
Besonders hart ist es dieses Jahr zu Weihnachten: Junge Menschen wie wir, die (noch) keine eigene Familie haben, Single sind oder die Eltern vor dem Coronavirus schützen wollen – wir bleiben über die Feiertage dieses Jahr allein.Bild: getty images/ E+ / Xesai
Meinung
24.12.2020, 16:5926.12.2020, 19:31
Heute ist Heiligabend. Eine Woche noch, dann ist dieses verrückte, aber auch beschissene (Entschuldigung!) Jahr vorbei. Das Coronavirus hat die ganze Welt lahmgelegt. Und wer sich in den vergangenen zwölf Monaten nicht infiziert hat, der lebt in ständiger Angst, sich nicht doch noch irgendwo anzustecken.
Eine Woche also noch, dann ist dieses Jahr 2020 Geschichte. Und – das ist gewiss – Geschichte wird es immer bleiben. Denn noch nie in unseren jungen zwanziger und dreißiger Jahren mussten wir uns so einer globalen Herausforderung stellen. Herausforderung, ja, das sagt man heute so.
Fuck Corona! So sagen wir es.
Wir, das sind die jungen Leute. Die, die oft von Politik und Gesellschaft als Pandemietreiber dargestellt wurden. Obwohl Studien schon längst das Gegenteil belegt hatten. Jugendforscher Klaus Hurrelmann sagt im watson-Interview: "Unsere Befragung von Menschen zwischen 14 und 39 im September und Oktober zeigt ganz klar: Über 70 Prozent der Teilnehmer halten sich an die AHA-Regeln, verzichten bewusst auf soziale Zusammenkünfte wie Partys und zeigen sich solidarisch mit älteren Menschen."
Auch jetzt, im zweiten Lockdown, hielte sich der Großteil der jungen Menschen bemerkenswert an die Regeln, sagt der Experte, selbst wenn wir zu keiner Risikogruppe gehören.
Aber sei es drum. Mit 20, 25, 30 Jahren wird man wohl immer als zehnmal unvernünftiger gelten, als die, die zehn Jahre älter sind oder die, die uns auf die Welt geholt haben.
Wir, die Jungen, wir achten
Nun, eine gute Sache hat dieses Jahr wohl: Schlimmer kann es nicht werden. Zumindest nicht, wenn wir auf uns und unsere Mitmenschen, Verwandten, Freunde, Kollegen, Nachbarn, Supermarkt-Miteinkäufer und so weiter achten. Und genau das ist der Punkt.
Wir, die Jungen, wir achten. Wir achten auf die, die auch ohne Corona mit ihrer Gesundheit zu kämpfen haben. Auf Opa, dessen Knochen nicht mehr die stabilsten sind, er aber trotzdem auf die Leiter klettert. Und auf Oma, die die heiße Auflaufform unbedingt selbst aus dem Ofen holen will. Wir achten auf Papa, der den Computer wieder selbst reparieren will und mit Stromkabeln rumhantiert – und auch auf Mama, die mit Grünem Star beim Augenarzt sitzt. Wir achten auf sie, weil sie zur sogenannten Risikogruppe zählen. Vom Alter, von den Vorerkrankungen, vom Lebensstil her.
Wir schützen sie. Wir verzichten. Und tun es für sie - und für uns. Damit wir nächstes Jahr wieder mit allen feiern können. Und keiner fehlt.
Wir achten auf sie, und bleiben allein.
Heute an Heiligabend tut es weh. Die, die schon eine eigene kleine Familie haben oder die, die vielleicht mit den Geschwistern in der WG am Küchentisch sitzen können oder die, die gern allein sind, ja, die haben sich.
Jüngere kommen schlechter mit Einsamkeit zurecht als Ältere
Doch was ist mit den vielen Menschen, die zum ersten Mal in ihrem jungen Leben beschlossen haben, allein Weihnachten zu feiern? Feiern zu müssen. Die vielleicht Single sind oder eben einfach vorsichtig. Einsamkeit ist keine Frage des Alters. Einsam sind die vielen Senioren, die nun in den Altersheimen keinen Besuch empfangen dürfen. Natürlich. Oder die, die allein zu Hause sind. Doch ihnen fällt das und der Verzicht auf das übliche Maß an Kontakten weniger schwer als den Jüngeren, besagt eine Sonderauswertung des Deutschen Alterssurveys. Nun einsam sind eben auch wir.
