Wenn es eine Sache gibt, worauf sich studierte Fachärzt:innen und selbsternannte Health-Experts auf Tiktok einigen dürften, dann, dass Proteine lebenswichtige Bausteine für den menschlichen Körper sind. Sie dienen dem Aufbau und Erhalt von Muskeln, Organen sowie der Haut und Enzymen. Außerdem sind sie entscheidend für das Immunsystem, da viele Abwehrstoffe aus Proteinen bestehen.
Worüber sich die beiden Gruppen allerdings häufig uneinig sind, ist sowohl die Menge als auch die Art von Proteinen, die für einen Durchschnittsmenschen gesund sind. "Je mehr Protein, desto besser" scheint das Motto einiger Hobby-Sportler:innen zu sein, die einen Großteil ihrer Freizeit im Fitnessstudio verbringen.
Gerade junge Männer wollen oftmals schnell, viel Muskeln aufbauen und erhoffen sich von zusätzlichen Proteinen sehenswerte Erfolge. Auf den Trend ist die Lebensmittelindustrie natürlich schon längst aufmerksam geworden und bietet zahllose "High-Protein"-Produkte an, wie zum Beispiel Protein-Riegel, Protein-Pudding oder Eiweißbrot.
Das Bundeszentrum für Ernährung bezeichnet solche vermeintlichen Fitness-Produkte als "teuer und unnnötig". Protein allein mache weder fit noch schlank oder muskulös. Eine abwechslungsreiche Ernährung reiche aus, um die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung von 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilo Körpergewicht und Tag zu erreichen.
Trotzdem sind vor allem immer mehr jüngere Menschen von einer Eiweißüberversorgung betroffen, wie das Nachrichtenmagazin "Focus" mit Verweis auf (nicht näher benannte) Ernährungsexpert:innen berichtet. Konkrete Zahlen lägen noch nicht vor, aber wer dauerhaft zu viele Proteine zu sich nimmt, belastet unter Umständen seine Niere.
Denn wenn dem Körper mehr Eiweiß zugeführt wird, als er benötigt, müssen die überschüssigen Aminosäuren abgebaut werden. Der dabei entstehende Harnstoff wird über die Nieren ausgeschieden. Für Menschen mit ohnehin eingeschränkter Nierenfunktion stellt das eine zusätzliche Belastung dar.
Doch nicht nur die Menge der von Ärzt:innen und Ernährungsexpert:innen empfohlenen Proteinzufuhr wird teilweise auf Social Media angezweifelt. Auch um die Frage, welche die besten Proteine sind, ranken sich viele Mythen. Auf Tiktok trendet beispielsweise die sogenannte "Carnivore Diet", bei der vor allem Männer ihre Ernährung weitestgehend auf Fleisch beschränken – und zwar vor allem rohes Fleisch.
Die selbsternannten Ernährungsexpert:innen erhoffen sich davon nicht nur effektiveren Muskelaufbau sowie mehr Energie, sondern auch, dass ihr Testosteron steigt. Frei nach dem Motto "back to the primal instincts" glauben viele der "Carnivore-Diet"-Fans ihre Männlichkeit zu steigern.
Das ist es fast nur logisch, dass einige dieser vermeintlich maskulinen Männer auch dringend davon abraten, Soja-Produkte zu konsumieren. Die würden nämlich angeblich dafür sorgen, dass der Testosteronspiegel sinkt. "Wenn du einen Mann bist und ein Mann bleiben willst, musst du unbedingt aufhören, Sojamilch zu trinken", warnt ein Tiktoker beispielsweise.
Als Übeltäter haben die selbsternannten Männlichkeitsexperten Isoflavone ausfindig gemacht. Sie kommen hauptsächlich in Sojabohnen vor und zählen zu den Phytoöstrogenen. Da ihnen eine ähnliche Wirkung wie dem weiblichen Geschlechtshormon Östrogen nachgesagt wird, schwurbeln einige Tiktoker darüber, dass man durch Sojamilch und Tofu "verweiblicht" und sogar unfruchtbar werden kann.
Das ist allerdings – wer hätte es gedacht – wissenschaftlich nicht belegt. Eine viel zitierte Studie, bei der die Spermien-Anzahl der männlichen Teilnehmer abnahm, je mehr Soja sie konsumierten, legt lediglich einen Zusammenhang nahe, liefert aber keine konkrete Erklärung, ob Soja tatsächlich die Ursache dafür ist.
Es gebe keine Beweise dafür, dass die Zeugungsfähigkeit abnahm oder die Männer einen veränderten Hormonspiegel hatten, klärt eine deutsche Urologie-Praxis dazu auf ihrer Website auf. Zudem sei die Spermienzahl in anderen Studien unverändert geblieben.
Folgt man der Tiktok-Logik müssten viele Männer in asiatischen Ländern, wo Soja-Produkte schon seit Jahrhunderten fester Bestandteil traditioneller Speisen sind, komplett "verweiblicht" und zeugungsunfähig sein. Das ist natürlich nicht der Fall.
Das Bundeszentrum für Ernährung verweist darauf, dass Menschen in Europa noch nicht einmal zwei Milligramm Isoflavone pro Person und Tag zu sich nehmen. Zum Vergleich: In Südostasien, wo Soja-Produkte deutlich häufiger konsumiert werden, läge der Wert nur bei 60 Milligramm.
Worüber sich Männer mit Kinderwunsch mehr Sorgen machen sollten, sind hingegen Alkohol, Zigaretten und Lebensmittel, die mit Pestiziden und Schwermetallen belastet sind. Solche Faktoren haben nachweislich einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit.
Und gegenüber dem Deutschlandfunk betont die Gynäkologin Vanadin Seifert-Klauss noch einen weiteren Risikofaktor: "Zu viel Testostern selbst kann die Zeugungsfähigkeit vermindern." Ein erhöhter Testosteronspiegel, zum Beispiel durch die Einnahme von Supplements, sorgt nämlich dafür, dass die Spermienproduktion stark reduziert oder sogar ganz gestoppt wird.