So viele Menschen wie nach München wird es zum CSD in Pirna nicht ziehen, eine Rekord-Teilnehmendenzahl könnte es trotzdem geben.Bild: imago images / Wolfgang Maria Weber
Interview
Es gibt 2024 mehr als 100 Christopher-Street-Day-Paraden (CSD) im Kampf gegen Diskriminierung durch die deutschen Städte. Doch unerwartet viel Aufmerksamkeit liegt in diesem Jahr auf dem CSD in Pirna. Nicht mal 40.000 Menschen leben in der Kreisstadt in Sachsen. Fragwürdige Berühmtheit erlangte sie erstmals, weil sich hier ein AfD-naher Politiker den Posten des Oberbürgermeisters sicherte. Als der in einem Facebook-Post die Regenbogenfahne an einer Kirche mit Hakenkreuzfahnen zur NS-Zeit verglichen hatte, löste er einen Eklat aus.
Doch ein Gutes hatte der mittlerweile gelöschte Post. Er hat dem CSD-Verein in Pirna viel mediale Aufmerksamkeit beschert und die Mitglieder gleichzeitig motiviert, einen Rekord-CSD auf die Beine zu stellen. An diesem Samstag soll er mit mindestens 5000 Menschen stattfinden.
Watson hat mit dem Vereinsvorsitzenden Christian Hesse gesprochen.
Christian Hesse ist Vorsitzender des CSD Pirna e. V.Bild: CSD Pirna e. V.
watson: Die letzten Wochen habt ihr den größten CSD in eurer Vereinsgeschichte geplant. Was überwiegt gerade – Vorfreude oder Stress?
Christian Hesse: Beides zugleich würde ich sagen. Ich verspüre auf jeden Fall Vorfreude darüber, dass am Ende wirklich so viele Menschen kommen könnten wie noch nie. Anfangs hatten wir uns 20.000 Teilnehmende als Ziel gesetzt.
Aber das wäre eng geworden.
Genau. Nachdem wir mit Polizei und Ordnungsamt gesprochen haben, war klar, dass nicht mehr als 5.000 Menschen auf den Marktplatz in Pirna passen. Und weil die Sicherheit aller Teilnehmenden und der ehrenamtlichen Helfer:innen für uns oberste Priorität hat, haben wir unser Ziel angepasst.
"Ich war damals enttäuscht und entsetzt über die Aussagen des Oberbürgermeisters und bin es heute noch."
5000 Menschen wären dennoch knapp doppelt so viele wie in den Vorjahren. Was, wenn am Ende doch noch mehr Menschen eurem Aufruf folgen?
Wir haben ein umfangreiches Sicherheitskonzept erarbeitet. Dieses Jahr wird es zum ersten Mal vier Eingangsschleusen am Marktplatz geben, an denen Personen zum Beispiel auf mitgebrachte Flaschen oder Waffen kontrolliert werden. Wenn der Platz voll ist, wird es einen Einlass-Stopp geben, das heißt der Sicherheitsdienst lässt erst wieder Leute auf den Marktplatz, wenn andere gegangen sind.
Wie früh habt ihr mit der Planung angefangen?
Wir fangen immer fast ein Jahr im Voraus an, den CSD zu planen und Fördermittelanträge zu stellen. Bis zum 17. Mai dieses Jahres war die Organisation eigentlich auch kinderleicht für uns gewesen, weil wir wie die Jahre zuvor für 2.000 bis 3.000 Leute geplant haben. Aber nach dem Facebook-Post unseres Oberbürgermeisters hat sich das dann alles schlagartig geändert.
Er hat die Regenbogenfahne an einer Kirche mit Hakenkreuzfahnen zur NS-Zeit verglichen. Was waren deine ersten Gedanken, als du den Post gelesen hast?
Ich bekam das alles am Tag nach dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT) mit. Da stand mein Telefon nicht mehr still, weil ich so viele Nachrichten und Anrufe bekommen habe. Ich war damals enttäuscht und entsetzt über die Aussagen des Oberbürgermeisters und bin es heute noch. Er hat zwar kommentiert, dass er das als Privatperson schreiben würde, aber in meinen Augen ist es einfach ein absolutes No-Go, so ein Statement als Oberbürgermeister abzugeben.
Nach diesem Eklat habt ihr entschieden, ihr wollt ein Zeichen setzen mit dem diesjährigen CSD. Vor welche Herausforderungen hat euch das noch gestellt?
Wir mussten die gesamte Logistik umplanen, also zum Beispiel, was die Versorgung mit Getränken und Essen angeht. Von den Markthändlern haben uns direkt einige ihre Unterstützung angeboten.
Zeitgleich musstet ihr ja trotzdem mit der Stadt zusammenarbeiten. Wie sah die Kommunikation aus?
