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35 Jahre Mauerfall: ZDF-Reporter erzählt von seinen Erlebnissen in der DDR

Foto von Holger Kulick am Abend des Mauerfalls, 9. November 1989. Brandenburger Tor im Hintergrund
Foto am Abend des Mauerfalls, 9. November 1989, mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund.Bild: Privat / Holger Kulick
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35 Jahre Mauerfall: Ein ZDF-Reporter erzählt von seiner Arbeit in der DDR

08.11.2024, 08:0108.11.2024, 14:15
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Grenzschmuggel, abgehörte Wohnungen und Polizeikontrollen: Das ist der Stoff, aus dem Agentenfilme gemacht sind.

Der Journalist Holger Kulick erzählt von all dem maximal unaufgeregt. So als wäre es normal. Und die Sache ist: Genau das war es für ihn auch: ganz normaler Alltag. Er hat in den Jahren vor der Wende als ZDF-Reporter gearbeitet und war dabei, als die Mauer am 9. November 1989 gefallen ist. Watson erzählt er von einer Zeit, die für junge Menschen heute völlig unwirklich klingt.

Als die Mauer fiel, waren Sie 29 Jahre alt. Wie war es damals für Sie als ZDF-Reporter?

Ich kam als Jungspund zum ZDF, als die DDR schon immer mehr bröckelte und bröselte. Bei "Kennzeichen D" wollten wir zeitkritische Berichte zeigen – aus dem Westen genauso wie aus dem Osten, so schwierig es teilweise auch war, dort zu drehen.

Wolfgang Thierse und Holger Kulick an der Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße
2009: Kulick (r.) mit Ex-Bundestags-Präsident Wolfgang Thierse an der Mauer-Gedenkstätte.Bild: imago images / Joachim Schulz

Schwierig, weil Sie als Reporter in der DDR keine Drehgenehmigung bekommen haben.

Genau. Wir haben viel illegal fotografieren und filmen lassen. Ich war damals fester Freier. Ich konnte also als Privatperson über die Grenze und hatte dadurch Vorteile gegenüber den festangestellten Korrespondenten, die strengen Zensur-Prinzipien unterlagen. Die durften nur mit offizieller Aufsicht des Außenministeriums und der Staatssicherheit arbeiten.

Der 9. November 1989
Die Nacht vom 9. November 1989 bedeutete das Ende der Mauer: Tausende strömten an diesem Abend zu den Grenzübergängen, nachdem die DDR-Regierung vorzeitig eine neue Reiseregelung verkündet hatte. Bereits in den Wochen zuvor hatte es massenhaft Ausreisen von DDR-Bürgeri:nnen gegeben sowie immer größere Proteste. Weniger als ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, wurde Deutschland wiedervereinigt.

Was hatten Sie für illegale Aufnahmen?

Ich habe mit Freunden Bildmaterial organisiertaus der Künstlerszene und Opposition in Ostberlin, Dresden und Chemnitz. Das waren sehr selbstbewusst gewordene junge Leute, die Freiräume geschaffen haben, um miteinander zu diskutieren, um die streng ideologische Kunst aufzubrechen und in privaten Locations Experimentelles auszustellen.

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Und wie haben Sie das Material über die Grenze bekommen?

Wenn wir Filmmaterial oder Fotos bekommen haben, bin ich damit nicht selbst wieder über die Grenze zurückgegangen. Es gab ein sehr sympathisches Netz an Diplomaten und Zeitungsjournalisten, die ebenfalls sehr umtriebig waren in der Szene. Da half es sehr, an bestimmten Tagen dort vor Ort zu sein, einen Kaffee zu trinken und zwischendurch der richtigen Person einen Zettel zuzustecken. Die Diplomaten wurden nicht kontrolliert, die haben das Material mitgenommen und am nächsten Tag hat man sich im Westen zur Übergabe getroffen.

Journalist Holger Kulick
Holger Kulick: 1990 als Redakteur im Schneideraum. Bild: Privat / Holger Kulick

Wenn Sie Filmmaterial über Oppositionelle in der DDR veröffentlicht haben, haben Sie die nicht in Gefahr gebracht?

Im Gegenteil, es war eine gefühlte Sicherheit, wenn jemand durch einen TV-Beitrag im West-Fernsehen sichtbar wurde. Die Öffentlichkeit hat sie geschützt.

Zuschauer:innen von "Kennzeichen D" kamen zu über 50 Prozent aus dem Osten. Das ist erstaunlich viel, dafür, dass West-Fernsehen verboten war.

In den 50er und 60er Jahren wurde das ganz streng gehandhabt. Fernseh-Antennen wurden gekappt, wenn sich jemand nicht daran hielt. Später war das nicht mehr so strikt.

Es gab eine Nacht, in der Sie nach einem illegalen Konzert mit Ihrem Käfer voller Oppositioneller in eine Polizeikontrolle geraten sind. Was war da los?

Das war 1983. An diesem Abend gab es ein Konzert am Rande von Berlin und ich habe ein paar Leute, die auch hin wollten, mitgenommen. Aber mein West-Auto vor der Tür hatte relativ schnell die Polizei angelockt. Als wir nach dem Konzert wieder fahren wollten, wurden wir nach nur 200 Metern angehalten. Passkontrolle.

Großdemo kurz vor dem Fall der Mauer am 4. November 1989 in Berlin
Großdemo kurz vor dem Fall der Mauer am 4. November 1989 in Berlin.Bild: Privat / Holger Kulick

Was passierte dann?

