es gibt dazu kaum Beiträge von Männern. Für "Zeit", "Spiegel", "Stern", Deutschlandfunkkultur schrieben die größeren Stücke hauptsächlich Frauen. In Podcasts und aus dem Gerichtssaal berichteten hauptsächlich Frauen. Bei den Protesten gegen sexualisierte Gewalt vor dem Gericht finden sich hauptsächlich Frauen ein. Gerade bei solchen Ereignissen wird das Schweigen der Männer für FLINTA*-Personen unüberhörbar laut.
Männer könnten in solchen Momenten viel bei anderen Männern bewegen, wenn sie sich klar distanzieren, mit FLINTA* auf die Straße gehen, Männer auf sexistische Äußerungen und Verhaltensweisen ansprechen. Aber sie tun es nicht. Und das fällt auf.
Es ist natürlich nichts Neues, dass Menschen sich meist nur gegen Diskriminierung wehren, die sie selbst betrifft. Von Rassismus betroffene Menschen stehen bei Demos gegen Rassismus in der ersten Reihe, von Ableismus betroffene Menschen müssen viel Aufklärungsarbeit leisten, um Stigmata gegen sich selbst aufzubrechen.

An jedem Prozesstag versammelten sich viele Frauen vor dem Gericht, um Gisèle Pelicot beizustehen.Bild: AP / Aurelien Morissard
Immerhin: Der Prozess hat in Frankreich Gespräche über eine neue gesetzliche Regelung, die eine ausdrückliche Zustimmung zu sexuellen Handlungen verlangt, in die Wege geleitet, berichtet die "Zeit".
Was der Fall bereits jetzt geschafft hat, ist ein Umdenken zum Thema Vergewaltigung. In einer der zahlreichen Prozess-Sitzungen sagte Gisèle Pelicot den viel zitierten Satz: "Die Scham muss die Seite wechseln." Frauen sollen sich nicht länger dafür schämen müssen, wenn ihnen sexualisierte Gewalt angetan wird, fordert sie. Sondern die Täter.
Hinweis: Solltest du, oder jemand, den du kennst, von sexualisierter Gewalt betroffen sein, findest du Hilfe unter der kostenlosen Hotline 08000 – 116 016 oder unter www.hilfetelefon.de.
Erfolgreiche Frauen haben es schwer auf dem Singlemarkt. Eine Deutsche will das ändern und startet eine Dating-App, in der nur wandelnde Green Flags willkommen sind: nämlich Männer, die kein Problem mit ehrgeizigen Partnerinnen haben. Dafür bürgen ihre Schwestern, Kolleginnen und Co.
Die Idee zur App hatte Bianca Praetorius, weil sie jeden Tag umgeben ist von ambitionierten Frauen, die unfreiwillig Single sind. Die Deutsche glaubt, dass es Männer braucht, die "mit sich selbst im Reinen sind und um ihren Wert wissen", um ein gelungenes Match herzustellen. So ist es auf der Website von "Cherrish.One" formuliert.