
Aurora Nia Noxx ist Domina und sexualtherapeutisch ausgebildet.Bild: privat
Vor Ort
Viele Mädchen werden zu steter Rücksichtnahme angehalten, was ihnen im Erwachsenenalter oft auf die Füße fällt, sobald sie sich durchsetzen müssen. Können Frauen das Ausüben von Dominanz nachträglich von einer BDSM-Herrin lernen? Ein Selbsttest.
10.09.2025, 20:0310.09.2025, 20:03
Es ist Montag, 11.45 Uhr in Barmbek, einem ruhigen Hamburger Wohnbezirk. Ich stehe in einem "Klinikzimmer". Zwischen Schubladen mit Kanülen, einem Röntgengerät, einem Untersuchungsstuhl – und einem fetten, schwarzen Analplug von der Länge meines Unterarms.
Sonnenlicht fällt zart auf den sterilen Boden. Im Nachbarraum brüllt ein Mann vor Schmerz und verklingt dann in fiependem Gewimmer. Das hier ist das Mistress Empire. Das Reich von Aurora Nia Noxx.

Schwer vorstellbar, wie das passen soll. Bild: watson.de / Julia Dombrowsky
Ihre Welt zu betreten ist, als wäre man dem Kaninchen hinterher, den Bau in Alice' Wunderland hinuntergestürzt. Vorbeiziehen Streckbank, Schläuche, Masken, Latex, Perücken, Käfige, Spiegel und frische Handtücher.
"Hallooo", flöte ich, als sie die schwere Tür öffnet und halte meinen Kopf schief wie ein Vögelchen. Den Hals freilegen, um Unterwerfung zu zeigen. Wann zur Hölle habe ich mir das angewöhnt?

Zu vermieten: im Playroom befinden sich unter anderem eine Streckbank und Andreaskreuz. Bild: watson.de / Julia Dombrowsky
Aurora hingegen steht kerzengerade, spricht deutlich: "Willst du etwas trinken?" "Ein Wasser gerne", sage ich, "aber nur, wenn das kein Aufwand ist."
Keine Frage. Für meinen Arbeitsauftrag bin ich optimal geeignet. Ich soll Auroras Online-Kurs "Entfessle die Königin in dir" testen, der Frauen anhand von 51 Lektionen zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen soll.
Zwar wirke ich nicht schüchtern, für meine Wünsche einzustehen, fällt mir dennoch schwer. Vorschnell sage ich "Okay" und "Na klar", gebe nach und zeige Verständnis. Ich bin die "Sub" in meinem eigenen Leben. In Summe führt das zu einem wenig überraschenden Ergebnis: Meine eigenen Bedürfnisse werden oft überrollt. Die anderen kennen sie mitunter nicht einmal.
Kann eine Domina mir den People Pleaser austreiben?
Aurora glaubt schon. Sie sei selbst früher des Öfteren unsicher gewesen, erst mit dem Job habe sich ein Schalter umgelegt: "Täglich liegen mir Männer zu Füßen. Wörtlich! Ich werde mit 'Herrin' oder 'Göttin' angesprochen. Dieses Gefühl der absoluten Wertschätzung sollten mehr Frauen erleben."
Online-Kurs für Frauen, die mehr Selbstbewusstsein wollen
Der Online-Kurs, den ich mache, ist der einzige ohne sexuellen Content, den Aurora anbietet. Sie hat die Mistress Academy ins Leben gerufen, über die sie Workshops, Online-Kurse und Coachings anbietet. Zum Beispiel für Frauen, die BDSM ausprobieren wollen, aber nicht wissen, wie (Aurora: "Viele sagen, wie kann ich den Mann, den ich liebe, am Abend demütigen?!") oder Frauen, die als professionelle Dominas arbeiten wollen.

Das Zimmer für Doktorspiele der anderen Art . Bild: watson.de / Julia Dombrowsky
Mein Kurs hingegen soll helfen, selbstsicherer zu werden. Ich klicke mich wochenlang durch die App. Aurora teilt ihre Erfahrungen in Videos, Tipps in Sachen Mindset und Aufgaben zur Selbstreflexion.
Zum Beispiel soll ich mich fragen:
- Wann bist du motiviert, entschlossen, aktiv?
- Kannst du "Nein" sagen? Wann? Wann nicht?
- Was würde der Mensch, der ich sein möchte, jetzt tun?
Aurora rät, sich das Leben der Frau, die ich sein will, jeden Tag vor dem Einschlafen auszumalen. Ganz konkret. "Ich war schon immer so" sei ein "Bullshit-Satz". Raus aus der Opferrolle, rein in die Verantwortung. Vielleicht warst du früher schüchtern oder faul. Aber wer du heute bist, sei deine Entscheidung:
"Meckere nicht. Lästere nicht. Ändere die Dinge und mach es besser! Oder – akzeptiere sie."
Als Coach ist eine Domina in jedem Fall erfrischender als die üblichen Berufs-Erleuchteten. "Scheiß einfach drauf!", sagt Aurora gerne. Du fühlst dich fett? Scheiß einfach drauf.
Statt zwischen Klangschalen nimmt sie ihre Videos vor dem "Gynstuhl" in einem ihrer Playrooms auf. Nasenring statt Rosenquarz, Latex statt Leinenhose. Sie weiß offenbar, wovon sie spricht. Aurora selbst sagt:
"Ich bin keine 24-7-Domse, begegne Menschen auf Augenhöhe. Ich habe meine weichen Seiten, aber ich weiß auch, was ich will und stehe dafür ein."
Das war nicht immer so. Früher arbeitete Aurora als Marketing-Managerin für eine Krankenkasse. Der Bürotrott und das Durchschnittsgehalt waren ihr zu wenig. Sie blieb trotzdem. "Es fühlte sich an wie verschwendete Lebenszeit", gibt sie zu, "aber ich hatte diese fixe Idee, dass so ein Job sicher ist und schließlich hatte ich dafür studiert."
Dominante Körperhaltung wirkt sich auf das Selbstbewusstsein aus
Nebenbei beginnt sie heimlich als Domina zu arbeiten. Eine "Schnapsidee", die ihr durch eine Freundin kam, die Escort war. "Ich wusste nichts darüber", gibt Aurora zu, "außer, dass Dominas keinen Sex anbieten. Dominas sind unberührbar. Das war für mich ausschlaggebend."