Die Beamten haben alle Personalien aufgenommen. Ich hatte natürlich Angst, dass die mich festhalten und ich bis Mitternacht nicht über die Grenze kommen würde.

Was war, wenn man es nicht vor Mitternacht schafft?

Es gab Leute, die mussten in Haft, wenn auch nur für ein paar Stunden. Das ist mir nie passiert. Aber ich wurde relativ häufig rausgewunken bei den Grenzkontrollen, weil die mich schon kannten und ahnten, dass ich im Osten journalistisch arbeite. Oft wurde ich in eine Hinterkammer geführt, wo ich alle Taschen auspacken musste.

Aber gefunden wurde nie etwas bei Ihnen?

Einmal haben sie den Film aus meinem Fotoapparat entfernt und entwickelt. Aber da war nur ein bisschen Künstlerkeramik drauf zu sehen. Ein andermal hatte ich noch 1,20 Ost-Mark in der Tasche. Man durfte aber kein Ostgeld zurück in den Westen nehmen. Deshalb wollte mir einer der Kontrolleure an der Grenze ein Devisenvergehen anhängen.

Und dann?

Der Beamte hat mich eine Dreiviertelstunde warten lassen und dann nochmal zurückgeschickt. Erst nachdem ich das Geld vor dem Grenzübergang Spendensammlern von der Kirche gegeben habe, haben sie mich zurückgelassen.

Hatten Sie Angst?

Das war eine Mischung aus Angst und Lockerheit. Einerseits wusste ich, dass sie nichts gegen mich in der Hand hatten. Andererseits kann die Ungewissheit groß werden, wenn man in einem kleinen Kämmerchen sitzen gelassen wird und nicht weiß, was als nächstes passiert.

Wurden Kolleg:innen von Ihnen festgenommen?

Wir haben teilweise wirkliche Abenteuergeschichten unternommen, nur um einer Verhaftung zu entgehen. Einmal haben sich Kollegen frühmorgens aus ihrer Wohnung geschlichen und sind heimlich über die Dächer von Prenzlauer Berg entkommen, um dann unerkannt mit einem fremden Auto nach Leipzig zur großen Demo am 9. Oktober zu fahren. Dort haben sie gefilmt während die Staatssicherheit noch ihre leere Wohnung bewachte.

Holger Kulick an Mauer 1990, mit Sohn Caspar Ende 1989
Ein Jahr nach dem Mauerfall: Holger Kulick mit Sohn CasparBild: Privat / Holer Kulick

Wurden Sie bespitzelt?

Tatsächlich wurde ich von einem Freund ausspioniert, der über mich Kontakt zu einem Berliner Journalisten mit besten Drähten in den Osten suchte. Jahre später wurden in den Stasi-Akten die Spitzelberichte darüber gefunden.

Was ist das für ein Gefühl?

Das ist schon gespenstisch. Wir waren viel zusammen unterwegs. Damals hatte ich nicht gedacht, dass dieser Freund ein IM (Anm. d. Red.: Inoffizieller Mitarbeiter, der dem Ministerium für Staatssicherheit verdeckt Informationen lieferte) ist. Das war ein absolut guter Schauspieler. Das ärgert einen dann schon.

Sie hatten Verwandte in der DDR in Neuruppin. Hatten die besonders unter der DDR zu leiden?

Die ersten Male, als mein Name im Abspann von "Kennzeichen D" zu lesen war, wurden die wieder vorgeladen.

Wie war die Stimmung kurz vor der Wende?

Aus der Friedensbewegung war inzwischen eine richtige Bürgerrechtsbewegung gewachsen. Anfangs wurden Teilnehmer:innen niedergeknüppelt oder verhaftet. Aber im Oktober waren es auf einmal so viele, dass die Staatsmacht kapitulieren musste. Alle zusammen haben gezeigt, dass die Menschen immer weniger Angst haben, ihre Meinung zu äußern und auf die Straße zu gehen.

Reichte das, um die DDR zu Fall zu bringen?

Zudem gab es immer mehr Polizist:innen und Leute bei der Staatssicherheit, die nicht mehr auf ihre eigenen Leute einprügeln wollten. Die Staatsmacht implodierte geradezu. Und parallel fingen die anderen Ostblock-Länder an, die Grenzen aufzulösen. Das wurde das von vielen Menschen genutzt. In drei Monaten sind 50.000 Leute gegangen. Diese drei Entwicklungen parallel hält kein Staat aus.

Foto von Holger Kulick aus der Nacht als die Mauer fiel
Foto von Holger Kulick aus der Nacht, als die Mauer fiel. Bild: Privat / Holger Kulick

Wo waren Sie am Abend des Mauerfalls?

Nach der berühmten Pressekonferenz, in der Günter Schabowski die unverzügliche Öffnung der Grenzen bekanntgab, habe ich sofort meinen damaligen Chef angerufen. Aber der wollte mir damals kein Kamerateam freigeben, weil er es für unvorstellbar hielt, dass wirklich so viele Menschen zur Grenze strömen könnten. Ich bin natürlich trotzdem zum Brandenburger Tor.

War es wirklich so eine Party, wie es immer heißt?

Ich habe den ganzen Abend auf der Mauer verbracht. Das war die Nacht der Nächte. Dann haben sich sogar die Grenzer-Gesichter wie ganz normale Menschen in den Arm nehmen lassen. Sie haben die Leute einfach passieren lassen. Es gab Sprechgesänge, viele hatten Sekt dabei. Das war eine unbeschreibliche Stimmung.

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