Sieben Jahre ist es her, dass ich meinen ersten Tag als Führungskraft hatte. Sieben Jahre, in denen ich viele gute und auch einige ziemlich schlechte Entscheidungen getroffen habe. Sieben Jahre, in denen ich viel gelernt habe – über das Leben als Vorgesetzter, über Mitarbeitende, über die schönen und die nervigen Seiten dieses Jobs.
Vor meinem ersten Tag als Führungskraft, damals als Social-Media-Teamleiter des "Stern", habe ich einige Bücher gelesen. Über gute und schlechte Führung und über die Probleme im mittleren Management, in dem man in einer Sandwichposition steckt und auf der einen Seite das eigene Team und auf der anderen Seite die Chef:innen zufriedenstellen soll.
Zum Start habe ich damals eine Grundsatzentscheidung getroffen. Nachdem ich mich gefragt hatte, welche Hoffnungen und Ängste ich bei eigenen Führungskraftwechseln erlebt und über welche Dinge ich mich bei neuen Chef:innen selbst geärgert habe.
Vor allem eine Sache konnte ich nie nachvollziehen: Wenn neue Führungskräfte oder auch direkte Kolleg:innen glaubten, sofort alles besser zu wissen, ohne den neuen Laden selbst von innen zu kennen. Weshalb ich mit einem einzigen Vorsatz die neue Aufgabe antrat: Ich wollte im ersten Monat keine einzige Entscheidung treffen.
Ich gebe gerne zu, dass dieses Ziel nicht zu 100 Prozent einzuhalten war, denn natürlich gibt es auch als Neuling operative Dinge zu entscheiden, bei denen man sich nicht wegducken sollte. Doch jene Momente waren an einer Hand abzuzählen. Ansonsten hielt ich mich mit Ansagen und Entschlüssen zurück. Und erklärte meinen neuen Kolleg:innen meine Herangehensweise natürlich auch.
Vier Wochen lang wollte ich "nur" beobachten. Sehen, wie die Workflows funktionieren. Verstehen, wie Entscheidungen getroffen werden. Analysieren, wie sich die Teamdynamiken gestalten. Flankiert habe ich diese Startzeit mit Mitarbeitergesprächen, in denen ich jeder Person in meinem Team erst einmal zuhörte: Was läuft gut? Was läuft schlecht? Was wünschst du dir von mir? Was würdest du ändern, wenn du entscheiden dürftest?
Ich habe dieses Vorgehen in den vergangenen sieben Jahren dreimal wiederholt: Bei meinen beiden Beförderungen beim "Stern", als ich Verantwortung für weitere Teams übernehmen durfte, und bei meinem Wechsel zu watson vor drei Jahren.
Mein Fazit ist: Ich habe gute Erfahrungen damit gesammelt, mich als neuer Chef erst einmal zurückzuhalten. Das Vorgehen funktioniert. Ich würde es jederzeit identisch wiederholen – und kann es guten Gewissens anderen jungen Führungskräften ans Herz legen.
Kombiniert habe ich das Vorgehen mit einer Regel. Denn ich stellte sehr, sehr viele Fragen, um nachvollziehen zu können, wie das Team bisher arbeitete. Die Bitte an die neuen Kolleg:innen war daher: Ganz egal, wie oft ich nach dem "Warum" einer Situation fragte, sie durften die Frage nie als Vorwurf verstehen.
Denn dazu neigen viele Menschen im Büro. Vermutlich auch, weil Vorgesetzte gerne Suggestivfragen stellen. Weshalb aus einer vermeintlich harmlosen Frage, warum man irgendwas auf irgendeine Art und nicht vielleicht anders gemacht hat, im Empfängerohr schnell ein Vorwurf wird, das Falsche getan zu haben.
Nun bin ich studierter Politikwissenschaftler und damit kein Psychologe, und doch wage ich zu behaupten, dass meine Taktik in den Köpfen der neuen Kolleg:innen etwas ausgelöst hat: positive Verwunderung.
Sie wussten zu schätzen, dass ich eben nicht von Tag eins an glaubte, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Und öffneten sich dadurch relativ schnell mit ehrlichen Einschätzungen zur Zeit vor meinem Dienstantritt.
Mehr noch: Sie zogen sich nicht zurück, um meine Ansagen abzuwarten, sondern stürzten sich offensiv aufs operative Geschäft, um zu zeigen, was sie können.
Und ich als neuer Vorgesetzter hatte Zeit. Um anzukommen, Dinge zu bewerten und im Kopf erste Maßnahmen zu entwickeln. In einer Phase, die in einer neuen Position unglaublich wertvoll ist, denn: Nie wieder blickt man so neutral und unvoreingenommen auf sein eigenes Team wie in den ersten Wochen nach Dienstantritt.