Es war der Punkt im Interview mit Vanessa Mai, an dem ich hätte heulen können. Ich hatte sie ja nicht einmal direkt danach gefragt. Aber offenbar war es ihr ein Anliegen, das loszuwerden: "Ich würde mich nie als Feministin bezeichnen", sagte sie.
Erst staunte ich über ihre Bestimmtheit bei dem Thema. Ein bisschen schockiert war ich auch, muss ich zugeben. Dann hat mich ihr Statement zum Nachdenken gebracht. Da ich in Interviewsituationen eher selten die Gelegenheit habe, tiefgründige Debatten zu führen, und meine persönliche Meinung da auch keine Rolle spielt: Hier ein Nachtrag zum Gespräch mit Vanessa Mai, den ich wichtig finde.
Denn Vanessa Mai ist leider kein Einzelfall. Immer wieder betonen Frauen, dass sie sich nicht als Feministin verstehen. Zusätzlich problematisch finde ich das, wenn diese Frauen in der Öffentlichkeit stehen. Weil es Frauen sind, die eine Vorbildfunktion haben – und sie nicht nutzen. Immerhin: Glücklicherweise scheinen nicht-feministische Frauen weniger zu werden.
Die Autorin Ronja von Rönne, die 2015 berühmt geworden ist mit dem Essay "Warum mich der Feminismus anekelt", hat ihre Meinung inzwischen geändert. Auch Angela Merkel hat mehrere Anläufe gebraucht, um sich zum Feminismus zu bekennen. Nachdem sie 2017 erklärt hatte, sich mit diesem Titel nicht unbedingt schmücken zu wollen, befand sie vor zwei Jahren dann doch: "Wir sollten alle Feministen sein." Gut so!
Ich habe für Vanessa Mai und alle anderen Frauen, die sich so klar gegen Feminismus positionieren, kein Verständnis. Warum tut ihr das?
Vanessa Mai ist eine der erfolgreichsten deutschen Sängerinnen. Sie sagt, sie setze sich für Female Empowerment ein. Sie hat sich als junge Frau durchgesetzt in der Musikbranche. Und damit agiert sie eigentlich sehr feministisch. Aber sie betont eben auch, sie wolle sich nicht in Schubladen stecken lassen. Auch nicht in die der Feministin.
"Alles, was extrem wird, ganz egal welche Bewegung – das gefällt mir nicht." Das hat Vanessa Mai im watson-Interview gesagt.
Was ich wirklich nicht verstehe, ist: Was genau ist an Feminismus extrem? Bei Feminismus geht es um die Gleichstellung von Frauen und Männern und die Forderung, dass diese Benachteiligung endlich beendet wird. Eine Feministin stellt also erst mal nur fest, dass Männer und Frauen immer noch nicht gleichberechtigt sind – und dass das nicht in Ordnung ist. Eine Feministin ist jemand, die das ändern und damit – auf die Gefahr hin, dass es pathetisch klingt – die Welt ein bisschen gerechter machen will. Wie extrem hört sich das jetzt noch an?
Ich glaube, wer als Frau heute ernsthaft immer noch behauptet, keine Feministin zu sein, hat nicht verstanden, worum es geht. (Übrigens: Auch Männer können Feministen sein. Als Mann Feminist zu sein, heißt einfach, Frauen gleichwertig zu behandeln und sich möglichst auch für diese Gleichbehandlung einzusetzen.)
Jetzt kann man natürlich fragen: Sind wir nicht längst gleichberechtigt? Es soll ja sogar Männer geben, die sich gegenüber Frauen inzwischen benachteiligt fühlen. (Nicht auszuschließen, dass das wirklich vorkommt. Aber ganz sicher ist das ist kein neuer Trend.) Hierzu kurz und knapp drei Fakten, die zeigen, wie die Realität aussieht:
Frauen und Männer sind nicht gleichberechtigt. Auch wenn viele das glauben wollen. Und Fakt ist auch: Daran wird sich nichts ändern, solange wir uns nicht als Feministinnen begreifen.
Es hat in meinen Augen etwas Verräterisches, sich als Frau gegen Feminismus auszusprechen. Man schadet dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen Frauen. Sich nicht als Feministin zu bezeichnen, sagt: Wir wollen an all den oben genannten Ungerechtigkeiten nichts ändern. Wir wollen nicht auf Augenhöhe sein und so auch nicht behandelt werden. Und damit spielt man Sexismus in die Karten.
Vanessa Mai nimmt das in Kauf. Sie will keine Feministin sein, um sich nicht festlegen zu lassen. Das ist wirtschaftlich vermutlich klug, denn so verschreckt sie keine potenziellen Fans: Menschen, die den viel kritisierten Party-Hit "Layla" hören, hören vermutlich nicht die Musik von feministischen Musikerinnen.
Vanessa Mai geht ihren Weg. Sie verhält sich wie eine Feministin, will aber trotzdem keine sein. Dabei ist nicht weniger Feminismus nötig, sondern mehr. In der Werbung. In der Politik. Und bei Vanessa Mai.