Also die Kommunikation mit dem Ordnungsamt, mit dem wir gerade alles managen, läuft phänomenal.
Und mit dem Oberbürgermeister?
Mit dem gibt es keine Kommunikation.
Anfeindungen sind für euch nicht neu: Fenster eures Büros sind angespuckt worden und die Regenbogenfahne am Rathaus wurde mehrfach heruntergerissen. Wie sicher fühlst du dich als queere Person in Pirna?
Also privat fühle ich mich schon sicher in Pirna. Das liegt aktuell natürlich auch an der medialen Aufmerksamkeit und der prominenten Unterstützung. Aber in den sozialen Netzwerken kriegt man in den letzten Wochen auch mehr Anfeindungen zu hören.
Wie gehst du damit um?
In den ersten Jahren habe ich noch viele Kommentare, die wir auf den Accounts des Vereins bekommen haben, auf mich bezogen – "Verpisst euch aus der Stadt, ihr Drecksschwuchteln" war da noch eine der netteren Nachrichten. Aber ich habe mittlerweile gelernt, dass sich sowas gegen den Verein als Ganzes richtet und da habe ich mir ein Polster angelegt, dass so etwas an mir abprallt.
An den großen CSDs in Berlin oder Köln wird häufig kritisiert, dass es mittlerweile mehr ums Feiern als ums Demonstrieren ginge. Wie ist der CSD Pirna?
Den CSD in Pirna kann und sollte man nicht mit Köln, Berlin, Leipzig oder Dresden vergleichen. Es gab 2015 eine Mini-CSD-Demonstration durch die Innenstadt von Pirna, wo wir dann im Nachgang gemerkt haben, dass das nicht zum Charakter unseres CSDs passt.
Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich
hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden?
Hier findest du unseren Broadcast-Channel.
Inwiefern?
Viele Leute, die kommen, sehen den CSD als buntes Stadt- oder Familienfest. Da sind ältere Leute von 70 oder 80 Jahren dabei, die tanzen den ganzen Nachmittag vor der Bühne, obwohl sie eigentlich noch das Denken im Kopf haben, dass beispielsweise eine Familie aus Mann, Frau und Kindern besteht. Später haben sie sich bedankt und gesagt, dass sie nie gedacht hätten, so einen schönen Tag mit queeren Menschen verbringen zu können.
Fernsehmoderatorin Bettina Böttinger hat zur Teilnahme am CSD in Pirna aufgerufen.Bild: dpa / Rolf Vennenbernd
Ihr habt von prominenter Seite viel Unterstützung erfahren, zum Beispiel von Bettina Böttinger, Hape Kerkeling und Fabian Grischkat. Was bedeutet euch das?
Als ich den ersten Pressebericht über Bettina Böttinger gelesen habe, war ich völlig geflasht. Ich saß auf der Arbeit, hatte gerade Mittagspause und dann bekam ich diesen Link zugespielt und ich dachte, ich seh nicht richtig! Ich persönlich hab mich tierisch gefreut, dass sie dieses Statement gemacht hat und dann kam ja erst der Stein ins Rollen.
Warum ist es aus deiner Sicht wichtig, den CSD zu unterstützen, auch wenn man nicht dort wohnt?
Aus meiner Sicht ist es wirklich wichtig, solidarisch mit kleineren CSDs zu sein, gerade auch aus den Großstädten heraus, wo jede:r offen und frei leben kann mit seinen Partner:innen. Dort ist es Normalität, wenn sich zwei Männer oder zwei Frauen in der U-Bahn küssen – so soll es auch in Pirna sein. Und ich finde es schon schön, wenn man nicht nur von Solidarität schreibt, sondern es wirklich in die Tat umsetzt.
Wie zum Beispiel die Kölner Drag Queen Meryl Deep, die mit ihrer "Tour für Toleranz" einen Shuttle-Bus von Köln nach Pirna organisiert hat.
Genau.
Wenn man nicht vor Ort sein kann, euch aber trotzdem unterstützen will, was kann man tun?
Der diesjährige CSD ist auf dem Kostenniveau der Vorjahre geplant. Da die Planung nun aber doch größere Dimensionen angenommen hat, sind auch die Ausgaben gestiegen. Wir wissen momentan nicht, wie wir diese Mehrkosten finanziell gestemmt bekommen, da hilft jede Spende.
Welche Wünsche oder Hoffnungen hast du für die Zukunft des CSD Pirna?
Ich wünsche mir natürlich, dass wir am 13. Juli wirklich 6000 Teilnehmende auf dem Marktplatz in Pirna begrüßen dürfen und dann in den kommenden Jahren immer wieder im Herzen der Stadt ein klares Zeichen gegen Homo- und Transphobie setzen können.