
Sitzt die Frisur noch?bild: midjourney / ki
Der Chef ganz ehrlich
Ich muss etwas gestehen: Ich war am Donnerstag beim Friseur. Tagsüber, während ich im Homeoffice hätte arbeiten können. Und die offizielle Stunde, die ich pro Tag Mittagspause habe, reicht für den neuen Haarschnitt nicht immer aus, weil Hinweg, Rückweg und Wartezeit allein schon um die 45 Minuten ausmachen.
Dennoch lasse ich mir unter der Woche die Haare schneiden. Am Samstag ist beim Friseur meines Vertrauens so gut wie kein Termin zu bekommen, abends macht der kleine Laden zu ähnlichen Zeiten Feierabend wie ich.
Und ja, der Termin beim Friseur steht in meinem geschäftlichen Kalender. Öffentlich für alle, die meine Termine sehen dürfen. Sie finden dort auch Einträge zu meiner Zahnärztin, zu meiner Physio und zu einem viel zu frühen Feierabend, weil Freund:innen zu Besuch sind.
Meine Chefs würden mir das nie vorwerfen. Warum auch? Ihnen ist völlig egal, was ich wann erledige. Wichtig ist nur, dass der Laden läuft. Dass ich zu viel arbeite, wissen sie ohnehin.
Mir ist bewusst, dass diese Freiheiten Luxus sind. Ich weiß, dass Millionen Menschen im Einzelhandel, in medizinischen Berufen oder in der Gastro nicht gemütlich aus dem Homeoffice zum Friseur spazieren können.
Homeoffice-Debatte auf Linkedin geht viral
Ich schreibe das alles auf, weil in dieser Woche ein Posting auf Linkedin zu diesem Thema viral gegangen ist. Dem Unternehmer Kai-Gunnar Hering ist verbal der Kragen geplatzt, weil eine Kollegin sich knapp drei Stunden für neue Strähnchen im Kalender geblockt hatte. Er postete einen Screenshot und kommentierte prägnant: "WTF".

Da hat jemand bald endlich wieder die Haare schön.bild: screenshot linkedin / kai-gunnar hering
Ein paar Anmerkungen des Postenden haben mich ebenso wie viele, viele Kommentare unter dem Beitrag ratlos zurückgelassen. Weil man sich's mal wieder viel zu einfach macht. Denn entweder fehlen in Herings Text elementare Vorgaben seinerseits, die die Kollegin bricht, oder aber der Fehler liegt bei ihm. Was er indirekt sogar zugibt, wenn auch scheinbar nicht beabsichtigt. Hering schreibt: "Wann wird da eigentlich gearbeitet? Vor dem Friseur? Danach? Zwischendurch vielleicht? Ich weiß es nicht. Und genau das ist das Problem."
Richtig, das ist es. Und zwar sein Problem.
Denn: Als Führungskraft ist es mein Job, zu wissen, wann und wie meine Kolleg:innen arbeiten. Um den Überblick nicht zu verlieren, gibt es Kommunikationswege. Einen Dienstplan, zum Beispiel.
Klar, es gibt, auch bei uns bei watson, Dienste, in denen private Termine nicht möglich sind. Wenn die Chefin vom Dienst im Spätdienst alleine unsere Homepage verantwortet, kann sie nicht zwei Stunden verschwinden. Und unser News-Redakteur am Desk meldet sich ab und sucht Ersatz, wenn er seinen Platz verlässt. Weil immer klar sein muss, wer sich im Zweifel in Sekundenschnelle um eine Breaking News kümmert.
Aber es gibt auch Schichten oder gar grundsätzliche Jobs, in denen es völlig irrelevant ist, ob jemand von 8 bis 17 Uhr oder von 12 bis 21 Uhr arbeitet. Und die Vertrauensarbeitszeit ist wahrlich keine neue Erfindung.
