
Es ist nicht verboten, keine Kinder zu kriegen: Trotzdem müssen Frauen sich dafür rechtfertigen. Bild: chatgpt / ki
Sexistische Scheiße
Ich hatte gerade mein Studium angefangen, war 19, höchstens 20 Jahre alt, als meine Oma mich fragte: "Von dir kann ich auch keine Ur-Enkelkinder mehr erwarten, oder?"
Damals war ich gerade von zu Hause ausgezogen, dachte jede Woche an einen anderen Typen aus irgendeiner Bar, ans Ausgehen, selten an Klausuren, aber bestimmt nicht daran, bald Kinder zu kriegen.
Meine Antwort auf die Kinder-Frage änderte sich über die Jahre
Diese Situation mit meiner Oma ist mehr als 16 Jahre her. Ihre Frage beschäftigt mich nach wie vor. Aber sie wurde mir seitdem (in abgewandelter Form) auch immer wieder gestellt: Willst du Kinder?
Meine Antwort darauf änderte sich über die Jahre.
Von: "Keine Ahnung!"
Über: "Vier Kinder!" (Die Phase hat ungefähr ein halbes Jahr angedauert.)
Bis zu, heute: "Nein. Ich bin glücklicher ohne."
Aber genau damit haben viele ein Problem. Anfangs wurde meine Antwort oft nicht ernst genommen. Auch von anderen Frauen nicht: "Das wird sich noch ändern", hieß es oft. "Das kannst du jetzt noch gar nicht wissen. Wart ab."
Über "Sexistische Scheiße"
Ronja Brier schreibt in dieser Kolumne über Alltags-Sexismus, den wir alle kennen, selbst erfahren oder in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Der trotzdem oft genug kleingeredet wird oder über den hinweggesehen wird. Unsere stellvertretende Chefredakteurin hat genug davon! In ihren Texten will sie informieren, widersprechen oder sich einfach mal über sexistische Scheiße auslassen.
Je älter ich wurde, umso mehr wurde meine Entscheidung toleriert. Aber wirklich akzeptiert wurde sie nicht.
Ganz oft folgte die Frage: "Bist du sicher, dass du das nicht bereust?" Diese Frage ist schon deshalb nicht zielführend, da ich auch nicht weiß, ob ich es bereue, wenn ich Kinder kriege. Regretting Motherhood ist bis heute ein Tabu-Thema. Auch wenn es einer Yougov-Studie zufolge knapp 20 Prozent der Frauen mit Kindern betrifft.
Die Kinderfrage ist nicht nur eine Frage, sie bedeutet: Druck
Was kaum eine:r kapiert, ist: Die Frage nach Kindern ist nie nur eine Frage. Sie löst immer auch Druck aus. Fast jede fünfte Frau in Deutschland hat keine Kinder. Aber mit dieser Frage legt man Frauen nahe: Kinder zu haben, ist normal. Folglich ist es in den Augen vieler unnormal, keine zu haben. Und geradezu inakzeptabel, wenn man keine will. Laut einer Studie der Dualen Hochschule Gera fühlen 68 Prozent aller gewollt kinderlosen Frauen einen Rechtfertigungsdruck gegenüber Außenstehenden.
Mir persönlich ist die biologische Uhr, von der immer geredet wird, egal. Ich höre sie nicht ticken. Es sollte mir auch egal sein, ob sich andere mit meiner Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, wohlfühlen oder nicht. Aber diese Bewertung und Abwertung, die so oft stattfindet, ist verletzend. Ganz oft.
Übrigens: Schon der Begriff "kinderlos" ist nicht neutral. Es fehlt mir ja nichts. Es ist kein Defizit. Immer öfter wird deshalb von "kinderfreien" Frauen gesprochen. Dadurch wird betont, dass eine Frau sich freiwillig entschieden hat für ein Leben ohne Kinder.
Die "Childless Cat Lady" sollte keine Beleidigung sein
Tröstlich ist da lediglich: Nicht nur ich ringe mit dem gesellschaftlichen Druck beim Thema Kinder. Donald Trump nennt US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris eine "Childless Cat Lady“, um sie zu diskreditieren. (Er konnte ja nicht ahnen, dass Weltstar Taylor Swift die Beleidigung aufgreifen, für sich nutzen und neu interpretieren würde – als ein selbstbewusstes Statement für Feminismus.)

