Ein Privileg erkennt man ja oft erst dann, wenn man es nicht mehr hat. Zum Beispiel das Privileg, eine eigene Waschmaschine zu besitzen.
Als Kind stand eine dieser klobigen Miele-Geräte bei uns im Keller. Meine Mutter hatte sie zeitweise jeden Tag im Einsatz. Später zu Studienzeiten waren es dann eher irgendwelche klapprigen No-Name-Maschinen, die von einer WG-Generation zur nächsten übergeben wurde.
Immer war sie da, hat sich ohne Murren mit meiner Dreckwäsche vollstopfen lassen und sie nach ein oder zwei Stunden sauber wieder ausgespuckt. Darauf konnte ich mich verlassen. Ein Privileg, das ich nicht als solches anerkannt habe.
Tja, und jetzt in Berlin habe ich keine Waschmaschine. Und da mein Budget begrenzt ist und ein Bett, ein Schreibtisch und ein Kühlschrank Priorität haben, wird es auch erst mal so bleiben.
Nun könnte ich mir auf den gängigen Verkaufsplattformen eine gebrauchte Maschine kaufen. Aber großes Vertrauen, dass sie noch lange ihr Ding macht, habe ich nicht. Und da meine Schultern zusätzlich nicht breit genug sind, um so ein wuchtiges Gerät in den vierten Stock ohne Aufzug zu transportieren, bleibt mir nur eine Möglichkeit: ein Waschsalon.
Der Waschsalon ist für einige Menschen fast schon ein mythischer Ort: In Action-Filmen wickeln dort schmierige Gangster ihre Deals ab. Und in Rom-Coms trifft ein verträumter Charakter unverhofft auf die Liebe seines Lebens. Manchmal aber, ist er Ausgangspunkt einer wilden Odyssee durch unzählige Paralleluniversen, wie in dem Science-Fiction-Film "Everything Everywhere All at Once".
Im echten Leben sind Waschsalons allerdings nicht allzu mythisch. Ohne je einen betreten zu haben, dachte ich lange an kaltes Licht auf weißen Fließen, klapprige Sitzgelegenheiten und skurrile Gestalten, mit denen man ungern zwei Stunden im gleichen Raum verbringen will. Die uralten Waschmaschinen waren in meiner Vorstellung so oft benutzt worden, dass die Wäsche danach mehr müffeln würde als zuvor. Ein absoluter Hygiene-Horror.
Meine Begeisterung, einen Waschsalon aufzusuchen, hielt sich also in Grenzen. Aber wenn die Zahl frischer Unterhosen von Tag zu Tag schwindet, hat man irgendwann keine Wahl mehr. Also packe ich meine Schmutzwäsche samt Waschmittel in eine blaue Ikea-Tasche und gehe los. Ganze 4,8 Sterne bei über 700 Bewertungen auf Google Maps. Ganz so schrecklich kann es dort ja nicht sein, denke ich.
Als ich den Waschsalon betrete, sehe ich viele Bilder an den Wänden, auf einem großen Tisch stehen frische Blumen und es liegen Zeitungen aus. Im Sonnenlicht glänzen die aufgereihten Waschmaschinen um die Wette. Hygiene-Horror sieht anders aus.
Von einem Mitarbeiter werde ich freundlich begrüßt und bekomme direkt eine blitzblanke Maschine zugewiesen. Schmutzwäsche rein, Waschmittel dazu, passendes Programm aussuchen und los geht's.
Anfangs hatte ich befürchtet, zwei oder drei Stunden an diesen Ort gekettet zu werden, aber das Waschprogramm soll gerade mal 49 Minuten dauern. Hier jagt eine positive Überraschung die nächste.
Während im Hintergrund leise Jazz-Musik läuft und einige Waschmaschinen leise vor sich hin brummen, setze ich mich an den Tisch und sortiere am Laptop mein Mail-Postfach, das seit Wochen überquillt. Es dauert nicht lange, bis ich spüre, wie sich eine Grundentspannung bei mir einstellt.
Die Kund:innen, die in der Zwischenzeit in den Waschsalon kommen, lassen sich nicht in einen Topf werfen. Egal ob Studentin, Familienvater oder ein älteres Ehepaar – hier scheint jede:r seine Wäsche zu waschen. Komische Käuze entdecke ich an diesem Samstagmorgen keine.
