Anfang 2023 habe ich meinen Alltag komplett umgekrempelt, meinen Job gekündigt, meine Wohnung aufgelöst, mich von meinen Liebsten in Deutschland verabschiedet und bin mit nur einem Koffer bepackt nach Australien gezogen. Meine Routine aufzugeben und mich der Ungewissheit am anderen Ende der Welt zu stellen, war wohl die größte Herausforderung, der ich bislang begegnet bin. Doch wie es im Leben nun mal so ist, habe ich aus dieser Erfahrung auch einige Erkenntnisse ziehen können.
Wenn Leute hören, dass ich mit Anfang 20 nach Australien ausgewandert bin, stempeln viele mich als Abenteurerin ab. Eine losgelöste Weltenbummlerin, die immer und überall Freundschaften schließen und genauso schnell wieder aufgeben kann. Eine Reisende, die nirgendwo so richtig zu Hause ist – und es auch gar nicht sein möchte.
Lange Zeit hat diese Beschreibung mit meiner Selbstwahrnehmung übereingestimmt. Ich sah mich selbst als sprunghafte Reisemaus; spontane Weltenbummlerin. Doch inzwischen habe ich gelernt: Ich liebe es zu reisen und neue Erfahrungen zu sammeln, doch genauso sehr liebe ich es auch, wieder zu Hause anzukommen. Ich fühle mich wohl in der Vertrautheit. Das wurde mir vor allem bewusst, als ich mit meinem Umzug ans andere Ende der Welt, eben jene Vertrautheit aufgegeben habe.
In Deutschland wusste ich, zu welcher Uhrzeit ich in welchem Seminarraum sein musste, wie viel Geld von welchem Arbeitgeber am Ende des Monats auf meinem Konto landen würde und mit welchen Leuten ich mich in welcher Bar verabreden konnte. Mit meinem Umzug verabschiedete ich mich nicht nur von Deutschland, sondern auch von jegliche Routine und Struktur, die mir bis zuletzt Halt gegeben hatte.
Das Selbstbild der Abenteurerin zerbrach. Ich sehnte mich nach einem durchgetakteten Tagesablauf, vertrauten Menschen und einem gewohnten Umfeld. Erst nachdem ich mir all das von Grund auf neu aufgebaut hatte, fühlte ich mich in Australien angekommen.
In großen sozialen Gruppen habe ich mich noch nie wohlgefühlt. Eine Hand voll enger, intensiver Freundschaften war mir schon immer lieber als eine Menge oberflächlicher Bekanntschaften. Qualität über Quantität. Doch weil die Menschen, die ich in mein Leben lasse, so einen besonderen Stellenwert für mich haben, war es umso schwerer, mich von ihnen zu verabschieden.
Meine Liebsten in Deutschland zurückzulassen, war und ist für mich bis heute das Schwerste am Auswandern. Aus Umarmungen wurden Zoom-Meetings, aus Kaffeeklatsch wurden minutenlange Sprachmemos und aus Verabredungen wurden auf einmal Fernreisen.
Freundschaften auf Distanz sind mit Arbeit verbunden. Insbesondere in Anbetracht der Zeitverschiebung müssen Videocalls akribisch geplant werden. Doch die Arbeit zahlt sich aus, denn trotz der Entfernung fühle ich mich so verbunden zu meinen Freund:innen wie eh und je. Zu wissen, dass andere Menschen dazu bereit sind, sich einen Wecker auf sechs Uhr morgens zu stellen, nur um ein paar Stunden mit mir quatschen zu können, ist unfassbar berührend.
Natürlich weiß ich, dass nicht jede Person die Kapazitäten für eine Fernfreundschaft hat. Ich ertappe ich mich selbst immer wieder dabei, wie ich Freund:innen aus Versehen ghoste. Doch auch wenn mal für ein paar Tage oder sogar Wochen Funkstille herrscht, weiß ich, dass wir uns immer aufeinander verlassen können. Und ich weiß auch, dass beim nächsten Wiedersehen alles genauso sein wird wie vorher. Als wäre ich nie weg gewesen.
Als Teenagerin konnte ich es kaum erwarten, eines Tages endlich wegzuziehen. Damals wusste ich noch nicht so richtig wohin, aber ich wusste, dass ich nicht in Deutschland bleiben wollte. Ich fand das Wetter zu kalt, die Städte zu langweilig und die Menschen zu unfreundlich.
Deutschland bekommt ganz schön viel Hass ab – vor allem von den Deutschen. Insbesondere diejenigen, die eine Zeit lang im Ausland waren, werden nicht müde, sich über die deutsche Mentalität, die Deutsche Bahn und die deutsche Politik zu beschweren. Und obwohl ich mit einigen Kritikpunkten übereinstimme, ist das Gras außerhalb von Deutschland nicht zwangsläufig grüner.
Es gibt viele Dinge, die ich an Australien besser finde, als an Deutschland. Klar, sonst wäre ich hier schließlich nicht hergezogen. Doch auch hier läuft nicht immer alles so perfekt, wie viele Leute sich das vielleicht ausmalen. In Australien besteht die Gesellschaft nicht nur aus sonnengebräunten Surfern, die mit Flip-Flops und entspannter Miene durch die Straßen schlendern. Auch hier gibt es unfreundliche Menschen. Auch hier hat die Bahn Verspätung. Und auch hier versagt die Politik an vielen Stellen.
Ich habe den Eindruck, dass viele Auswander:innen Angst davor haben, die Schattenseiten ihrer Wahlheimat aufzuzeigen und sich einzugestehen, dass sie gewisse Dinge an Deutschland vermissen. Als müssten sie sich selbst und allen anderen beweisen, wie gut man es an seinem neuen Wohnort habe und wie gut integriert man im neuen Land sei. Als sei es ein persönliches Versagen, sich nach deutscher Schokolade oder deutschen Altstädten zu sehnen.
Manchmal spüre ich einen ähnlichen Druck: "Wenn du Deutschland vermisst, warum bist du dann überhaupt nach Australien gezogen?" Aber ganz so schwarz-weiß ist das Ganze nicht. Ich kann gewisse Dinge an Deutschland vermissen und trotzdem froh darüber sein, in Australien zu leben. Das macht mich nicht zu einer "schlechten Auswanderin".
Nach zwei Jahren in Australien habe ich so einiges gelernt. Ich habe gelernt, dass es verschiedene Konzepte von Freundschaften gibt und dass man auch über Distanz weiterhin intensive Beziehungen führen kann. Ich habe gelernt, dass Deutschland vielleicht doch nicht ganz so doof ist, wie mein Teenager-Ich es sich immer eingeredet hat. Ich habe gelernt, dass ich Routine und Vertrautheit brauche, um mich wirklich angekommen zu fühlen. Und das tue ich.
Deswegen ist nun ein guter Zeitpunkt, um diese Kolumne zu einem Ende kommen zu lassen. Meine vergangenen Texte drehten sich um meine Erfahrungen als Auswanderin: der Visa-Prozess, die Wohnungssuche, das Heimweh. Doch inzwischen fühle ich mich in Australien nicht mehr wie eine Auswanderin. Ich fühle mich einfach wie jemand, der eben in Australien lebt. Das Kapitel "Die Auswanderin" ist für mich damit abgeschlossen und ich bin gespannt, was die Zukunft als "Australierin" für mich bringt.