Kann man machen, muss man aber nicht: Kinder kriegen.Bild: Unsplash / Omar Lopez
Auch AfD-Chef Tino Chrupalla diskutierte die Kinderfrage 2023 im ZDF-Sommer-Interview vor einem Millionenpublikum, als er forderte, dass Frauen mehr Kinder bekommen müssten, um den Fachkräftemangel in Deutschland zu beheben: Spätestens hier wird die Frage nach den Kindern, die doch eigentlich privat ist, auch politisch: Offiziell habe ich als Frau die Wahl, ein Kind zu bekommen oder nicht. Praktisch müssen Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, sich rechtfertigen, sich entschuldigen, dumme Sprüche ertragen.
"Die beste Antwort auf die Frage 'Warum hast du keine Kinder?', ist eigentlich: 'Warum hast du keinen Anstand?'"
Kinderfrage: Männer kennen diesen Druck nicht
Kein Mann, der entschieden hat, keine Kinder zu bekommen, wird derart heftig infrage gestellt. Denn an Männer gibt es diese Erwartung, Kinder zu bekommen, nicht. Die Autorin Linn Strömsborg hat mit "Nie, nie, nie" einen Roman über gewollte Kinderlosigkeit geschrieben. Sie erklärt im Interview mit dem Onlinemagazin "Amazed" dazu: "Während ein Junge zum Erwachsenen heranwachsen darf und ohne mit der Wimper zu zucken, sagen darf, dass er keine Kinder will, weil er ein Unternehmen gründen möchte, werden Frauen sofort in Frage gestellt. 'Ist irgendetwas falsch mit ihr?'"
Auch die Autorin Teresa Bücker schreibt in ihrem Essay aus dem Band "Unlearn Patriarchy": "Schließlich werden insbesondere cis Frauen von klein auf mit oberflächlichen Fragen rund um ihre Familienwünsche konfrontiert. Frauen werden als Menschen betrachtet, denen etwas fehlt, wenn sie nicht auch ein Kind bekommen." Die Frage nach den Kindern zeigt also auch, wie tief alte Rollenmuster in unserer Gesellschaft noch verwurzelt sind.
Vor allem ist das Thema aber sehr persönlich. Es anzusprechen, ist in vielen Fällen übergriffig. Die beste Antwort auf die Frage "Warum hast du keine Kinder?" ist daher eigentlich: "Warum hast du keinen Anstand?"
Mal das offensichtlichste Beispiel: Nicht alle Frauen, die keine Kinder haben, haben sich dagegen entschieden. Viele wollen, aber können nicht. Für sie kann diese Frage ganz besonders schmerzvoll sein.
Ich mag mein Leben ohne eigene Kinder
Nur um das noch mal klar zu sagen – ich finde es toll, wenn Menschen sich für Kinder entscheiden. Seit der Frage meiner Oma vor 16 Jahren sind viele Freundinnen und Bekannte schwanger oder Mama geworden. Manche sogar mehrfach. Freundschaften sind dadurch heute anders. Aber nicht schlechter. Ich mag die Kinder meiner Freundinnen und auch mein Partner hat Kinder, die ich mag, sehr sogar. Aber eigene Kinder wünsche ich mir trotzdem nicht. Ich mag mein Leben ohne Kinder.
Ich gehe aus, wann ich will.
Ich verreise, wenn ich will.
Ich habe viele Freund:innen und Bekannte, die ich regelmäßig sehe. Mit Kindern wäre das so nicht möglich.
Auch das steht in der Studie der Dualen Hochschule Gera. "Es herrscht ein großes Bewusstsein dafür, dass Kinder viel Raum, Zeit und Energie einnehmen", erklärt Prof. Dr. Claudia Rahnfeld dem MDR.
Sollte sich jemand wirklich für die Überlegungen interessieren, die zu einer Entscheidung gegen Kinder führen können, dann empfehle ich den Instagram-Account von Ellie Gonsalves.
Das australische Model hat im vergangenen Jahr ihre Gründe veröffentlicht, "warum ich kinderlos bleiben werde".
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Sobald einer Sache etwas Verruchtes anhaftet, wird sie interessant. Auf sexueller Ebene gibt es hier natürlich einen gewaltigen Pfuhl schmutziger Möglichkeiten. Schmutzig, weil sie einerseits mit Normen brechen, die sich irgendwelche Autoritäten irgendwann zurechtgelegt haben (nur zwei Personen, stets hinter verschlossenen Türen, Licht bleibt aus), und sie andererseits wirklich Hygienestandards außer Acht lassen.