Als in meinem Postfach irgendwann keine ungelesenen Mails mehr zu finden sind, fühlt sich mein Verstand direkt viel klarer an, so als hätte jemand einmal frisch durchgewischt. Dadurch habe ich auch den Kopf frei, um mich umzuschauen.
Und dabei offenbart sich, dass ich wohl nicht nur in einem Waschsalon, sondern auch in einem Museum gelandet bin. In dem Regal über dem Kaffeeautomaten und der Kasse stehen zahlreiche Waschmittelverpackungen von Persil oder Tandil, die schon Jahrzehnte alt sein müssen.
An der Wand gegenüber hängt ein Poster. Darauf zu sehen: Dreiecke, Quadrate und Bottiche – die Hieroglyphen der Textilpflege. Hier bekomme ich sie endlich entschlüsselt.
Daneben hängen Bilder von Picasso, Matisse und Hokusai. Feinste Kunst und Kultur. Im Vergleich dazu können manche Berliner Museen einpacken!
Aber der Waschsalon beeindruckt nicht nur auf künstlerischer Ebene. Für mich fühlt es sich fast wie ein kurzer Wellnesstrip an. Als ich mich wieder hinsetze, komme ich in den Genuss einer leichten Rückenmassage. Die größte Waschmaschine im Salon – sie heißt dem Aufkleber zufolge Chantal – geht in den Schleudergang über. Ich sitze direkt vor ihr, sodass mein Stuhl fast wie in einem Massagesessel vibriert.
Das monotone Surren der anderen Waschmaschinen wirkt zusätzlich wie eine Klangmeditation. Ich komme immer mehr zur Ruhe. Eigentlich will ich dann noch in einem Buch lesen, das ich mitgebracht habe. Aber der Trockner vor mir dreht sich und dreht sich und dreht sich. Meine Augen werden schwer, der Stress der Arbeitswoche fällt von mir ab, meine Atmung wird immer ruhiger. Ich bin eins mit mir selbst. Ich bin eins mit dem Trockner.
Am Ende ertönt zwar kein Gong, aber irgendwo klackt eine Maschine und ich komme wieder zu Sinnen. Die 49 Minuten sind tatsächlich schon vorbei und ein kurzer Testriecher verrät: Die Wäsche müffelt nicht, sondern riecht wie erhofft nach meinem Waschmittel.
Fünf Euro kostet mich der Waschgang am Ende. So entspannt wie ich aus diesem Waschsalon herausgehe, war es mir das alle mal wert. Anderswo hätte ich für eine Wellness-Behandlung mit ähnlichem Effekt wahrscheinlich das Zehnfache gezahlt!
Aber Spaß beiseite: Meine erste Waschsalon-Erfahrung hat mich wirklich positiv überrascht. Die Maschinen waren sauber, der Waschgang hat noch nicht mal eine Stunde gedauert und ich bin deutlich entspannter gegangen als ich gekommen bin.
Das lag zum einen daran, dass Mitarbeiter:innen immer ein Auge auf die Waschmaschinen haben, anders als beim Self-Service. Sie achten darauf, dass alles in geregelten Bahnen läuft und eine angenehme Atmosphäre herrscht.
Zum anderen habe ich mich bewusst dagegen entschieden, mir Instagram-Reels in Dauerschleife anzuschauen, bis meine Wäsche wieder sauber ist. Denn beim Doom-Scrolling finde ich selten meine innere Mitte.
Seit dieser ersten Waschsalon-Erfahrung war ich schon zwei weitere Male dort und habe es nun gar nicht so eilig, mir eine eigene Waschmaschine zuzulegen. Auf Dauer wird es sich wahrscheinlich nicht rechnen, aber der Salon liegt bei mir um die Ecke und hat täglich bis 22 Uhr geöffnet.
Abgesehen davon habe ich das Gefühl, nachhaltiger zu waschen. Das weiße Hemd mit dem Tomatensoßenfleck kann ich nämlich nicht mal eben in die Trommel werfen. Stattdessen sammle ich so lange meine Schmutzwäsche, bis es sich lohnt, fünf Euro und eine Stunde meiner Zeit dafür zu investieren.
Wie lange ich Waschsalon-Fan bleibe, weiß ich aktuell noch nicht. Fürs Erste werde ich mir das Geld für eine Waschmaschine aber sparen ... und das für den Wellness-Urlaub gleich mit.