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Carnivore-Diet: Ernährungsmedizinerin verrät, ob das ungesund ist

1960s HUGE PORTERHOUSE STEAK ON WOODEN PLATTER SLICED MEDIUM RARE CUP OF DRAWN BUTTER SALT PEPPER SHAKERS GREEN CHECKED CLOTH (Photo by L. Fritz/ClassicStock/Getty Images)
Bei der Carnivore-Diet steht vor allem eins auf dem Speiseplan: Fleisch.Bild: Archive Photos / ClassicStock
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Ernährungsmedizinerin über Carnivore-Diet: "Solche Diäten würde ich niemals empfehlen"

16.01.2025, 18:14
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Der Januar ist eigentlich als veganer Monat bekannt. Aber inzwischen wird er von der Carnivore-Community auch als "World Carnivore Month" begangen. Also einen Monat lang nur Fleisch essen. Und Eier, und rohe Milch sowie Butter aus roher Milch. Das volle Kontrastprogramm zum Veganuary also.

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Dazu gibt es auf Tiktok und Instagram viele Videos. Von Menschen, die sich nur von leicht angebratenem Steak ernähren (ja, auch zum Frühstück). Oder von Menschen, die die Raw-Diet befolgen und alles Mögliche an Lebensmitteln auf dem Speiseplan haben, allerdings eben roh.

Wenn man diese Videos sieht, kommen einem unweigerlich eine Menge Fragen. Um all das in einen wissenschaftlichen und auch gesundheitlichen Kontext einordnen zu können, hat watson mit der Ernährungsmedizinerin Daniela Kielkowski gesprochen.

Watson: Einige Verfechter:innen der Carnivore-Diet behaupten, fitter zu sein, eine tolle Verdauung und bessere Haut bekommen zu haben. Kann das sein?

Daniela Kielkowski: Wenn Menschen grundsätzlich gesund sind, kann das vorübergehend durchaus sein. Der Körper kann eine Menge aushalten. Dass Haut und Verdauung besser werden, ist jedoch nur ein gefühltes Phänomen.

Daniela Kielkowski ist Expertin in Sachen Stoffwechsel.
Daniela Kielkowski ist Expertin in Sachen Stoffwechsel.

Gibt es aus wissenschaftlicher Sicht Belege dafür?

Es gibt Millionen von Ernährungs-Hypes, die alle als wissenschaftlich gesichert dargestellt werden – damit bedienen sie sich der großen Verunsicherung, die Menschen empfinden, die ihre Ernährung umstellen wollen. Es gibt beispielsweise viele Studien, die besagen, dass Fleisch Krebs verursacht und Eier zu Entzündungen führen. Am Ende ist es jedoch so, dass es in der Ernährung für solche Aussagen nicht wirklich wissenschaftliche, kausale Beweise geben kann.

"Wenn man dieses rohe Wagnis eingeht, sollte man wirklich genau wissen, woher die Lebensmittel kommen, wie sie gelagert sind, wie sie produziert wurden."

Warum nicht?

Um diese zu generieren, müsste man tausende von Menschen auf eine Insel bringen, auf der alle unter den gleichen Lebensbedingungen die gleiche Ernährung bekämen – über Jahre hinweg. Auf einer weiteren Insel müssten nochmal tausende von Menschen unter denselben Umständen leben, um einen Vergleichswert schaffen zu können. Dazu müsste es unter diesen Menschen noch verschiedene Gruppen geben: Eine Kontrollgruppe für das Placebo und die tatsächlichen Messwerte. Sowas lässt sich gar nicht bewerkstelligen. Deswegen kann man in der Ernährungsberatung immer nur von Hypothesen ausgehen.

Kann man dann eine Empfehlung für oder gegen eine Diät wie die Carnivore-Diet geben?

Bei einer einseitigen Diät wie der karnivoren, bei der man keine sekundären Pflanzenstoffe zu sich nimmt, kann man relativ gesichert sagen, dass das nur eine vorübergehende Ernährungsweise sein sollte. Kurzfristig kann man durchaus von bestimmten Nährstoffen profitieren: von Eisen, Protein, B-Vitaminen in rohem Fleisch, Selen. Aber warum man komplett auf mineralstoffhaltige und vitaminstoffhaltige pflanzliche Nahrungsmittel verzichtet, erschließt sich mir nicht. Deswegen würde ich solche Ernährungsformen nicht dauerhaft empfehlen.

In der Community geht es immer wieder um Gicht. Kann eine fleischlastige Ernährung diese Erkrankung auslösen?

Ja, das kann passieren. Denn Fleisch hat einen sehr hohen Purinanteil, den der Körper in Harnsäure umwandelt. Diese kann der Körper aber nur in bestimmtem Maß abbauen. Wenn man davon zu hohe Werte hat, können sich Abbauprodukte in Gelenken ablagern. Das wiederum kann zu Gichtanfällen und arthrotischen Gelenkveränderungen führen. Was jedoch auch nicht zu unterschätzen ist: eine zu geringe Aufnahme von Protein. Denn wenn der Körper davon nicht genug bekommt, baut er seine eigene Muskulatur ab, um sich selbst Proteine zuzuführen.

