Wäre Bonn ein Gemälde, dann wäre Patrick ein bunter Farbklecks inmitten eines grau schraffierten Stilllebens. Der 32-Jährige ist eine Art Gesamtkunstwerk in Eigenregie.
Die ehemalige Bundeshauptstadt am Rhein ist eigentlich sein Zuhause. Aber so fühlt es sich für ihn schon lange nicht mehr an.
Patrick Tworek macht Video- und Fotokunst, schreibt, dichtet und singt. Aber Patrick ist auch dies: einsam.
Mit diesem Satz reagiert der Künstler, der hauptberuflich Altenpfleger ist, auf die etwas kühne Ermunterung, sich in wenigen Worten vorzustellen.
Was ihn einsam macht, sind vor allem die Reaktionen der Öffentlichkeit auf seine sexuelle Identität. Patrick ist schwul. Und damit fällt er auf in Bonn, jener Stadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg gerade wegen ihrer Unscheinbarkeit zur Hauptstadt erkoren wurde.
In Metropolen wie dem internationalen Berlin oder Köln, das seit je eine Hochburg homosexueller Kultur ist, wäre Patrick ein Farbklecks unter vielen. Hier aber fühlt er sich wie in Isolation, sagt er.
Dieses Schicksal teilt er mit vielen anderen Menschen in Deutschland, die in einem Umfeld leben, für das nicht heterosexuellen Lebensentwürfe mindestens merkwürdig sind.
Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2020 bundesweit 578 "Delikte gegen die sexuelle Orientierung". Das ist der höchste Wert seit 2001.
Queere Verbände sprechen von einer weit höheren Dunkelziffer, da viele Betroffene aus Angst vor einer Anzeige zurückschrecken. Umstände, die Patrick Tworek gut kennt. Er beschreibt es so:
Die Kunst hilft ihm sich mitzuteilen, um nicht in der grauen Schraffierung der Stadt unterzugehen. Dazu gehört Fotokunst, die sich irgendwo zwischen Marylin Monroe und Marylin Manson bewegt. Im Zentrum steht stets er selbst, das Gesamtkunstwerk.
Der große Erfolg ist bisher ausgeblieben, und so kommen im Moment vor allem seine Follower auf Social Media in den Genuss seiner Werke. Aber Patrick will den Durchbruch schaffen. Nur ist ihm Bonn dafür zu klein.
Mehrmals täglich sendet der zierliche junge Mann mit dem akkurat getrimmtem Oberlippenbärtchen und dem rotem Irokesenschnitt seine Kunst in die Welt.
Bisher hat Patrick vier Gedichtbände veröffentlicht, mit denen er allerdings, wie er erzählt, bisher gegen geschlossene Verlagstüren gerannt ist.
Gedicht "Kokolores No. 7"
Bescheidenheit von Frau Dolores? Ausgemachter Kokolores! Trägt doch werktags gern zur Schau unverhunzten Körperbau und schickt sich an, sobald Sonnabend am Gestade blank sich badend Nur Sonntags läutet man ihr Mores: Huch, wie kann man nur, Dolores?
"In den Texten lege ich mich mit allem und jedem an, um mir Luft zu machen. Staat, Kirche, Liebe und Gesellschaft, allerhand", sagt Patrick Tworek.
Zu den Gedichten kommt Videokunst, ein "Punk-Cabaret" und ein Chanson-Projekt sind in Planung. Die Verlage an die er sich bisher wandte, fanden seine Arbeit zu "künstlich", die Sprache zu speziell, sagt er.
Dass er daran regelmäßig verzweifelt, merkt man ihm auf den ersten Blick nicht an. Doch dann ist da der andere Patrick. Der verletzte, verletzliche Mensch, der nicht sein darf, wer er ist.
Als Reaktion auf die ständige Ausgrenzung zog er sich in ein „inneres Exil“ zurück, misstraute jedem und wich jeder potenziellen Gefahr aus. Augenkontakt zu den Mitmenschen vermeidet er.
Irgendwann habe er jede Unebenheit auf Bordsteinplatten besser gekannt als die Mimik seiner Mitschüler, erzählt Patrick.
In der Pubertät habe er dann eine "Alibi-Freundin" gehabt. Dann kamen längere zölibatäre Phasen, wie er es ausdrückt, "aufgrund von Panik, überhaupt irgendwelche Empfindungen zuzulassen".
Dazwischen kamen dann immer wieder Affären mit Bekanntschaften. Weil es in Bonn an queeren Locations mangelt, verschlug es ihn mit Erreichen der Volljährigkeit in Porno-Kinos.
Gedicht "Herr Leichtzuhaben stellt sich quer"
Du sagst wir passen gut zusammen wirst immer gleich beleidigend Solch Spruch kann nur von Deppert stammen will´s ein für all bereinigen: Als biss man blank in Zitrusfrucht zieht alles sich zusamm´n Als ob´s gerührt in voller Wucht wird ranz-flockig der Sam´n Selbst zwanzig Pariser und allerhand Mannen die ließen uns beide beileib nicht entflammen! Hau ab, du warst nicht beigetrillert ich hab nur vor mich her gesummt Verhüte daß sich´s noch verschlimmert das Heißblut in mir noch verklumpt!
Mit Ende Zwanzig war es vorbei mit der Heimlichtuerei: "Mein Coming-Out kam einem halbtrunkenen Stolpern aus dem sprichwörtlichen Wandschrank gleich." Die Reaktionen darauf seien "belanglos" gewesen und hätten sich etwa so angehört:
"Was du nicht sagst? Und dafür die Heimlichtuerei?"
"Als hätte ich über Jahrzehnte in eine Lotterie investiert und jetzt endlich die langersehnte Mitropa-Kaffeemaschine ergattert. Hurra!"
Seine Familie akzeptiert ihn wie er ist, sagt Patrick. "Aber das war es dann auch schon." Eine echte Auseinandersetzung mit seiner Identität habe es nie gegeben.
Vor seinem Coming-Out hätte es immer wieder auch homophobe Äußerungen gegeben, etwa wenn zwei Männer sich im Fernsehen küssten. "Das hat mich abgeschreckt".
Wie geht es nun weiter für ihn? Niemand sei aus Prinzip Außenseiter, sondern aus einer Notwendigkeit heraus, mit welcher man sich irgendwann arrangiere.
Viele seiner digitalen „Brieffreundschaften“ lebten in Berlin. "Und wer steht draußen? Icke."
Aber damit soll bald Schluss sein. Patrick, der einsame Farbklecks, will ausbrechen aus dem tristen Grau seiner Heimatstadt Bonn.
Berlin locke ihn mit ihrem Metropolen-Flair, sagt er. Es sei eine Stadt, die schon vor hundert Jahren als Hafen der gestrandeten Seelen galt: Exzentriker, Bohemiens, Überlebenskünstler.
"Diesem geschmacklosen Block Tofu den ich seit nunmehr 32 Jahren mein 'Leben' nenne, fehlt die Würze." Berlin biete ihm dagegen eine Geschmacksexplosion, "einen wahren 'Mundgasmus'."
Ob dieses Idealbild der Realität entspricht, will Patrick Tworek bald selbst herausfinden. Seine Umzugs-Pläne hat er bereits öffentlich verkündet. Und wenn alles klappt, ist die buntbespritzte Leinwand Berlin bald um einen kräftigen Farbklecks reicher.