Letztens war es so weit. Mein vierjähriger Sohn sagte zu mir: "Mama, jetzt leg doch mal das Handy weg!". Ein kurzer Nebenbei-Satz, der voll einschlug. Und das schlechte Gewissen, das diesem eckigen, schwarzen Ding seit über vier Jahren anhaftet, explodierte.
Seit ich Kinder habe, gibt es keinen Gegenstand, den ich so sehr für mein Wohlergehen brauche und den ich gleichzeitig verfluche. Ich würde fast sagen, ohne mein Handy hätte ich die letzten viereinhalb Jahre Mutterschaft nicht ohne Schäden überlebt. Dieses Gerät vereint so viel in einem. Das vielleicht Wichtigste? Der Kontakt zur Außenwelt, zu meinen Freunden und meiner Familie. Als ich mit meinem ersten Kind, einem High-Need-Baby, monatelang auf dem Sofa lebte, weil dieses eigenwillige Lebewesen ausschließlich das Schlafen auf dem Arm akzeptierte, war das Handy meine emotionale Rettung. Ich kotzte mich bei Gleichgesinnten aus, versuchte Anschluss an das Leben meiner Freunde zu halten und stand mit meiner berufstätigen Familie in Form von Nachrichten und Bildern in Kontakt.
Und weiter: Das Smartphone ist für mich Informationsquelle, um in meinem Job zumindest die wichtigsten Neuheiten mitzubekommen. Es schenkt mir die dringend benötigte Entspannung, wenn ich abends im Bett stundenlang stille, und mich nach einem durchgetakteten Tag ausschließlich berieseln lassen möchte.
Ich nutze es, um meinen Alltag mit zwei Kindern zu organisieren: Während das Nudelwasser kocht, bestelle ich dringend benötigte Unterhosen in 122/128 für den Sohn. Auf der Toilette sitzend beantworte ich die Frage nach benötigter Notbetreuung in der Kindergarten-WhatsApp-Gruppe. Ich beantrage einen Rücksendeschein für die zu kleinen Bodys der sechs Monate alten Tochter. Ich beantworte der Elterngeldstelle die noch offenen Nachfragen. Ich informiere eine Bekannte, dass wir gerne ihren gebrauchten Kinderstuhl übernehmen. Ich schreibe der Kletter-Trainerin dass wir uns für einen Jahresvertrag entschieden haben, während der Sohn das Memory sucht. Ich überweise die erste Monatsrate online, während er unter das Sofa kriecht, um die verloren gegangene Karte hervorzuholen. Ich frage die Trainerin bei Signal, wann der nächste Termin in der Kletterhalle nach den Ferien stattfindet und trage ihn anschließend in den Familienkalender ein. "Mama, jetzt leg doch mal das Handy weg!"
Ich organisiere hier gerade dein Leben, würde ich am liebsten antworten. Und natürlich ist es Quatsch. Weil eine Mutter nicht auf ihr Handy zu schauen hat, während sie mit dem Kind spielt. Sondern präsent sein soll, aufmerksam, zugewandt. Und trotzdem frage ich mich: Wann soll ich das alles erledigen? Die Antworten, Bestellungen, Überweisungen, Nachfragen, Terminbestätigungen. Manchmal schießen mir dringende Erledigungen in den Kopf und ich greife automatisch zum Handy. Dann mahne ich mich selbst und sage stattdessen zum Kind: "Ich muss nur kurz was notieren." Kurz, gleich, sofort. Wie oft ich diese Worte mit einem Smartphone in der Hand sage, ich kann es selbst nicht mehr hören.
Und manchmal sind es nicht die wichtigen Dinge, die erledigt werden müssen. Manchmal ertrage ich es einfach nicht, seit vier Stunden mit Kleinkind und Baby zu kommunizieren, zu spielen, zu versorgen. Dann sehne ich mich dringend nach einer Pause, so dass ich in einem passenden Moment zum Handy greife, Instagram öffne und durch den Feed scrolle. Ich sehe mir Storys an, die mich belustigen, die mich aufregen, die mich verunsichern, die mich bereichern, die Sehnsüchte auslösen. Ich klicke auf interessante Artikel zu Kindererziehung, ich lande auf Eltern-Blogs, ich melde mich für einen online stattfindenden Erste-Hilfe-Kurs für Babys und Kleinkinder an.
