
Sara Steinert hat mit 30 Jahren ihren Vater verloren.foto: Hans Florian Hopfner
Interview
Unter jungen Menschen sind Tod und Trauer keine gängigen Gesprächsthemen. Deshalb trifft es viele auch besonders hart, wenn plötzlich eine wichtige Bezugsperson aus der Familie oder dem Freundeskreis stirbt.
26.04.2025, 15:0526.04.2025, 15:05
Triggerwarnung: Dieser Artikel thematisiert Tod und Suizid. Für manche Menschen kann das belastend oder verstörend sein.
Gerade einmal 30 Jahre alt war Sara Steinert, als sie ihren Vater durch Suizid verloren hat. Sein Tod kam sehr unerwartet und hat Sara schwer getroffen. Wer rechnet schon damit, in seinen Dreißigern ein Elternteil zu verlieren? Viele planen in diesem Alter zu heiraten, eine Familie zu gründen und die Eltern sind ganz selbstverständlich ein Teil dieser Momente.
Wenn dann der Vater oder die Mutter stirbt, scheint für manche die gesamte Lebensplanung auf dem Kopf zu stehen. Und wie man mit dem Verlust umgehen soll, damit sind viele zu Beginn erst mal überfordert. Über Tod und Trauer wird unter jungen Menschen allerdings selten geredet.
Sara Steinert hatte das Glück, in Berlin eine Trauergruppe speziell für junge Erwachsene zu finden. Wie ihr die beim Verarbeiten ihrer Trauer geholfen hat, warum manche Menschen von Trauerarbeit sprechen und was sie in den Wochen nach dem Tod ihres Vaters am meisten belastet hat, darüber spricht sie im Interview mit watson.
Watson: Sara, der Tod deines Vaters kam für dich sehr überraschend. Was war das für ein Tag, an dem du davon erfahren hast?
Sara Steinert: Das war ein Sonntag im Frühling und ich war auf einen Geburtstagsbrunch einer Freundin eingeladen. Ein paar Tage zuvor war mein Papa ins Krankenhaus gekommen, weil er eine Art Nervenzusammenbruch bei seiner Arbeit in der Zahnarztpraxis gehabt hatte. Mir war damals also klar, dass es ihm nicht gut ging. Aber ich erinnere mich noch ganz genau, dass ich an diesem Sonntag mit meiner Halbschwester telefoniert habe und zu ihr meinte, dass der Klinikaufenthalt ein guter Anlass für ihn sein könnte, um ein paar Dinge zum Positiven zu verändern.
Aber dann hast du einen Anruf von seiner Partnerin bekommen.
Genau, sie hat mich gefragt, ob ich was von ihm gehört hätte. Und in dem Moment wusste ich direkt, dass etwas passiert war, weil mein Vater ansonsten immer erreichbar war. Irgendwie hatte ich da schon die Eingebung, dass er sich umgebracht hat. Deswegen habe ich schon auf dem Geburtstag angefangen zu weinen. Die Polizei wurde verständigt und mein Bruder ist zur Praxis meines Vaters gefahren. Später hat er mich von dort aus angerufen und einfach nur ein Wort gesagt: "Ja". Und dann wusste ich, es ist passiert.

Sara Steinert hat nach dem Tod ihres Vaters Hilfe bei einer Trauergruppe gefunden.foto: Hans Florian Hopfner
Wie ging es danach weiter?
Ich bin dann mit Freundinnen zur Praxis gefahren und dort waren mein Onkel, meine Mutter und ganz viele andere Leute. Ich hatte schon im Auto das Gefühl, dass das wie in einem Film ist. Man kennt die TV-Bilder von Tatorten mit Polizeiwagen und weiß gekleideten Männern, aber plötzlich bist du mittendrin in diesem Film, von dem du nie dachtest, dass du das mal wirklich als Akteur miterlebst.
Wie bist du in den ersten Wochen nach dem Tod deines Vaters zurechtgekommen?
Diese ganz basalen Sachen wie einkaufen, duschen, essen, trinken und schlafen haben bei mir eigentlich ganz gut geklappt. Und ich hatte natürlich viel Unterstützung von Freunden. Aber was mich und meine Geschwister überfordert hat, war diese ganze Bürokratie nach dem Tod.
Was meinst du?
Wir mussten die ganze Verwaltungsarbeit übernehmen und zum Beispiel bei der Bank meines Vaters anrufen und denen erklären, dass er verstorben ist. Es standen aber auch viele kleine Entscheidungen an: Was soll er tragen, wenn er in den Sarg gelegt wird? Wie soll der Sarg aussehen? Was soll der Trauerredner sagen? Das sind ja Sachen, über die hast du dir vorher noch nie Gedanken gemacht.
Verdrängen war also keine Option, du musstest dich mit dem Tod deines Vaters auseinandersetzen?
