Wir werden geboren und dann fangen wir an zu lernen: Was sich gehört, was von uns erwartet wird. Was wir besser lassen und für was wir gelobt werden.
Wir lernen diese Dinge und sie prägen unser Leben. Ein ganzes Leben lang.
Wir lernen nicht alle die gleichen Dinge, klar. Aber was wir alle lernen: Wie man Mädchen ist, oder ein Junge.
Mädchen lernen kochen und werden Lehrerin; lernen Unschuld und Schönheit, lernen flauschig und niedlich. Rosa, Glitzer, Krönchen.
Jungs lernen Pilot und Automechaniker, lernen wild und abenteuerlustig, lernen tapfer sein, wild und stark. Blau, Streifen, Bauhelm.
Klingt viel zu übertrieben? Viel zu stereotyp? Viel zu 50er Jahre?
Absolut.
Aber auch im Jahr 2018 sind diese starren Geschlechterrollen noch äußerst stabil. Ein Blick in eine Kinderbekleidungsabteilung zeigt das.
Ein Recherche-Team der "Schleswig-Holsteinischen Zeitung" hat sich die Produktwelt von Kinder-Bekleidung systematisch angeschaut. Gut 3.000 Oberteile aus den Online-Shops der drei größten Textileinzelhändler in Deutschland (Otto, C&A und H&M) hat das Team ausgewertet. Und dabei festgestellt: Diese Welt fällt in zwei Teile. Und diese Teile sind rosa und blau. Rosa für Mädchen, blau für Jungen.
Mit diesem sogenannten Gendermarketing werden nicht einfach nur unterschiedliche Interessen oder Geschmäcker bedient, damit werden auch Interessen beeinflusst, Geschmäcker geformt und in letzter Konsequenz auch Leben gestaltet.
Denn was wir als Kinder lernen, hält sich ziemlich hartnäckig in unseren Köpfen. Es lässt sich nur mühsam verlernen. Wenn überhaupt.
Machen wir's konkret und schauen uns die Auswertung der SHZ genauer an. Das Team hat zwei Aspekte der Kleidung genauer unter die Lupe genommen: Farben und Motive.
Die Farbe, die am häufigsten in der Kinderkleidung vorkommt, ist grau. Vermutlich, weil die Farbe neutral und somit gut zu kombinieren ist, wie die Redakteure schreiben. Bei Platz zwei geht es dann allerdings mit den Unterschieden los:
Nun gibt es weder an Blau noch an Rosa per se etwas auszusetzen, aber wenn Farben so dezidiert einem Geschlecht zugeteilt werden, wird damit auch das Spektrum kleiner, in dem sich Mädchen und Jungen entfalten können.
Denn was macht ein Mädchen, das die Farbe Blau lieber mag? Ein Junge, der die Farbe Rosa liebt?
Die starre Einteilung in rosa/Mädchen und blau/Junge schließt aus und signalisiert allen, die sich damit nicht wohlfühlen, unterschwellig auch, möglicherweise in der falschen Kategorie zu sein. Wer als Mädchen blau liebt, wird so schnell zum "Jungen" und umgekehrt. So werden Geschlechterbilder zementiert.
Und nicht nur das: Sie werden zusätzlich noch mit bestimmten Normen aufgeladen. Denn Blau und Rosa sind nicht einfach nur Farben, sie signalisieren Eigenschaften:
Solche Zuteilungen nennt man normativ: So ist es nicht nur, so soll es auch sein.
Aber auch die unterschiedlichen Motive in der Kinderkleidung lassen sich sehr eindeutig unterscheiden. Hier die häufigsten Motive, wie sie das Team der SHZ ermittelt hat:
Die häufigste Kategorie ("Tier") ist ebenfalls deutlich gegendert:
Auch in der Motivwahl wird also deutlich, dass Mädchen und Jungen jeweils mit anderen Eigenschaften und Vorlieben assoziiert werden.
"Mädchen werden durch die Auswahl an Motiven eher die Attribute niedlich und zurückhaltend zugeschrieben. Auch erscheinen Themen wie Fürsorge und Emotionalität relevant", erklärt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in der SHZ, "nach der Verwendung der Motive sollen Jungen hingegen eher wild, draufgängerisch und technikorientiert sein."
Wie gesagt: Kinder lernen schnell und mit diesen Bildern lernen sie vor allem, was sie unterscheidet bzw. unterscheiden soll. Eine Erhebung der TU Berlin hatte vor drei Jahren schon gezeigt, dass die englischen Begriffe, welche am häufigsten auf Mädchen-, bzw. Jungs-Shirts gedruckt sind, sehr eindeutige Zuschreibungen vornehmen:
Nun könnte man sagen: Naja, sind ja nur Kinderklamotten. Ob ein Junge nun mit blauem "strong"-Schriftzug auf der Brust rumläuft oder ein Mädchen mit glitzerndem "lovely" – wird schon nicht so tragisch sein.
Könnte man denken, aber wie gesagt: Diese erlernten Unterschiede sind hartnäckig. Und sie haben eben auch Einfluss auf das weitere Leben. Denn wer schon als Kind gelernt hat, mit einem Bagger durch die Gegend zu brausen und sich mutig im Sandkasten zu tollen, der er-lernt eben andere Fähigkeiten, als jemand der Ponyhaare striegelt und für sein Lächeln gelobt werden will.
Diese Dinge haben Einfluss darauf, wie wir uns im Erwachsenenalter gegen Dinge wehren können, wie wir unseren Platz im Leben behaupten, welchen Beruf wir ergreifen und wie viel Geld wir also verdienen. Wie stark uns diese frühkindliche Prägung auf Rollen festlegt, ist durch zahlreiche soziologische und psychologische Studien belegt.
Rosa vs. blau.: Wenn wir also nicht dafür sorgen, dass es in Kinderabteilungen bald etwas bunter zugeht, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn es auch 2019 in einigen Bereichen noch aussehen wird wie 1950.