Wenn der Akku schon mittags rot leuchtet, ist das schlechte Gewissen noch größer. Weil ich beim Stillen zum Handy greife, sobald der Vierjährige im Kindergarten ist. Neben reiner Unterhaltung informiere ich mich über das Weltgeschehen oder erledige Dinge nach Priorität. Schläft die Kleine nach dem Stillen ein, bleibe ich häufig sitzen und nutze die Zeit. Bis ich auf einen Artikel stoße, in dem es heißt, die Handystrahlung könne die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen, Zellen schädigen. Ich weiß nicht wie viele Stunden sich mein Smartphone täglich in der Nähe des Babykopfes befindet? Unzählige. Zack, schlechtes Gewissen. Ich lese auch, dass Eltern beim aufs Handy schauen einen ausdruckslosen Blick bekommen, den schon Babys wahrnehmen. Zack, noch mal schlechtes Gewissen. Und ich stelle fest, dass meine Tochter auf kein anderes Spielzeug so extrem reagiert wie auf mein Handy, wenn es in Reichweite liegt. Zack, schlechtes Gewissen. Inzwischen ploppt es schon auf, wenn ich Fotos von ihr mache, weil ich jedes Mal denke, jetzt schaut sie schon wieder auf dieses schwarze Ding, was muss sie sich nur denken?
Manchmal wird es mir selbst zu viel. Letztes saßen wir beim Abendessen und mein Mann schrieb eine Nachricht. Ich schlug vor, unsere Smartphones ab sofort bei den Mahlzeiten vom Tisch zu verbannen, um unseren Kindern zumindest beim Essen ein Vorbild zu sein. Ich wollte, dass wir miteinander redeten statt zeitweise aufs Display zu starren. Doch dann sitze ich ein paar Tage später alleine mit den beiden Kindern beim Mittagessen und das Handy klingelt. Vielleicht der wichtige Anruf der Krankenkasse, auf den ich schon ewig warte? Ich gehe ran. Und sehe danach, dass meine Mutter geschrieben hat, ob sie denn morgen die Kinder betreuen solle. Ich antworte ihr schnell. Sie schreibt direkt zurück. Ich schicke ihr ein Bild von uns Dreien, auf dem wir die leckere Suppe essen, die sie uns vor ein paar Tagen mitgegeben hatte. Das wird sie freuen.
Den Tiefpunkt erreichte ich, als ich beim abendlichen Stillen im Liegen das Handy mit einer Hand über mich hielt. Irgendwann rutschte es mir aus meinem bereits schmerzenden Handgelenk und knallte meiner Tochter auf den Kopf. Ich erschrak, sie schrie, ich fluchte.
Und trotzdem komme ich nicht davon los. Denn die angenehmen Dinge überlagern das schlechte Gewissen. Fällt das WLAN aus, die Aufladekabel befinden sich in einem anderen Stockwerk des Hauses oder die Kopfhörer sind verschwunden, während ich schon am Stillen bin, bekomme ich die Krise. Ungenutzte Zeit. Soll ich etwa in die Luft starren? Meine Gedanken kreisen lassen?
Da wir kein Festnetztelefon mehr besitzen, könnte das Handy sogar ein Lebensretter sein, sollte ich je in die Situation kommen, einen Krankenwagen rufen zu müssen. Daher begleiten mich folgende Gedanken mehrmals am Tag: Wo liegt das Handy? Habe ich es unterwegs dabei? Ist es geladen?
Wie oft hat es mich schon auf andere Art und Weise gerettet. Indem es in heiklen Situationen meinem Sohn ein Video abspielt. Indem es das frühe Zubettgehen mit Baby erträglich macht. Indem es mich im Alltag unterstützt, meinen Mental Load zu bewältigen. Indem es mir in diesen herausfordernden Zeiten gute Momente schenkt.
Eine Smartphone-Hülle zum Umhängen besitze ich übrigens nicht. Ja, es wäre praktisch, beide Hände frei zu haben. Ich weigere mich jedoch, da ein solches Accessoire für mich die vollständige Kapitulation bedeutet. Wenn ich mein Smartphone wirklich nonstop an mir trage, habe ich offiziell verloren. Liegt vielleicht daran, dass bisher beim Runterfallen des Handys mit Baby im Arm nur die Rückseite zersprungen ist. Spätestens wenn das Display unleserlich wird, gebe ich auf.