Ist die Raw-Diet im Gegensatz zur Carnivore-Diet empfehlenswerter?

Was mir an der Raw-Diet tatsächlich gut gefällt ist, dass sehr viel Obst und Gemüse roh verzehrt wird. Abgesehen von ein paar Gemüsesorten, deren Nährstoffe durch leichtes Erhitzen besser verdaulich werden, halte ich Rohkost für gesünder. Denn beim Braten oder Kochen gehen viele Nährstoffe verloren. Bei Fleisch und Fisch kann der rohe Verzehr ebenfalls Vorteile mit sich bringen, wenn man einen sehr guten Händler hat, der diese Lebensmittel in wirklich guter Qualität verkauft.

"Es gibt kaum ältere Menschen, die tatsächlich sagen 'ich mache das schon mein ganzes Leben und ich bin total gesund und fit'."

Kann es gefährlich sein, rohes Fleisch oder rohe Eier zu konsumieren?

Ja definitiv. Lebensmittel wie Milch, Fleisch und Eier können im rohen Zustand mit krankmachenden Bakterien belastet sein. Dazu gehören E-Coli, Listerien, Salmonellen. Diese können sehr schwere Erkrankungen herbeiführen. Wenn man dieses rohe Wagnis eingeht, sollte man wirklich genau wissen, woher die Lebensmittel kommen, wie sie gelagert sind, wie sie produziert wurden. Es dürfte deutlich geworden sein: Alles in allem ist das nichts, was ich meinen Patient:innen empfehlen würde.

Ein Influencer, der viel rohes Fleisch isst, sagt, man brauche sich keine Sorgen vor Parasiten oder Bakterien machen – wenn man einen gesunden und fitten Körper hat. Ist da was dran?

Nein. Denn unser Immunsystem ist von ganz vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Wenn beispielsweise Stress auftaucht, kann das ein Immunsystem belasten – und schon ist man anfälliger für Krankheiten, die von solchen Bakterien ausgelöst werden. Heutzutage ist Stress jedoch in so gut wie jedem Leben präsent. Deswegen würde ich mich auch bei einem guten Körpergefühl nie darauf verlassen, dass Bakterien mir gerade nichts anhaben können.

Man sollte Trend-Diäten also nicht einfach mal so selbst ausprobieren.

Solche Trends einfach nachzumachen ist ein Grund, warum Erkrankungen und Übergewicht in unserer Gesellschaft zunehmen. Denn nicht jeder Mensch, der Übergewicht hat, isst zu viel oder falsch oder bewegt sich nicht genug. Viele von ihnen sind auf Trends aufgesprungen, die bei anderen gut funktioniert haben. Es gibt beispielsweise Menschen, die durch Intervallfasten gesundheitliche Probleme bekommen oder sogar zunehmen – während es für andere Menschen einen positiven gesundheitlichen Effekt hat.

Wenn aber jemand – augenscheinlich – gesund und fit in die Kamera erzählt, diese und jene Diät habe Wunder bewirkt, kann das schon verlockend sein.

Die Menschen suchen nach Lösungen, was Gewicht, Aussehen und Langlebigkeit betrifft. Das sind Faktoren, die mit Eitelkeit und Ängsten spielen. Dabei darf man nicht übersehen: Solche Trends werden meist von sehr jungen und gesunden Menschen angepriesen. Es gibt kaum ältere Menschen, die tatsächlich sagen "ich mache das schon mein ganzes Leben und ich bin total gesund und fit".

Gleichzeitig gibt es unter vielen solcher Videos Kommentare, in denen Erfolge geteilt werden.

Weil Menschen, die mit solchen Ernährungsformen keinen Erfolg haben, oder sogar zunehmen, sich dafür schämen und aus dieser Bubble zurückziehen. Solche Trends ziehen oft einen großen Hype nach sich. Die Menschen machen mit, sind froh, Teil einer Community zu sein. Wenn man das dann nicht schafft, zieht man sich eher still zurück, als seinen Misserfolg zu teilen. Denn es kann das Gefühl aufkommen: "Wenn es bei denen so gut funktioniert und bei mir nicht, mache ich irgendwas falsch."

Aber sie machen nichts falsch – sondern nur für sich nicht das richtige?

Genau, deswegen ist es mir so wichtig klarzumachen: Jeder Stoffwechsel ist individuell. Ich versuche meinen Patient:innen beizubringen, wie sie gute Entscheidungen für sich treffen können. Sie müssen erkennen, dass es an ihrer Individualität liegt, wenn eine Ernährungsform bei ihnen nicht funktioniert. Denn eine radikale vegane Ernährung kann bei manchen Menschen zu Problemen führen, sowie eine karnivore Ernährung bei manchen zu Problemen führen kann, während es bei anderen lange gut geht.

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