Es ist ein Sonntag im Dezember, kurz vor Silvester, an dem ich einem Einladungslink unserer ehemaligen Stufensprecherin in eine Whatsapp-Gruppe folge. Überschrift: Stufentreffen 2024. Immer mehr Leute treten ein. "Du liebe Zeit", kommentiert ein ehemaliger Mitschüler. Das denke ich mir auch.
Auch noch, als ich ein halbes Jahr später tatsächlich auf dem Klassentreffen meines Abijahrgangs auftauche. Ich bin froh, dass ich meine beste Freundin dabei habe. Ich muss zugeben: Ohne sie wäre ich wahrscheinlich nicht gegangen.
Wir parken auf dem Schulparkplatz. Durch die Scheibe sehe ich zwei unserer ehemaligen Mitschülerinnen und merke, wie ich schnell den Sitz hinunterrutsche und mich verstecke. Ich frage mich zum hundertsten Mal, ob ich meine ehemaligen Mitschüler:innen wirklich sehen will. Es fühlt sich an, wie eine Konfrontation mit einem alten Leben. Vielleicht auch mit einem alten Ich.
Die Neugier treibt mich dann aber doch aus dem Auto. Bei einigen ist immerhin wirklich ein ganzes Jahrzehnt vergangen, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. (Ich fühle mich alt.) Mich interessiert dann doch zu sehr, wie es ist, sich nach so langer Zeit wiederzusehen.
Wir laufen den Weg am Hauptgebäude vorbei, den wir früher jeden Tag gegangen sind und der mir heute so viel kleiner vorkommt.
Sofort kommen Erinnerungen hoch: Das Vordach, auf dem am letzten Schultag ein Schüler mit einer Wasserpistole stand (War der eigentlich wirklich aus meinem Jahrgang?). Die Aula, in der wir gemeinsam unseren Varieté-Abend aufgeführt und nach zwölf Jahren unsere Zeugnisse bekommen haben. Der Fahrradparkplatz, auf dem immer auch ein kleines, tiefliegendes Elektroauto auf drei Rädern stand, das ausgerechnet dem längsten Lehrer der Schule gehörte.
Das Klassentreffen findet in einer Strandbar statt, die schon seit meiner Schulzeit jedes Jahr im Sommer direkt neben dem Schulgelände aufgebaut wird. Das erste (un)bekannte Gesicht, das ich sehe, ist ein ehemaliger Biolehrer der Schule, der uns anspricht. Ich versuche zu verbergen, dass ich im ersten Moment absolut keine Ahnung habe, wer er ist.
Lehrer:innen sind heute auch eingeladen. Dass über den Abend aber gleich mehrere von ihnen auftauchen, überrascht mich. Nach den zehn Jahre habe ich damit nicht gerechnet.
Wir bahnen uns den Weg durch Grüppchen von Menschen in Liegestühlen. Es ist voll. Am Abend wird Deutschland in der EM-Gruppenphase gegen Dänemark spielen und 2:0 gewinnen. Als wir endlich bei unserem reservierten Bereich am Ende der Strandbar ankommen, frage ich mich kurz, ob manche sich wegen des EM-Spiels entschieden haben, das Klassentreffen sausen zu lassen: Nicht einmal die Hälfte ist gekommen.
Dazu kommt bei einigen die Entfernung. Viele sind nach dem Abi weggezogen, studieren oder arbeiten in einer anderen Stadt. Von meinen ehemaligen Mitschüler:innen, mit denen ich an diesem Abend spreche, wohnen aber die meisten tatsächlich noch in der Nähe.
Als ich in die Runde schaue, muss ich schmunzeln: Man erkennt noch ganz genau, wer wer ist. Das Gesicht, die Art zu reden und zu gestikulieren, sogar der Kleidungsstil hat sich bei einigen kaum verändert.
Wir holen uns erstmal ein Getränk und setzen uns dazu. Und, was machst du jetzt so? Wo wohnst du gerade? Das sind die Fragen des Abends. Und ich muss sagen: Damit habe ich auch gerechnet. Nach zehn Jahren Quasi-Funkstille und bei wenig Zeit sind das einfach die naheliegendsten Themen.
Vor dem Abend war ich deshalb skeptisch: Ich finde, dass es Wichtigeres gibt, als darüber zu sprechen, wer jetzt was erreicht hat. Man definiert sich schnell über das, was man macht und fängt an, sich zu vergleichen. Unnötig!
Befürchtungen, die – zumindest bei meinem Klassentreffen – aber umsonst sind. Die Stimmung ist locker und angenehm. Ich habe das Gefühl: Alle, die hier sind, freuen sich ehrlich, einander zu sehen – und darüber, dass das Treffen tatsächlich zustande gekommen ist. Und die Zeit verfliegt so viel schneller als gedacht!
Als ich Freund:innen und Kolleg:innen hinterher von meinem Klassentreffen erzählt habe, kam vor allem eine Frage: Hat es sich gelohnt?
Direkt nach dem Treffen war ich mir erst etwas unsicher. Nach diesen Zeilen bin ich es aber: Es hat sich gelohnt.
Mit meinen Mitschüler:innen verbinde ich eine intensive Zeit, die ich wohl niemals vergessen werde: die Planung und Vorfreude auf das Abi, ein gemeinsamer Varieté-Abend, den wir selbst geschrieben und auf die Beine gestellt haben, Abipartys und natürlich die letzten gemeinsamen Tage mit Mottowoche, Klausuren und Abiball. In diese Liste kann ich das erste große Klassentreffen nun einreihen.
Außerdem: Ich habe herausgefunden, dass ein ehemaliger Mitschüler in Berlin nur zehn Minuten Fußweg entfernt von mir wohnt. Vielleicht treffen wir uns hier bald mal.
Eine ehemalige Mitschülerin hat ein eigenes Restaurant eröffnet. Das wusste ich schon vorher, aber nach dem Klassentreffen und dem Wiedersehen haben meine beste Freundin und ich uns überlegt, beim nächsten Besuch in der Heimat vielleicht mal bei ihr Essen zu gehen.
Beides wäre doch toll, für etwas, das mit "Du liebe Zeit" begann.