Mein Sohn war von der ersten Sekunde an ein Klammeraffe. Wollte im Krankenhaus nicht im Kinderbett liegen, nur bei mir. Bitte Körperkontakt nonstop. Und so ging es zu Hause weiter. Ich konnte ihn nicht mal im Tiefschlaf ablegen. Kinderwagen-Ausfahrten? Sechs Monate lang undenkbar! Er lebte auf unseren Armen, an meiner Brust und den Rest in der Trage, dicht an den Körper gepresst.
Inzwischen ist er 3,5 Jahre alt, aber das große Nähebedürfnis hat sich nur verlagert. Netterweise saugt er nicht mehr an meiner Brust, aber sie scheint immer noch eine große Rolle zu spielen. Manchmal kommt er tagsüber her, sagt "Brust" und will drei Sekunden seine Hand auflegen. Dann zieht er fröhlich wieder ab. Als würde er auftanken. Zu Hause ist mir das egal, aber in der Öffentlichkeit? Seltsam. Und wann legt sich das bitte?
Bis heute schläft er nur in unserem Bett, immer mit einem Körperteil an mir oder meinem Mann – und wenn es nur die große Zehe ist. Seine erste Schlafphase, in der wir noch wach sind, ist meistens unruhig. Oft wacht er ein bis zweimal auf. Ab dem Moment, ab dem wir neben ihm liegen, schläft er durch, weil er sofort spürt, dass jemand da ist.
Weiter gehts mit dem Kindergarten. Jeden Morgen dieselbe Frage: Warum muss ich da hin? Ihm gefällt es dort total gut und laut Erziehern spielt er wunderbar mit sämtlichen Kindern und ist bei allen Aktivitäten hochmotiviert. Trotzdem würde er lieber bei mir bleiben, wenn er es sich aussuchen dürfte. Und seit ein paar Wochen fängt er zu heulen an, wenn ich nicht um Punkt 12.30 Uhr – der frühmögliche Abholtermin – parat stehe.
Jüngere Kinder heulen, weil sie mittags mitessen möchten. Mein Sohn weigert sich. "Ich will zu dir", "Ich will bei dir sein" oder das Highlight letztens: "Ich will für immer bei dir bleiben." Mein Mann und ich witzeln schon, dass er nie ausziehen wird.
Aber mal ernsthaft: Woher kommt dieses extreme Klammern? Frühkindliche Traumata aufgrund elterlicher Trennungen schließe ich aus. Ich habe ihn bis zwei Jahre komplett zu Hause betreut, ihn danach bei der Tagesmutter noch vor dem Mittagsschlaf abgeholt, weil er das einforderte. Und jetzt geht er gerade mal vier Stunden pro Tag in den Kindergarten. Meine bisherigen Wochenenden ohne Kind sind einstellig. Und wenn ich dann doch ein paar Solo-Tage plane, organisiere ich die entsprechenden Omas und Opas, damit möglichst viele Vertrauenspersonen ihn umsorgen.
Von außen mag das ja süß aussehen, so heiß und innig geliebt zu werden. Mir ist das ständig viel zu viel. Weil mich diese Abhängigkeit wahnsinnig macht. Ziehe ich mein Ding durch und arbeite drei Tage am Stück Vollzeit, bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn er mich an Tag zwei fragt, ob ich denn wirklich morgen wieder ins Büro müsse und warum ich nicht von zu Hause arbeiten könne. Sofort fühle ich mich schlecht.
Dann denke ich an andere Familien, die es sich gar nicht leisten können, nicht voll zu arbeiten und das Kind bis 16.30 Uhr in eine Betreuung zu geben, um es dann bis 18 Uhr von der Oma versorgen zu lassen. Ist mein Sohn verwöhnt? Kennt er es nicht anders oder ist das einfach sein spezieller Charakter?
Die drei Worte "Nein, die Mama" sind inzwischen zu meinem persönlichen Horror geworden. Jemand möchte ihn auf die Toilette begleiten? Nein, die Mama. Eine Oma möchte ihn abends ins Bett bringen? Nein, die Mama. Mein Mann möchte ihn im Auto anschnallen? Nein, die Mama. Die Erzieherin möchte ihm ein Pflaster aufkleben? Nein, die Mama. Mama, Mama, Mama.
Ich habe mir kürzlich ein Seitenschläfer-Kissen zugelegt, das im Bett – ganz unbeabsichtigt – eine Barriere zu meinem Sohn bildet. Das fand ich richtig angenehm, weil mal niemand beim Schlafen meinen Körper wärmte, meine Brust bearbeitete oder in mein Gesicht atmete. Doch dann wachte er auf, kletterte über das Kissen und zwängte sich zu mir in den schmalen Innenbereich. Da lagen wir, eng umschlungen, kurz vor einem Hitzeschlag. Ich spürte, wie sein Atem sofort wieder regelmäßig wurde, er sich entspannte.
Dazu passt der Lieblingssatz meiner Mutter: "Er braucht es halt." Ja, sicher. Die Frage ist nur: Und was brauche ich? Zeit für mich, eine Portion Unabhängigkeit und definitiv kein schlechtes Gewissen! Zählt das denn gar nicht? Pech gehabt, so ist das eben als Mutter.
Meine Mutter hat noch weitere Theorien: Je stärker die Bindung am Anfang, desto unabhängiger das Kind später. Es sei deshalb wichtig, ihm jetzt die Sicherheit zu geben, die meine Anwesenheit scheinbar ausstrahlt, damit er ein festes Fundament bilden könne – die Basis für sein späteres Leben.
Keine Ahnung. Eines weiß ich jedoch sicher: Sollte er wider Erwarten doch eines Tages ausziehen und sogar bereit sein, eine andere Frau als mich zu heiraten, bekommt er das alles zurück – in einer gepfefferten Rede, die mindestens so peinlich wird, wie in der Öffentlichkeit tief in den Ausschnitt gelangt zu bekommen.