Doktorin Lena Patterer ist eine der wenigen Frauen am Institut für Eisenhüttenkunde.Bild: RWTH / Cora Straßburg
Interview
Blickt man sich in der akademischen Welt um, trifft man in MINT-Bereichen nach wie vor hauptsächlich auf Männer: Beispielsweise sind nur 22,9 Prozent der Professuren an der Universität RWTH Aachen mit Frauen besetzt. Auch bei den Studierenden und Promovierenden sind Frauen, je nach Disziplin, in der Minderheit.
Die RWTH Aachen University ist eine der Exzellenzuniversitäten in Deutschland und eine der führenden technischen Hochschulen in Europa – und will endlich mehr Diversität. Deswegen hat sie die Initiative "Not a Token Woman" ins Leben gerufen, um einen kulturellen Wandel an den Hochschulen zu erwirken. Denn der Weg in die Wissenschaft ist für Frauen kein einfacher.
Watson hat deswegen mit drei erfolgreichen Frauen über die Hürden der Akademiker-Laufbahn, alteingesessene Boys-Clubs und die Problematik der Quotenfrauen gesprochen: Doktorin Lena Patterer, wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am Lehrstuhl für Nachhaltige Metallurgie von Eisen und Stahl am Institut für Eisenhüttenkunde der RWTH Aachen; Professorin Verena Nitsch, Leiterin des Institutes für Arbeitswissenschaft an der Fakultät für Maschinenwesen; und Professorin Maria Kateri, Leiterin des Lehrstuhls für Statistik und Data Science.
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Watson: Frau Patterer, in Ihrem Fachgebiet arbeiten hauptsächlich Männer. Fühlen Sie sich manchmal als Exotin?
Lena Patterer: Ja, das kann man so formulieren. Als ich neu am Institut war, war dieser Eindruck noch stärker, seitdem merke ich aber eine Entwicklung, die auch durch Themen wie Nachhaltigkeit in der Produktion dazu führen, dass sich mehr Frauen für unsere Forschungsthemen begeistern lassen. Der einsetzende Wandel ist beispielsweise in Form von mehr Studienarbeiten junger Frauen spürbar. Möglicherweise müssen wir unsere Themen in der Metallurgie anders formulieren, wenn wir mehr Frauen ansprechen wollen. Sehr wichtig sind dabei dann aber auch weibliche Vorbilder.
Wie sind die ganzen Männer am Institut denn anfangs mit Ihnen umgegangen?
Lena Patterer: Der Einstieg ist mir leichtgefallen, ich bin mit offenen Armen empfangen worden, habe dann aber eben auch festgestellt, dass die Strukturen größtenteils für Männer gemacht waren – etwa ganz praktisch die Schutzkleidung für die Versuchshalle. Vieles war und ist keine böse Absicht, aber es gab nie diese Sicht von außerhalb, also die Sicht einer Frau auf Abläufe und Prozesse.
Professorin Verena Nitsch, Leiterin des Institutes für Arbeitswissenschaft an der Fakultät für Maschinenwesen.Bild: rwth / Cora Straßburg
Frau Nitsch, auch im Maschinenwesen sind Frauen in der Minderheit. Fühlt man sich da auch mal wie eine Quotenfrau?
Verena Nitsch: Ja, wenn es darum geht, dass explizit nach einer Frau gesucht wurde und nicht nach einem Forschungsschwerpunkt. Wenn beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft verlangt, dass eine gewisse Anzahl von Frauen an einem Förderprojekt beteiligt sein muss.
Optimal klingt das nicht.
Verena Nitsch: Das ist nicht partout schlecht, weil am Ende ja durch jede bislang nicht vertretene Person auch neue Perspektiven in die Forschung eingebracht werden. Aber in den Diskussionen geht es vorher leider eher um die Frage, wo man denn eine Frau für das Projekt finden könnte, als um den Forschungsgegenstand, und das sind schwierige Voraussetzungen für eine spätere Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Was macht das mit Ihnen als Wissenschaftlerin?
Verena Nitsch: Es erzeugt oft Missmut – auf allen Seiten. Bei Männern, die dann eventuell ihren Platz in einem Forschungsverbund zugunsten einer Frau aufgeben müssen. Wir Frauen haben dann das Gefühl, dass wir uns ständig rechtfertigen müssen und immer überzeugen müssen, dass wir eben nicht nur als Quotenfrau eingebunden wurden.
Wie haben Sie in dieser von Männern dominierten Disziplin Ihren Weg gefunden?