Ja, eigentlich bist du emotional komplett überfordert, aber du musst trotzdem diese tausend Dinge entscheiden. Dadurch wird man immer wieder daran erinnert: Er ist tot. Für mich war es nicht möglich, den Tod meines Vaters zu verdrängen. Das war in den ersten Wochen das einzige, womit ich mich beschäftigt habe.
Manche sprechen auch von Trauerarbeit. Inwiefern findest du diesen Begriff treffend?
Es ist vielleicht keine aktive Arbeit, weil man ja automatisch trauert, aber du verarbeitetest permanent den Tod. Gerade in der Anfangszeit merkt man, wie erschöpft man davon ist. Ich habe teils gar nicht viel gemacht, aber für mich hat es sich angefühlt, als würde ich jeden Tag einen Halbmarathon laufen.
Fühlst du dich verzweifelt?
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichst du rund um die Uhr Mitarbeiter:innen, mit denen du sprechen kannst. Auch ein Gespräch via Chat oder E-Mail ist möglich.
Kinder- und Jugendtelefon: Der Verein "Nummer gegen Kummer" kümmert sich vor allem um Kinder und Jugendliche. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111.
Krisenchat: Bei Krisenchat kannst du dich per Whatsapp rund um die Uhr an ehrenamtliche Berater:innen wenden. Das Angebot richtet sich an Menschen bis 25 Jahre.
Darüber machen sich insbesondere junge Menschen nur wenig Gedanken. Würdest du sagen, wir sprechen insgesamt zu wenig über Tod und Trauer?
Es ist auf jeden Fall zu wenig, um darauf vorbereitet zu sein und es ist vielleicht zu wenig, um eine Leichtigkeit zu finden, darüber zu reden, wenn es dann wirklich passiert.
Woran hast du das gemerkt?
Ich habe das Thema öfters heruntergeschluckt, weil ich sofort gemerkt habe, wie unangenehm das Thema vielen Menschen ist. Manche sagen dann direkt, wie leid ihnen das alles tut. Bei anderen merkst du, dass sie völlig erschlagen sind und du willst es ihnen gar nicht antun darüber zu reden. Deshalb sind Trauergruppen auch so eine krasse Erleichterung für Leute, die jemanden verloren haben.
Inwiefern?
Erstmal ist der Tod in einer Trauergruppe kein Tabuthema. Es ist uns allen passiert und dadurch belaste ich auch niemanden, wenn ich darüber reden möchte. Ich konnte in meiner Trauergruppe ganz frei sprechen, ohne darüber nachdenken zu müssen, dass ich vielleicht jemand schonen muss oder ob ich langsam nicht doch aufhören sollte, darüber zu reden.
Wie hat der Austausch mit anderen jungen Menschen deine Sicht aufs Trauern verändert?
Ich dachte anfangs, dass es vielleicht leichteres und schwereres Trauern gibt. Eine junge Frau in der Trauergruppe hat ihre Mutter beispielsweise nach längerer Krankheit verloren. Ich dachte, in solchen Fällen ist es vielleicht einfacher, weil man Zeit hat, sich zu verabschieden. Aber ich habe schnell gemerkt, dass jede Person struggled, jede Person hat ein schweres Herz und vermisst jemanden. Das hat mir dann auch total geholfen, mich nicht alleine zu fühlen und zu wissen: Die machen genau das Gleiche durch wie ich.
Aus der Trauergruppe heraus ist dann auch der Podcast "Trauerei" entstanden. Was hat es damit auf sich?
Mit dem „Trauerei“-Podcast wollten wir ähnlich wie in der Trauergruppe Geschichten von jungen Trauernden erzählen, damit gerade auch Menschen, die vielleicht auf dem Land leben, wo es keine U35-Trauergruppe gibt, von anderen Leuten in ihrem Alter hören und merken, dass sie mit ihrer Trauer nicht alleine sind.
Am Ende ist Trauer etwas sehr Individuelles. Hast du trotzdem einen Rat für junge Menschen, die kürzlich jemand verloren haben?
Darauf gibt es tatsächlich keine Standard-Antwort, aber es ist sicherlich hilfreich, wenn man in dieser Zeit ein, zwei Vertraute hat, denen man sagen kann, was man braucht und die das dann vielleicht auch im Freundeskreis kommunizieren. Mir persönlich hätte es total geholfen, wenn mich meine Freunde manchmal gar nicht danach gefragt hätten, was ich machen möchte, sondern mich einfach abgeholt und mit mir wohin gefahren wären.
Kommt man denn irgendwann zu einer Art Normalität oder Alltag zurück?
Es gibt das Leben vor dem Tod und das Leben danach. Auch wenn das jetzt fast 10 Jahre her ist, für mich ist das die krasseste Zäsur meines Lebens.
Wie präsent ist die Trauer um deinen Papa heute?
Ich bin immer noch traurig, weil dieses Vermissen nicht aufhört. Ich habe mich zwar an die Welt ohne ihn gewöhnt und denke jetzt auch nicht mehr jeden Tag an ihn. Aber wenn ich an ihn denke, vermisse ich ihn und wünschte, er wäre noch da.