Wir, die vielleicht niemanden haben, der mit uns Feuerzangenbowle um Mitternacht trinkt oder zum dritten Mal herzzerreißend über "Kevin allein zu Haus" lacht. Haben wir überhaupt einen funkelnden Weihnachtsbaum und ein Festtagsmenü, wenn wir doch nur drei Tage lang vor Netflix und der Playstation 5 sitzen? Wozu denn eigentlich?

Einzig übers Handy oder den Laptop bleiben wir mit Familie und Freunden an Weihnachten verbunden – doch die persönliche Nähe fehlt. Vor allem jetzt.bild: getty images/ E+ / svetikd
Wir haben die Ein-Zimmer-Wohnung in der vollen – und sehr stillen – Großstadt
Es ist leicht als Herr Söder, Herr Spahn, Herr Müller oder Herr Wieler (RKI-Präsident) deutlich oder auch sinnbildlich zu sagen: Bleibt allein. Bleibt zu Hause. Schützt die Alten. Schützt die anderen. Natürlich wollen wir das. Und am Ende entscheiden wir das auch so. Aber all diese Herren haben Familie – oder zumindest einen Partner –, ein schönes großes Haus, Hunde (Herr Söder). Wir haben die Ein-Zimmer-Wohnung in der vollen – und sehr stillen – Großstadt. Und damit noch nicht mal einen Hund.
Wo waren die 20- bis 30-Jährigen in den Polit-Talks dieses Landes von Anne Will, Frank Plasberg, Maybrit Illner, Sandra Maischberger oder auch etwas bunter von Markus Lanz? Die Politiker waren da, die Virologen, die Epidemiologen und Karl Lauterbach sowieso. Sie haben uns dazu gebracht, so zu entscheiden. Den Schutz der anderen vorzuziehen. Das ist richtig. Und wichtig.
Doch würden am Ende auch sie ganz allein an Heiligabend vor dem Laptop sitzen?
Die "Epidemie im Verborgenen"
Jugendforscher Hurrelmann sagt gegenüber watson: „Die Gruppe der 15- bis 25-Jährigen ist am stärksten vom Lockdown betroffen, wenn nicht gesundheitlich, so zumindest sozial, psychisch und in Bezug auf Zukunftsfragen.“ Da steckt auch die Einsamkeit drin. "Es ist das größte Tabu der heutigen Gesellschaft", sagt Mazda Adli, Stressforscher an der Charité in Berlin. Das Rote Kreuz nennt das Phänomen die "Epidemie im Verborgenen". Deswegen reden wir darüber. Weil auch wir betroffen sind. Stärker als vielleicht jemals zuvor.
Immer dieselbe Antwort: "Ich fahre nicht"
Auf die Frage, was machst du an Weihnachten, kommt immer wieder dieselbe Antwort: "Ich fahre nicht nach Hause. Ich möchte meine Eltern nicht anstecken." Und immer wieder senken sie dabei den Kopf, um die Trauer zu verbergen. Jugendforscher Hurrelmann bestätigt diese Realität: "Die große Mehrheit junger Menschen zeigt ein außergewöhnliches Durchhaltevermögen und Verständnis für die Situation".
Es wird ein nächstes Weihnachten geben. Ein 2021 mit Impfung und Immunität.
Vergessen werden wir dieses von 2020 nicht.

Weihnachten allein vergrößert die Einsamkeit, die wir Jungen durch das Coronavirus in 2020 schon so sehr spüren mussten. Egal ob drinnen oder draußen. Bild: Moment RF / Oscar Wong
Hilfreiche Anlaufstellen gegen Einsamkeit
Telefonberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, auch an den Feiertagen: 0800 2322783
Telefonseelsorge (auch via Chat) auf
telefonseelsorge.de Beratungstelefon unter: 0800 1110111 oder 0800 1110222
Die Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche: 116111
Du hast ein ungutes Gefühl, weil der Partner irgendwie abweisend ist? Das kann passieren. Wir schauen uns die Alarmzeichen genauer an.
Wer kennt’s nicht? Man sitzt gemütlich nebeneinander, die Stimmung ist eigentlich entspannt – und plötzlich wirkt er irgendwie anders. Kürzere Antworten, ein genervter Blick, vielleicht ein betontes Schweigen. Und obwohl du ganz sicher weißt, dass da was ist, kommt auf die Frage "Alles okay bei dir?" nur ein betont gleichgültiges "Ja, alles gut". Aha. Klar.