Verena Nitsch: Es hat mir sehr geholfen, dass ich Psychologie studiert habe und so Erfahrungen, die auch als einschüchternd und diskriminierend wahrgenommen und demotivieren könnten, objektiver bewerten konnte. Und dann bin ich auch einfach ein bisschen sturköpfig und habe mich auch von negativen Erfahrungen nicht abhalten lassen, meine Ziele zu verfolgen. Das war nicht immer einfach, aber im Nachhinein bin ich auch für schwierige Erfahrungen dankbar, die mich haben wachsen lassen. Aber das war auch bei mir ein Lernprozess. Als junges Mädchen hatte auch ich noch nicht diese Resilienz.
Was geben Sie einer jungen Frau mit auf den Weg, wenn sie über eine wissenschaftliche Karriere nachdenkt?
Verena Nitsch: In einem geschützten Raum über diskriminierende Erfahrungen zu sprechen, das hilft sehr. Das führt zur Erkenntnis, dass alle jungen Frauen mehr oder weniger vergleichbare Erfahrungen sammeln und die Ursachen nicht in der eigenen Person liegen. Und: Bitte nicht abschrecken lassen, wenn es Kritik gibt!
Das kann aber eben schnell passieren.
Verena Nitsch: Natürlich muss man lernen, selbstbewusst zu handeln, und das braucht auch Ermutigung aus dem eigenen Umfeld. Ich hatte auch das Glück, dass ich tolle Vorbilder hatte, an denen ich mich orientieren konnte. Vorbilder spielen eine wichtige Rolle, weil sie Möglichkeiten aufzeigen, die man vielleicht vorher nicht für sich gesehen hat.
Professorin Maria Kateri, Leiterin des Lehrstuhls für Statistik und Data Science.Bild: rwth / Cora Straßburg
Frau Kateri, was braucht es, damit es mehr Professorinnen in der Mathematik und vergleichbaren Disziplinen gibt?
Maria Kateri: Wir arbeiten an der RWTH sehr gut und erfolgreich an den notwendigen Strukturen. Das Problem liegt nicht ausschließlich in der fehlenden geschlechtergerechten Handhabung während des Auswahlprozesses eines Berufungsverfahrens, sondern vor allem im Mangel an qualifizierten Bewerberinnen.
Wie lässt sich das ändern?
Maria Kateri: Um die Anzahl der Professorinnen in den MINT-Fächern zu erhöhen, müssen wir viel früher ansetzen; es ist mehr eine Frage der Gesellschaft. Wir müssen mehr Mädchen und junge Frauen für einen Weg in der Wissenschaft begeistern – in den Schulen, in den Familien. Es muss selbstverständlicher werden, dass Frauen auch mit einer jungen Familie einen Weg in der Wissenschaft einschlagen können.
Der Ansatzpunkt liegt also auch außerhalb der Hochschule?
Maria Kateri: Ja, die Denke in der Gesellschaft und das Umfeld sind ein wichtiger Faktor. Wenn eine junge Frau einen Weg in der akademischen Welt einschlagen will, dann braucht sie die Unterstützung des Partners oder der Partnerin, der Eltern und des Umfelds.
Es ist also eine gesellschaftliche Aufgabe.
Maria Kateri: Genau. Wir organisieren beispielsweise in der Mathematik gemeinsam mit der Informatik für Studentinnen im Masterstudium den sogenannten Woman Career Lunch, um für eine Promotion zu motivieren. Dort in der Diskussion stellen junge Frauen oft die Frage: Bin ich gut genug? Hier sind wir alle gefragt, zu informieren, zu beraten und ein entsprechendes Selbstbewusstsein aufzubauen.
Aber Selbstvertrauen ist nur eine Hürde von mehreren, oder?
Maria Kateri: Ja, denn die jungen Frauen fragen sich auch, ob es nicht einfacher ist, trotz Interesse an einer Promotion nahtlos an das Studium in die Industrie zu gehen. Eine akademische Karriere bedeutet normalerweise Ortswechsel und erschwert die Familienplanung. Ich habe an dieser Stelle einmal eine Studentin gefragt, ob sie bereit wäre, umzuziehen, wenn Ihr Partner seinen Traumjob in München gefunden hätte.
Würde sie?
Maria Kateri: Ja. Dann fragte ich sie: Und umgekehrt? Würde sie erwarten, dass ihr Partner dazu bereit wäre? Sie sagte: Nein. Genau hier ist ein Problem, ein gesellschaftliches Problem! Geschlechterrollen sind immer noch stark verankert in der Gesellschaft.