Mein Medizinstudium ist fast beendet. Der Prüfungstermin des letzten Staatsexamens steht fest. Und damit der langersehnte Tag, an dem ich Ärztin werde.
Zwei Monate lang werde ich noch Diagnosen diskutieren, Kommiliton:innen zum gemeinsamen Lernen treffen, Patientenfälle erarbeiten. Dann habe ich es endlich geschafft.
Seit meinem 14. Lebensjahr fiebere ich auf diesen Tag hin. Denn ich wollte nichts mehr, ich wollte nichts anderes. Ich wollte Ärztin werden.
Einen Plan B hatte ich, um ganz ehrlich zu sein, nie. Ich war mir sicher, dass ich "nur" hart genug arbeiten muss, um einen Studienplatz zu bekommen. Danach wäre mir ein Job sicher. Immerhin herrscht in Deutschland akuter Ärztemangel. Was also sollte schiefgehen?
Heute frage ich mich: Wo ist dieser Ärztemangel, von dem alle sprechen? In meiner Realität ist er nicht zu sehen.
Freund:innen und Bekannte berichten von Klinikbewerbungen, die rückmeldungslos im Nirwana verschwinden, von Absagen am laufenden Band: "Leider können wir Ihnen zurzeit keine Position als Ärztin anbieten."
Der Druck, eine erste Assistenzarztstelle zu finden, stieg in den vergangenen Wochen und Monaten bei vielen von uns täglich, manche treibt die Suche fast schon in den Wahnsinn. Je mehr ich in meinem Umfeld zuhörte, desto öfter registrierte ich eine allgemeine Ratlosigkeit.
Zwar fehlt es Deutschland an medizinischem Personal in ländlichen Regionen, und zunächst dachte ich noch, es handle sich um Einzelfälle bei Studierenden, die in einem kompetitiven Fach beginnen möchten und Schwierigkeiten haben, eine Anstellung zu finden. Das Gegenteil ist der Fall.
Wer die Ambition hat, in einem beliebten Fach zu starten, und das wie ich in einer Großstadt wie München plant, der muss sich strecken. Denn hier herrscht kein Ärztemangel. Hier sind Wartezeiten vorprogrammiert.
Hätte mir jemand zu Beginn meines Medizinstudiums gesagt, dass meine Kommiliton:innen und ich später Probleme haben werden, einen Arbeitsplatz zu finden, hätte ich, wie vermutlich all meine Mitstreiter:innen, laut gelacht.
Die Realität jedoch ist: Wer sich nicht gerade dazu verpflichten möchte, Hausärztin oder Hausarzt auf dem Land zu werden, tut sich plötzlich schwer. Eine Alternative wäre eine der extrem arbeitsintensiven Fachrichtungen. Doch möchte man dort wirklich starten, wenn man vorher weiß, dass eine 80-Stunden-Woche die Regel ist?
Auf einmal verspürt man Ungewissheit. Und macht sich doch Gedanken über Plan B.
Ich war in den vergangenen Wochen oft zwiegespalten. Die Bewerbungslage machte mich wütend und traurig, gleichzeitig bin ich dankbar, wie viele Optionen es für Ärzt:innen abseits des Krankenhausalltags und der unmittelbaren Facharztausbildung gibt.
Eine dieser Optionen, auch wenn sie unter Kolleg:innen teils verpönt ist, ist die Arbeit als Medfluencer:in auf Social Media, die durchaus lukrativ sein kann.
Ich selbst bin der festen Überzeugung: Medizin, Ärzt:innen, Medizinstudierende und Co. haben sich einen Platz in den sozialen Medien verdient! Deshalb bin ich auf Tiktok und Instagram aktiv, deshalb schreibe ich meine Kolumne für watson.
Ich kann einige Lästereien von anderen Mediziner:innen ehrlicherweise nicht nachvollziehen, weil wir doch alle die gleichen Ziele haben: den Menschen um uns herum Gesundheit näherzubringen, Krankheiten zu vermeiden und durch Blicke hinter die Kulissen nahbar zu werden.
Leider, das muss ich zugeben, ist es manchmal ein schmaler Grat zwischen den Zielen auf Social Media und dem notwendigen Marketing, das den Algorithmus ausreichend anfeuert.
Zudem hat sich, befeuert durch teils unqualifizierte Aussagen, ein vorurteilbelastetes Bild gegenüber Mediziner:innen auf Social Media etabliert. Ich möchte nicht lügen: Auch mir sind bereits unüberlegte Fehler in meinen Feed gerutscht, bei denen ich im Nachhinein gedacht habe: Das hätte nicht sein müssen. Lesson learned.
Ich sehe jedoch auch großes Potenzial darin, die Berufswege zu kombinieren: Erfolgreiche Influencer:innen erreichen täglich Millionen von Menschen, sind meist absolute Marketingprofis. Stellt euch vor, welche Masse an Gesprächen mit Patient:innen eine einzige Ärztin, ein einziger Arzt halten müsste, um auf vergleichbare Zahlen zu kommen.
Nicht ohne Grund beginnen Krankenkassen und ganze Krankenhauskonzerne, Content-Creator:innen für Kooperationen zu akquirieren. Sie wissen: Nur so können wir uns in Massen Gehör bei der Gen Z verschaffen.
Für mich ist allerdings auch klar: So sehr ich die Kombination der beiden Berufswege unterstütze, so gerne ich selbst online aktiv bin, ich würde die Arbeit im Krankenhaus nicht missen wollen. Eine Karriere als Medfluencerin? Nein, darum geht's mir nicht. Ich will ins Krankenhaus. Ich will eine Stelle als Ärztin. Und ich freue mich sehr darüber, dass es bald endlich so weit ist.