Liebe Menschenscheu aus Gründen,
in diesem konkreten Fall muss ich deine Frage leider mit "nein" beantworten. Nein, es ist mir noch nie passiert, dass ich freiwillig einen Karaoke-Abend hab sausen lassen (egal mit wem), um Freunde oder Kollegen mit meiner besten Performance von "Since you’ve been gone" von Kelly Clarkson zu verstören.
Um nicht in die Situation zu geraten, eine einmonatige Magen-Darm-Krankheit gemeinsam mit Interesse für die Frisuren deutscher Nationalratsspieler vortäuschen zu müssen, habe ich passend zur WM einen Urlaub in Italien gebucht. Unser Problem bleibt das Gleiche: sozial akzeptierte Unternehmungen mit Bekannten abzulehnen, ohne dabei die Vorteile des zwischenmenschlichen Koexistierens zu verlieren, die im Wesentlichen aus – ja, was eigentlich – bestehen?
Weil ich auch nicht schlauer bin als du und viel zu oft nette Dinge zusage, hab ich das Ratgeber-Buch für Gewissensgeplagte von Sarah Knight gelesen. Es heißt "The Life-Changing Magic of Not Giving a F**k".
Ein Beispiel.
Sarah hasst Baby-Partys, also diese Events, die schwangere Frauen zum Leidwesen ihrer Freundinnen veranstalten, um sich beschenken und noch mal den Bauch betätscheln zu lassen. Statt also alle sieben bis neun Wochen zu ebensolcher Partys zu gehen, hat sie sich entschieden, lieber fünfzehn Minuten für den Kauf eines Online-Geschenks zu investieren und dieses direkt mit einer netten Karte liefern zu lassen.
So, sagt zumindest Sarah, entgeht sie ihrem schlechten Gewissen, die Party halbherzig betreten und nach zwei elendig gezogenen Stunden wieder verlassen zu haben und verschafft sich einen Abend Me-Time auf dem Sofa.
Laut Knight sollten wir alle mehr auf unser emotionales Fuck-Konto achten und uns für die verschiedenen Bereiche des Lebens – sei es Arbeit, Familie oder Kollegen – nur ein gewisses Kontingent an "Fucks" erlauben. Wenn die "Fucks", also die Abende oder Geschichten, denen wir Aufmerksamkeit zuwenden, "leer" beziehungsweise aufgebraucht sind, wird es Zeit, sich fürs nächste Monat bessere Prioritäten zu setzen.
Wenn es dir weniger wichtig ist, ob dich deine Kollegen leiden können, dann geh nicht zu dem Abend. Wenn es dir superwichtig ist, dass du mit allen tratschen und Mittagessen gehen kannst, schau vorbei.
Ich für meinen Teil kann mit Knights Methode nur bedingt etwas anfangen. Wenn ich die Wahl zwischen einem Abend mit mir und dem Sofa oder einem Abend mit Menschen, die mir so halb etwas bedeuten immer zugunsten des Sofas ausfallen ließe, hätte ich irgendwann den Freundeskreis meiner 83-jährigen Oma, deren Geschwister und Freunde langsam das Zeitliche segnen, ohne, dass sie gestorben sind.
Es ist egoistisch, grundlos und ohne Absage irgendwo nicht aufzukreuzen; gleichzeitig ist es dein gutes Recht. Es ist selbstbestimmt, Dinge zu ignorieren, die dich nicht tangieren, auch wenn sie anderen etwas bedeuten.
Ob es sich dabei nun um verpasste Babyshowers, Geburtstage oder Gegenkommentare auf rechten Onlinemedien handelt. First things first. Aber wundere dich nicht, wenn du bald selbst als "The Second Choice" giltst.
Alles Liebe
Bianca Jankovska
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