Mehr noch: Warum sollte es ein Problem sein, wenn erwachsene Menschen, die ihren Job ernst nehmen, ein wenig Flexibilität haben, um Beruf und Privatleben besser unter einen Hut zu bekommen?
Die Gen Z, die Arbeitsmoral und vorhersehbare Reaktionen
Niemand würde jemals einer Mutter oder einem Vater in Teilzeit einen Vorwurf machen, wenn man um 13 Uhr losmuss, um das Kind von der Kita zu holen. Wenn aber jemand um 13 Uhr kurz zum Friseur verschwindet, sind wir schnell in einer Generaldebatte. In der irgendwann die Worte "Gen Z" und "Arbeitsmoral" auftauchen. (Auch wenn im besagten Ursprungsposting keine Altersangabe steht.)
Um auch ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: In jedem Büro muss es Regeln geben. Dazu gehört, dass es Pflichttermine gibt, die nicht verhandelbar sind. Natürlich darf niemand das Teammeeting verpassen, weil die Haare nicht mehr schön sind. Dazu gehört auch, und ich schäme mich fast dafür, eine solche Banalität aufzuschreiben, dass die Zeit beim Friseur keine Arbeitszeit ist.
Jedoch steht in besagtem Linkedin-Posting: "Und dann gibt es Menschen, die das Homeoffice als Freifahrtschein nutzen, um Termine in die Arbeitszeit zu legen und möglichst wenig zu arbeiten."
Heißt das, dass die Kollegin drei Stunden zum Friseur geht und an diesem Tag nur fünf Stunden arbeitet? Ohne Überstunden zu haben, die sie abbaut? Dann haben wir eine der albernsten Diskussionen auf Linkedin seit langem gefunden.
Denn dann wäre das Problem nicht das Homeoffice. Dann läge das Problem viel, viel tiefer. Weil wir hier über eine Kollegin sprechen würden, deren Arbeitsmoral nicht stimmt. Ganz egal, ob sie zu Hause oder im Büro sitzt. Und wir hätten hier eine Führungskraft, die ihren Laden nicht im Griff hat.
Versteht mich nicht falsch: Die Organisation von Arbeit im Homeoffice ist als Führungskraft eine echte Herausforderung. Ich habe das als Teamleiter erlebt, als wir alle wegen Corona sehr plötzlich zu Hause bleiben mussten, und ich spüre das heute, weil eine reibungslose Kommunikation aus dem Homeoffice klare Strukturen notwendig macht. Dazu gehört auch Disziplin aller Beteiligten. An der Stelle gebe ich Kai-Gunnar Hering gerne recht, wenn er schreibt: "Im Homeoffice zu arbeiten heißt, Verantwortung zu übernehmen."
Zur Wahrheit gehört: Auch ich musste nicht erst einmal Kolleg:innen klarmachen, dass sie nicht unangekündigt tun können, was sie wollen. Sondern sich vorher absprechen müssen. Und ja, ich habe auch schon damit gedroht, dass die Flexibilität sonst gestrichen wird. Das waren nicht die schönsten Gespräche. Aber auch das gehört zu meinem Job.
Wenn also jemand von 9 bis 12 Uhr beim Friseur ist, dadurch keinen Termin verpasst und alle Aufgaben pünktlich erledigen kann, dann wäre die Lösung des Problems eine kurze Info ans Team: "Hey Leute, ich arbeite morgen nicht von 9 bis 18, sondern von 12 bis 21 Uhr. Ist auch im Dienstplan notiert. Für euch hat das keine Auswirkungen."
Dann würde es keine offenen Fragen geben und niemand müsste sich auf Linkedin über einen "Irrsinn" aufregen.
Die Arbeit als Führungskraft ist anstrengend. Wirklich. Ich spüre das, jeden Tag. Aber manche Dinge sind echt leicht zu klären. In diesen Fällen hilft es, mit Mitarbeitenden zu sprechen, statt über sie Postings abzusetzen. Auch wenn das nicht den Algorithmus pusht.