Spiegel oben und Käfig unten: das ist mal ein Bettkasten mit viel Stauraum. Bild: watson.de / Julia Dombrowsky
Stück für Stück lernt sie zu fordern, zu befehlen. Als ein "Arbeitskollege mit gewissen Neigungen" sie erkennt, schwärzt er sie an. Es gab Personalgespräche und man einigte sich auf einen Aufhebungsvertrag. In kürzester Zeit wusste das ganze Unternehmen von ihrem Nebenjob. Doch Aurora geht erhobenen Hauptes zurück:
"Ich bin durchs gesamte Gebäude gegangen, an jedem Kollegen vorbei – es gab eine interne Regel, dass man sich grüßen muss – so habe ich alle gezwungen, mir nach der Offenbarung meines Nebenjobs in die Augen zu schauen."
Dominanz zu zeigen, gerade in einschüchternden Momenten, sei Übungssache, glaubt Aurora. "Ich rate den Frauen: Brust raus, Schultern zurück, Blickkontakt. Man kann durch Haltung Selbstsicherheit vermitteln. Reine Schauspielerei – die irgendwann nach innen wirkt".
Ich halte mich diese Wochen daran. Vor der nörgelnden Kita-Erzieherin ("Ihre Kinder gehören zu den letzten, die abgeholt werden") richte ich mich zur vollen Größe auf, schaue ihr direkt in die Augen. Vor allem widerstehe ich dem Impuls, mich zu entschuldigen.
Auch als mich ein Autofahrer an der Kreuzung anpöbelt. Oder meine Schwiegermutter jammert, man würde sich zu selten sehen. Mein neuer Glaubenssatz lautet: Ich bin nicht die Bedürfnis-Erfüllerin aller anderen.
Den eigenen Selbstwert erkennen
Stattdessen lächle ich mich nun nach dem Händewaschen im Spiegel selbst an, manchmal gebe ich mir sogar ein Kompliment – eine Kurs-Übung, die sich zuerst total peinlich anfühlt, bald aber angenehm.
"Hör' auf, deine Zeit damit zu verplempern, über deine Cellulite nachzudenken."
Aurora Nia Noxx
Den eigenen Körper wertzuschätzen, sei entscheidend, findet Aurora: "Ich will, dass jede Frau sich begehrenswert fühlt." Dafür soll ich mich vor den Spiegel stellen und nur meine liebsten Körperteile betrachten. "Hör' auf, deine Zeit damit zu verplempern, über deine Cellulite nachzudenken und feiere lieber deine vollen Haare", gibt Aurora ein Beispiel.
Im BDSM gäbe es für jeden Körper einen Markt. Und noch etwas würde man in dieser Welt lernen, sagt die Domina: "Zu überlegen, was ich gut finde und wo meine Grenzen sind." Das zu wissen, sei ein entscheidender Punkt in allen Spielarten der Unterwerfung. Aber eben auch für ein selbstbewusstes Leben.
Wie eine Domina mir half, selbstbewusster zu sein
Zusammengefasst geht es darum, Zweifel und Hilflosigkeit über Bord zu werfen und stattdessen ein wohlwollendes, aktives Selbstbild zu entwickeln. Sich selbst ernst zu nehmen.
Mein Kopf versteht alles. Mein Herz bleibt verunsichert. Ist es nicht eitel, sich schön zu finden? Unverschämt, mehr Geld zu wollen? Egoistisch, ein Familientreffen abzusagen? Ich tue mich extrem schwer damit, alte Glaubenssätze zu brechen.
Normal, tröstet Aurora. Rund 66 Tage bräuchten Menschen, um Neues zu verinnerlichen – bis dahin rät sie zu Post-Its mit Affirmationen, die man bei sich trägt, falls alte Muster einsetzen.
Auf meinem steht nicht einmal etwas Dominantes, keine Forderung. Nur ein kleiner Satz: "Meine Bedürfnisse sind ebenso wichtig wie die der anderen." Schade, dass mir das erst eine Domina erklären muss.