Die 45 Minuten, bevor Mann und Sohn das Haus Richtung Kindergarten verlassen, sind jeden Morgen wieder anstrengend. Aus dem Bett schmeißen, zum Anziehen zwingen, bitte iss dein Müsli weiter, nein, du kannst jetzt nicht mehr spielen, Stopp, Zähne putzen, die Kinder warten schon auf dich, jetzt beeil dich mal, wisch deinen Mund ab, doch, die dicke Schneehose muss sein, stell dich bitte hin, damit ich die Schuhe anziehen kann, bleib jetzt verdammt noch mal stehen, vergiss den Rucksack nicht. Tschüss!
Ganz egal, welche To-Do-Listen, Text-Abgaben oder nervigen Telefonate auf mich warten, in dem Moment, in dem ich die Tür schließe und alleine im Haus zurückbleibe, schüttet mein Körper Glücksgefühle aus. Es ist einfach nur still und die nächsten vier Stunden kann ich alle Tätigkeiten in meinem Rhythmus erledigen.
Manchmal koche ich mir erst mal eine Tasse Tee, setze mich an den Esstisch und starre in den Garten. Minutenlang. Einfach nur nichts tun und nicht reagieren müssen.
Seit ich ein Kind habe, ist Alleinsein für mich zum Luxus geworden. Die Journalistin Alexandra Zykunov schrieb in einem Instagram-Post, dass sie und ihr Mann einen Deal hätten: Alle sechs Wochen fährt abwechselnd einer der beiden übers Wochenende mit den Kindern weg, zum Beispiel zu Oma und Opa. Die Idee ist genial und sollte bei allen Paaren, die es sich wünschen, umgesetzt werden. Auch bei uns.
Die wenigen freien Wochenenden, die ich bisher hatte, haben sich im Laufe der vergangenen 3,5 Jahre verändert. Zu Beginn wollte ich Freunde treffen, Erwachsenen-Gespräche führen, Städte besuchen, für 48 Stunden in mein altes Leben eintauchen und im besten Fall einen Schnelldurchlauf des urbanen, unabhängigen Lifestyles erleben. Kino, Restaurant-Besuche, Drinks an der Bar, ein Konzert, Wellness-Anwendung, Spaziergang mit Coffee to go und ausgedehnte Frühstücke im Café.
Unabhängig davon, dass gerade alles geschlossen hat, stelle ich mir das perfekte freie Wochenende momentan so vor:
Ausschlafen, im Bett frühstücken, nebenbei eine Serie beginnen und so viele Folgen durchglotzen, bis ich vom langen Liegen Rückenschmerzen bekomme. Selbst bestimmen, wann ich mich anziehe und das Haus verlasse. Einen Kaffee holen und mit einem Podcast auf den Ohren, der schon ewig auf meiner Liste steht, durch die Sonne laufen. Abends essen liefern lassen. Im Bett lesen bis mir die Augen zufallen.
Am nächsten Tag eines der vielen Projekte angehen, die seit Jahren von einer To-Do-Liste auf die nächste wandern: Kisten mit liebgewonnen Gegenständen bei Ebay Kleinanzeigen einstellen oder das digitale Fotobuch fürs Kind beginnen. Das alles ohne Zeitdruck, ohne schlechtes Gewissen, ohne Unterbrechungen. Meinen Tagesablauf selbst bestimmen, mich auf meine momentanen Bedürfnisse konzentrieren und keine Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen müssen – für mich das Nonplusultra.
Ich werde voraussichtlich die nächsten 15 Jahre nicht mehr frei und unabhängig sein, ich kann mir nur Auszeiten schaffen, in denen ich es stunden- oder tageweise bin.
Was ich mich schon manchmal frage: Was ist aus der geselligen Frau geworden, die ich mal war? Die nicht genug Leute an einem einzigen Wochenende treffen konnte? Die ihre Freizeit mit Menschen, Veranstaltungen und Unternehmungen vollgepackt hat? Ich ziehe noch immer Energie aus Begegnungen, Inspirationen und neuen Eindrücken.
Doch die vergangenen Jahre mit Kind und ganz besonders diese Pandemie haben mich so sehr gefordert, dass mir vieles zu anstrengend geworden ist. Ich brauche Zeit für mich. Zeit, um Dinge zu tun, die früher selbstverständlich waren. Bücher lesen, Trends beobachten, stapelweise Zeitschriften durchforsten, Interessantes recherchieren, Ideen generieren, Gedanken nachhängen. Das passierte damals nebenbei, am Morgen, als Ablenkung von der Arbeit oder in der U-Bahn.
Wenn ich jetzt mal 30 Minuten habe, in denen nichts dringend abgearbeitet oder erledigt werden muss, hänge ich häufig am Handy oder lese. Um ungestört dem nachzugehen, was mir wichtig ist.
Und es gibt Tage, da geht es um ganz Banales. Wer geht einkaufen, wer bleibt mit dem Kind zu Hause? Ich. Nein, ich. Einkaufen bedeutet, eine sinnvolle Tätigkeit am Stück und effizient zu erledigen, ohne zwischendurch 20 Fragen beantworten zu müssen, ohne zu nervigen Spielen aufgefordert zu werden, ohne dabei unterbrochen zu werden, seinen Gedanken nachzuhängen.
Und am Ende noch zehn Minuten alleine im Auto sitzen, um endlich in Ruhe eine Sprachnachricht abzuhören. Oder einen Song ohne Zwischenrufe zu genießen. Ich empfehle: "Allein, Allein" von Polarkreis 18.