"Meine Kollegin hat mir einen Bekannten vorgeschlagen, den ich unbedingt mal zu einem Blind Date treffen sollte. Als sie mir dann ein Foto von ihm zeigte, dachte ich nur: ‘Oh nein, nicht schon wieder.’ Denn er war dick."
Das erzählt mir meine Freundin Lisa. Sie erzählt es mir, um zu zeigen, wie Leute mit ihr als dicker Frau umgehen. Ganz automatisch, ohne groß nachzudenken.
"Ich bin dick. So sehen mich zumindest alle. Und dick heißt für die meisten nicht attraktiv. Deswegen werde ich automatisch nur anderen Dicken als Date vorgeschlagen. Weil 'wir' angeblich in einer anderen Liga spielen."
Was Lisa mir erzählt hat, hat mich nachdenklich gemacht. Ich finde es grausam, wie Lisa nur wegen ihres Gewichts von ihren Mitmenschen schon in die Kategorie "not so hot" abgeschoben wird und dort dann bitteschön mit anderen Menschen, mit denen sie vielleicht gerade mal den BMI teilt, zusammenpassen soll.
Mich hat es aber auch nachdenklich gemacht, weil ich mich selber schon bei solchen Gedanken ertappt habe. Dabei ertappt habe, wie ich Menschen wegen ihres Körpergewichts in Schubladen gesteckt habe. Auch charakterlich.
Schlank sein, oder zumindest so zu wirken, ist die Norm. Es ist die Norm, und damit sagt es auch etwas über die Menschen aus, die als schlank wahrgenommen werden. Ein schlanker Körper wird als schöner, gesünder, fitter, disziplinierter wahrgenommen. Ob die Person fit, gesund, diszipliniert ist, oder nicht.
Vor allem für Frauen gilt dieses Schlankheitsideal. Und es ist nicht nur einfach ein Ideal – etwas, das wir im Alltag ignorieren könnten. Es bestimmt unseren Alltag. Ganz konkret.
Ein Beispiel: Schlankere Frauen verdienen mehr als dickere Frauen.
Das haben Forscher des Instituts zur Zukunft der Arbeit herausgefunden. In einer Studie konnten sie zeigen, dass Frauen, die einen BMI von 21,5 hatten, im Vergleich am besten verdienten. Dabei lagen übergewichtige Frauen zum Teil bis zu 12 Prozent unter dem Gehalt der sehr Schlanken.
Schlankheit wird mit Attraktivität assoziiert, so die Forscher, und das wirke sich auf die Bewertung der Arbeitsfähigkeit aus.
Wer dünn ist, genießt also Vorteile, die dickere Menschen nicht haben. Einfach so. Das wird von Online-Aktivisten "thin privilege" genannt – Beispiel dafür werden zum Beispiel auf dem Tumblr "thisisthinprivilege" gesammelt.
Auf Twitter hat die Bloggerin Cora Harrington dieses Phänomen gerade in einer Reihe von Tweets erklärt.
Klar, "thin privilege" heißt nicht, dass dünne Menschen nicht auch durch andere körperliche Merkmale diskriminiert werden können. Wer eine große Nase, unreine Haut oder abstehende Ohren hat, wird abschätzige oder bemitleidende Blicke und Kommentare von Mitmenschen auch kennen. Genauso wie Leute, die als "zu dünn" wahrgenommen werden.
"Aber wenn ich dann höre, wie jemand Superschlankes sagt, sie leide so unter ihren krisseligen Locken, dann denke ich immer: 'Dann geh doch zur Diskriminierungsmeisterschaft!'", meint Lisa, als ich mit ihr darüber rede.
"Ich will niemandem sein Körpergefühl wegnehmen", erklärt sie, "aber ich will, dass die ganzen 'Dünnen' endlich mal sehen, wie selbstverständlich sie sich als Norm wahrnehmen. Und wie ich mich fühle, wenn sie mich wie einen Menschen zweiter Klasse behandeln. Auch wenn es nicht böse gemeint ist."