Vor einem Jahr habe ich ihn aus meiner Twitter-Bio gelöscht. Er war mir irgendwie unangenehm. Fast peinlich. Er kam mir vor wie etwas, das da eigentlich nicht hingehört. Angeberisch.
Dabei bin ich stolz auf diesen Titel. Ich habe ihn nicht geschenkt bekommen. Ich habe ihn mir hart erarbeitet.
Dreieinhalb Jahre lang. Ich habe Bücher gelesen, in Archiven nach jahrhundertealten Texten gesucht. Habe über Theorien nachgedacht und aus all dem ein Buch geschrieben, das ein renommierter Wissenschaftsverlag veröffentlicht hat. Mit einem Stipendium.
Zwei Professorinnen und ein Professor löcherten mich zum Abschluss mehrere Stunden lang mit Fragen. Ich habe mit einer Eins bestanden.
Der Titel hat mich stolz gemacht. Ich hätte ihn zunächst am liebsten überall hingeschrieben: ans Klingelschild, auf meine Bahncard, an den Briefkasten. Wenn ich meine Leistungen allerdings heute so aufliste, werde ich fast rot vor Scham. Mein anfänglicher Stolz ist weg. Die Stimme in mir sagt:
Mensch, Gunda, gib doch nicht so an. Einfach nur peinlich!
Ich erwähne den Titel nur sehr selten. Auf was ich einmal so berstend stolz war, ist mittlerweile zum Gimmick geworden und wird eher zufällig entdeckt:
“Ach, krass, du bist Frau Doktor?!”
“Ach, ja, bin ich.”
Ende des Gesprächs.
"Bescheidenheit ist eine Zier" ist kein Satz, den mir meine Eltern jemals beigebracht hätten, ich habe ihn trotzdem aufgesogen. Als Mädchen lernt man früh: nicht auf dicke Hose machen, lieber still sein, als laut. Und nicht zu viel von sich selber reden. Nur über die eigenen Fehler lachen. Lieber ein bisschen dumm, als zu schlau.
Und wenn das Mädchen dann erwachsen wird, bleibt es am besten bescheiden.
Und so wählen viele Frauen die einfacher erscheinende Bescheidenheit. Die versteckt leider unsere Kompetenz.
Ich möchte gemocht werden. Ich möchte nicht negativ auffallen. Aber mich nervt, dass ich das Gegenteil riskiere, wenn ich erzähle, was ich erreicht habe. Im Sinne von: "Boah, was ist denn das für Eine?!"
Ich saß neulich in einer Runde, in der sich ein Mann als “Philosoph” vorstellte. Er war zwei Jahre älter als ich. Er hatte seine Doktorarbeit noch nicht abgeschlossen und derzeit keinen Job. Mit anderen Worten: Student, Ende Dreißig.
Ich bewunderte die Selbstverständlichkeit, mit der er darauf bestand, Philosoph zu sein. Die anderen Personen nickten anerkennend, ui, ein Philosoph. Ich hätte mich auch als Literaturwissenschaftlerin vorstellen können, sogar promoviert! Aber, ganz ehrlich, da hätte ich mir lieber die Zunge abgebissen.
Ich unterschlage den Titel, weil ich schon oft erlebt habe, wie abschätzig Menschen darauf reagieren: “Aha, naja, da hätte ich ja keinen Bock drauf gehabt.” Oder wie Gesprächspartner sich überlegen, wie sie die Arbeit bewerten sollen: "Und das ist relevante Forschung?"
Dabei ist das gar nicht der Punkt. Viele sind in der Regel akademisch gar nicht in der Lage, meine Arbeit zu bewerten. Außerdem wurde sie bereits bewertet. Von Professoren. An einer Universität.
Ich kenne auch ganz andere Gefühle. In mir drin steckt nämlich sehr wohl das Bedürfnis zu sagen: Seht mal her. Ich hab was geschafft! Ich hab was geschafft, was echt anstrengend und anspruchsvoll war, aber weil ich gut bin und diszipliniert und mich durchgebissen habe, hab ich es geschafft. Ich BIN Literaturwissenschaftlerin.
Ich halte mich zurück, wenn mir mal wieder jemand einen Roman oder ein Theaterstück mit ganz einfachen Worten erklären will, obwohl ich die Person mit Fachausdrücken genauso gut platt quatschen könnte. “Genauso gut” schreibe ich. Ich meine: Besser!
Ich habe, als mein Doktortitel noch in meiner Autorenbiografie stand, oft Zuschriften von Leserinnen und Lesern bekommen. Sie fragten, an welcher Baumschule ich denn meinen Doktor gemacht hätte oder ob ich mich nicht schämen würde, über “unakademische” Themen zu schreiben und dabei noch Gifs zu verwenden. Ich habe dann irgendwann den Weg des geringsten Widerstands gewählt. Und bin still geworden.
Ich bin nicht die Einzige, der es so geht. Auf Twitter musste sich die Historikerin Fern Riddell mit Usern herumschlagen, die ihren Doktortitel in Frage stellten.
Riddell ließ sich nicht unterkriegen und ließ den Titel in ihrem Profil. Viele andere Frauen folgten ihr und teilten ihre Erfahrungen:
Mich haben diese Tweets sehr berührt. Weil sie mir zeigen, dass diese doofe Bescheidenheit alles andere als eine Zier ist. Sie mag einfacher sein. Aber sie wird mir nicht gerecht. Sie wird uns allen nicht gerecht, sie bringt uns nicht weiter. Wer gehört werden will, muss zeigen, wer er ist. Wir sollten stolz auf uns sein.
Mir fällt das sehr schwer, aber ich ziehe das jetzt durch. Ich fange mit meinem Twitter-Profil an. Und ich würde mir wünschen, dass wir alle damit anfangen. Keine Bescheidenheit mehr. Im englischsprachigen Raum twittern Frauen ihre Errungenschaften mit dem Hashtag #immodestwomen. Ich schlage für Deutschland einen anderen vor:
Wir waren lange genug bescheiden. Es hat uns nichts gebracht. Probieren wir etwas Neues. Und wenn mal wieder jemand fragt, ob das denn ein richtiger Doktortitel ist, dann frage ich ihn, ob er das überhaupt beurteilen kann.