"Man wird nicht als Frau geboren: Man wird es." Zitate wie jenes der feministischen Vorreiterin Simone de Beauvoir gibt es viele. Sie werden mittlerweile auf Jutebeutel gedruckt, in motivierenden Instagram-Posts zitiert oder als Einstieg in Texte wie diesen missbraucht.
Im weitesten Sinne soll es in diesem Artikel auch um "das Frau-sein" gehen. Würde man das eigentliche Thema aber beim Namen nennen, würde es wahrscheinlich mehr Stöhnen hervorrufen. Also entschied ich mich für diesen feministischen Kalenderspruch. Aber jetzt zur Sache: Heute ist Weltmenstruationstag. Genau, stöhn.
Geht es nach meinen Chef, sollen solche Tage für unsere Redaktion ohnehin keine grundlegenden Wegweiser für die Berichterstattung sein. Man kann schließlich immer auch unabhängig von solchen Tagen über Thema XY sprechen, so die Argumentation.
Das mag für den Weltfußballtag stimmen und mit Sicherheit auch für den Welttag des Papageis (für Interessierte übrigens am kommenden Wochenende). Auch beim anstehenden Vatertag halte ich persönlich eine ausführliche Berichterstattung nicht für nötig, denn um Vaterschaft im eigentlichen Sinne geht es an diesem Tag ja sowieso nicht.
Bei der Menstruation verhält es sich etwas anders. Denn auch in noch so aufgeklärten Kreisen wird noch immer viel zu wenig über die Periode und vor allem das, was sie umgibt, gesprochen. Wir bei watson hatten in den vergangenen zwei Monaten drei Texte zum weiblichen Zyklus. In anderen Medien kam das Thema de facto gar nicht vor.
Anfang Mai brauchte es erst eine vermeintliche Aufklärungsshow von TV-Satiriker Jan Böhmermann, um das Keyword "Analkrämpfe" in Bezug auf die Periode in die deutschen Google Trends zu katapultieren. Weder wussten die Zuschauenden anschließend, was damit gemeint ist, noch wurde wirklich ernsthaft über das gesprochen, was Menstruation, PMS und Erkrankungen wie Endometriose eigentlich wirklich bedeuten.
Deshalb einmal hier: Analkrämpfe sind Kontraktionen im Anus, die einen plötzlichen, ziehenden Schmerz in eben diesem Bereich auslösen. Einige Frauen erleben diese regelmäßig während der Menstruation, manchmal kommen Analkrämpfe aber auch rund um den Eisprung vor.
Es dürfte einen nicht unerheblichen Anteil an Frauen gegeben haben, die nach der Periodenfolge des "ZDF Magazin Royal" erstmals realisiert haben, dass dieses Symptom mehr als nur ein seltsames Gefühl in ihrem Hintern ist.
Verwunderlich ist das nicht. Denn auch wenn wir heute öffentlich über unsere Menstruationsblutung reden "dürfen", gilt das nicht für die unendliche Zahl an Begleiterscheinungen des weiblichen Zyklus.
Das fällt spätestens dann auf, wenn man ihn dann doch einmal anspricht.
Dabei meine ich nicht zwingend die Gespräche über Periodenkrämpfe und Tampongrößen. Schließlich besteht der Zyklus nicht aus den vier bis sieben Menstruationstagen, sondern aus insgesamt etwa 28 Tagen (oder wahlweise auch bis zu 40).
Unter der Abkürzung PMS (prämenstruelles Syndrom) ist mittlerweile zumindest eine weitere Zyklusphase salonfähig geworden. Die drei Buchstaben sind inzwischen Synonym für die Phase, in der man weibliche Personen vorsichtig fragt, ob sie denn bald ihre Tage bekämen.
Was die wenigsten wissen: Laut Untersuchungen leiden etwa fünf Prozent der Frauen in Deutschland unter so starken Beschwerden durch PMS, dass sie auch psychisch stark davon beeinträchtigt sind. Damit ist nicht irgendeine Fantasie von wahlweise liebestollen oder hysterischen Frauen gemeint, sondern echte Beschwerden. Generell sind PMS-Symptome bei 20 bis 40 Prozent der Frauen in Deutschland stärker ausgeprägt.
Dass diese Spanne derart groß ist, verwundert kaum. In Gesprächen mit Frauen in meinem Umfeld in den vergangenen Wochen, verneinten viele zunächst, dass sie regelmäßig unter PMS-Beschwerden leiden. Im Gesprächsverlauf wurde dann aber deutlich, dass von Wassereinlagerungen bis Mittelschmerz meist mindestens ein Symptom vertreten war.
Allein in diesem Satz finden sich zwei weitere Begriffe, mit denen sich vermutlich die wenigsten Männer überhaupt schon einmal beschäftigt haben. In Gesprächen merke ich zudem, dass auch Frauen solche Begriffe nur selten nutzen, ihre Symptome oft selbst gar nicht genau benennen.
Denn auch die Aufklärung für betroffene Frauen lässt weiter zu wünschen übrig. So lautet der durchschnittliche Rat von Ärzt:innen bei jeglichen Beschwerden rund um den Uterus: Schmerzmittel.
Dabei gehören zu den Symptomen von PMS eben auch Stimmungsschwankungen, gesteigerter Appetit und geschwollene Brüste. Da kann meist weder Ibuprofen noch Aspirin helfen.
In vielen Fällen fehlen allerdings tatsächlich die Alternativen. Gendergerechte Medizin ist hierfür leider noch ein viel zu junges Feld.
Frauen mit regelmäßig ausbleibender Periode suchen oft jahrelang nach der Ursache und plagen sich mit zugehörigen Beschwerden.
Erkrankungen und chronische Zyklusstörungen werden aufgrund vorschneller Therapievorschläge oft nicht oder erst nach Jahren erkannt. Das polyzystische Ovarialsyndrom (noch so ein nerviger Fachbegriff, stöhn) beispielsweise bleibt Untersuchungen der Zyklus-App Clue zufolge in sieben von zehn Fällen unentdeckt. Bei dieser Hormonstörung ist die Eizellreifung beeinträchtigt, die Periode ist unregelmäßig und Schwangerschaften erschwert.
Das Grundproblem ist dabei in einem Satz auf den Punkt zu bringen: Der Zyklus ist – anders als man vermuten mag – kein Uhrwerk. Zumindest nicht bei den allermeisten Frauen.
Umso wichtiger ist es, über ihn zu reden. Denn all seine Begleiterscheinungen sind keine nervigen Symptome, die unsere männlichen Artgenossen gütig ertragen. Sie sind Teil unseres Körpers, wie es unsere Nase oder unsere Arme sind.
Warum also sprechen wir über unseren Zyklus untereinander, aber auch mit Männern nicht so wie wir es über unsere Nase machen? Dass dabei spannende Gedanken entstehen, zeigt sich etwa in einem kürzlich erschienenen Text von meinem Kollegen Dariusch Rimkus anlässlich des Weltmenstruationstages.
Ich könnte hier nun einen Bezug auf den Beginn dieses Textes einbauen und irgendwas Kluges über die Bedeutung vom "Frau werden" schreiben. Doch viel wichtiger ist, dass die watson-Maxime zu "irgendwelchen Welttagen" auch für die Menstruation Realität wird. Wenn eines Tages nicht nur Analkrämpfe eine Plattform bekommen, sondern auch Endometriose, PCOS, PMS und all die kleinen Zwischenblutungen unseres Lebens: Dann müssen wir am Weltmenstruationstag nicht mehr reden.