Freiburg hat vieles. Heidegger und seine Philosophie des Seins. Die Freiburger Schule und die Ökonomie des Marktes. Den Fußballbundesligisten SC mit seinem leicht kauzigen Trainer Christian Streich, die Bächle, kleine Wasserläufe, die stete Erfrischung bieten. Und: Dieter Salomon, 57, erster Grünen-Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt. Am Sonntag aber muss Salomon um seine Wiederwahl fürchten. Und schon sehen Medien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Niedergang der Grünen aufziehen. Hier kommen 3 Punkte, die zeigen, warum die Abstimmung auch über Freiburg hinaus Auswirkungen haben könnte, nicht nur für die Grünen.
Dieter Salomon, 57, ist ein Muster-Realo und enger Freund des baden-württembergischen Regierungschefs Winfried Kretschmann, (beide Grüne). "Salomon hat die Stadt Freiburg voran gebracht. Er verdient alle Unterstützung – selbstverständlich auch meine", sagt Kretschmann.
Schon Salomons Promotion rüttelte 1991 an einem Grünen-Dogma: der Basisdemokratie. "Grüne Theorie und graue Wirklichkeit" lautete der Titel der Arbeit und Salomon wies empirisch nach, dass das mit der Basis und den Grünen zwar in der Theorie gut klingt, aber in der Praxis nicht funktioniert. Mangels Beteiligung.
Im Jahr 2002 dann wurde Salomon in Freiburg zum Oberbürgermeister gewählt. Erstmals in einer deutschen Großstadt übernahm ein Grüner die Amtsgeschäfte im Rathaus. Uni-Stadt klar. Aber eben auch Zentrum im wertkonservativen Schwarzwald.
Und so war Salomon ein Vorbote von Schwarz-Grün. Die CDU stellte für die Wahl am Sonntag keinen eigenen Kandidaten auf. Die Union unterstützt den Amtsinhaber.
Martin Horn, 33, ist im beschaulichen Annweiler am Trifels in der Pfalz geboren. Keine gute Voraussetzung für eine Karriere in Baden. Pfälzer und Badener fühlen sich soziokulturell fremd. Der Pastorensohn arbeitet als Europabeauftragter der Stadt Sindelfingen. Keine gute Voraussetzung für eine Karriere in Baden, Teil II: Auch Schwaben und Badener fühlen sich soziokulturell fremd.
Horn ist parteilos. Er wird von der SPD und der FDP unterstützt. Im ersten Wahlgang im April holte er mit 34,7 Prozent die meisten Stimmen. Amtsinhaber Salomon landete mit 31,3 Prozent überraschend nur auf Platz 2.
Horn war bis zum Wahlkampfauftakt im Januar unbekannt in der Stadt. Er gibt den smarten Außenseiter. "Ich finde, kostenloses WLAN in städtischen Gebäuden – oder auch in Straßenbahnen – sollte für eine Stadt des 21. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit sein", sagt er in Interviews oder im Kampf gegen die Wohnungsnot: "Ich werde ein Leerstandskataster einführen. An verschiedenen Stellen sieht man Häuser, Wohnungen oder brach liegende Bauflächen, die ungenutzt sind."
Seine wichtigste Botschaft aber lautet: 16 Jahre Salomon sind genug.
Natürlich geht es um eine Kommunalwahl. Aber die hat eine Bedeutung weiter über Freiburg hinaus.
Die Uni-Stadt ist so etwas wie die Öko-Mustermetropole Deutschlands. Ins Quartier Vauban, einem alten Kasernengelände, strömen Gäste aus aller Welt, um zu sehen, wie das funktioniert mit Strom aus Solarzellen, Elektroautos und selbstverwalteten Bioläden.
Weltveränderung allein durch bewussten Konsum? Eine Niederlage Salomons in Freburg würde auf zarte Risse in der heilen grünen Weltwahrnehmung hinweisen. Und auch Zweifel am grün-schwarzen Modell auf Landesebene aufkommen lassen. Schon zuletzt hatte es zwischen Grünen und CDU kräftig geknarzt, etwa
Grünen-Dämmerung im Ländle? Noch ist es zu früh für einen Abgesang. Aber die Dinge kommen in Bewegung.
Es sei ein "Last-Minute-Wahlkampf", sagt Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg. War sich Salomon seiner Wiederwahl schon früh sicher, muss er nun um Sieg und Amt kämpfen.
Auch der Amtsinhaber gibt sich kritisch. Es gehe, vermutet er, um "Stilfragen und Befindlichkeiten". Zudem gebe es, wie überall, einen Trend gegen das Establishment, also die etablierte Elite.
Die Grünen als Teil des Teil des erstarrten Establishments? Ein hartes Eingeständnis der selbsternannten Regierungspartei.
(mit dpa/afp)