Stell dir vor, du hast ein Tinder-Date, es läuft so medium bis schlecht, du hakst es ab und bekommst – wohlgemerkt ungefragt – Monate später Tipps, was du hättest besser machen können.
Diese Geschichte von Kimberley aus England geht gerade viral. In einem Interview mit Ladbible sprach sie im Detail über die Nachricht eines Mannes, von dem sie eigentlich nie wieder etwas hatte hören wollen.
"Ich denke, du hättest unser Treffen besser machen können, wenn du dich so kleiden würdest, dass ich mich nicht dafür schäme, mit dir gesehen zu werden." So reizend liest sich die Message des aktuell wohl unsympathischsten Single-Mannes. Außerdem, so merkte er an, solle sich die junge Frau ihre Haare färben und Extensions tragen, die Lippen aufspritzen sowie etwa sechs Kilo abnehmen. Unglaublich, oder? Dachten wir auch zuerst.
Aber auch, wenn die Meinungen über den Wahrheitsgehalt dieser Tinder-Horrorstory in der watson-Redaktion auseinandergingen, muss ich leider sagen, dass ich Kimberley glaube – denn Ähnliches ist mir auch schon passiert, und das mehrfach. Okay, ein bisschen anders sind meine Erfahrungen schon. Okay, extrem anders. Ich wurde weder für mein Aussehen kritisiert noch beleidigt, doch ähnlich tolle "Vorschläge" hatten auch meine Ex-Dates schon.
Ähm, danke für das tolle Feedback, das könnt ihr gern ausformuliert in den Kummerkasten vor meiner WG werfen. Nee! Einfach nee!
Auch dieses Nicht-locker-lassen, dem Kimberley nach ihrem Date ausgesetzt war, kenne ich. Selten löst man das Match auf, da muss das Treffen schon wirklich desaströs gewesen sein. Das ist einfach Tinder-Etikette. Aber das bedeutet eben auch, dass man weiterhin von allen Verflossenen kontaktiert werden kann. Schlimmer noch: Man hat bereits Nummern oder Social-Media-Handles ausgetauscht! Kimberley und mir wurde genau das zum Verhängnis.
In meinem Fall für ein weiteres Treffen, obwohl ich mich klar und deutlich mit "Danke für den Abend, leider hatte ich nicht das Gefühl, dass es zwischen uns passt" und "Viel Glück noch" verabschiedet hatte. Gut, vielleicht hat er mir auch nicht zugehört, das war ein generelles Problem. Aber von vorn:
Wir verabredeten uns in meiner Nähe. Ich ahnte nämlich schon durch unseren recht stockenden Chat, dass ich an diesem Abend nicht unbedingt den Mann meiner Träume treffen würde. Nennt es weibliche Intuition, nennt es Erfahrung, nennt es, was ihr wollt – Fakt ist, ich sollte Recht behalten. Er redete von Minute eins an wie ein Wasserfall und unterbrach jeden Versuch meinerseits, etwas zum Gespräch beizutragen. Alle, die mich kennen, wissen, wie schwer es sein kann, bei mir überhaupt zu Wort zu kommen.
Er sei Tontechniker. Ein Berufsfeld, von dem ich herzlich wenig verstehe, über das ich mich aber gern informieren lasse. Für 10 Minuten – nicht eine Stunde lang. Ohne Punkt und Komma. Ohne auch nur einen Schluck von dem halben Liter Schwarzbier zu nippen, den er sich bestellt hatte. Mein kleines Alster war so schnell dahin wie meine Lust auf das Gespräch. Trotzdem hörte ich zu (oder tat zumindest so), nickte und lächelte. Es kamen keine Fragen zu meinen Interessen, stattdessen überkam mich eine ganze Flut an technischen Details, Infos zu den besten Studios Berlins und Monologe über toll gemischte Live-Auftritte von Bands, von denen ich noch nie etwas gehört hatte und das auch sagte: "Also, ich gehe bald zum Beyoncé- und Jay-Z-Konzert." Stille.
Er wollte noch weiterziehen. Ich erklärte ihm ehrlich, aber gleichzeitig freundlich, dass der Vibe für mich nicht passte und wünschte ihm, wie bereits erwähnt, noch viel Glück im Berliner Single-Dschungel. Erstmal nichts Ungewöhnliches, schlechte Dates gibt es häufiger als gute. Manchmal passt es einfach nicht, jeder kennt das und mit den individuellen Menschen persönlich hat das rein gar nichts zu tun. So ist zumindest meine vielleicht auch abgebrühte Sicht auf das neue Normal der Liebe. Ich dachte, das war's.
Ihr spürt mein Desinteresse, Tinder merkt es wahrscheinlich selbst, nur er checkt es mal so gar nicht. Ich möchte nichts essen gehen und schreibe das auch. Die Streitgespräche zwischendrin erspare ich euch jetzt mal. Ich hätte mich "unwohl" gefühlt, schrieb ich, was auch stimmt.
Ich kann gar nicht richtig folgen. Alles, was ich hier raushöre, ist, dass er vorschlägt, sich noch einmal zu treffen und anders zu kommunizieren. Dabei hatte ich die Kommunikation schon lange komplett eingestellt. Locker gelassen hat der Herr jedoch nicht. Monologe dieser Art bekam ich noch bis kurz vor den Feiertagen.
Ciao is right, Alter. Aber beim erneuten Durchlesen dieser Relikte aus alten Tagen merke ich: Vergleichbar mit Kimberleys Situation ist meine kaum, irgendwie hatte ich das alles schlimmer in Erinnerung. Klar kann es nerven, wenn dich jemand nicht in Ruhe lässt. Und klar ist es ein Unding, von jemandem kritisiert oder gar zu beleidigt zu werden, aber wer sich ins Getümmel einer Dating-App stürzt, darf und sollte die ganze Bandbreite an Emotionen erwarten.
Und am Ende muss ich zugeben, auch einmal auf der anderen Seite gestanden und Ratschläge vergeben zu haben an Menschen, denen meine Meinung zu ihnen mal so richtig egal war. Und ja, der Vollständigkeit halber und damit sich mein Karma wieder einpendelt, gebe ich ein Beispiel. Hier war ich der Trottel, der nicht mit Zurückweisung umgehen konnte.
Und so bekam ich, wohlgemerkt nur wenige Tage nach obigem Austausch, in Form meines Monolog-Dates die Packung für meine pissige Nachricht. Vielleicht war Kimberley vorher auch nicht besonders nett zu einem anderen ihrer Matches? Ich möchte ihr hier nichts unterstellen, denn das Verhalten des Mannes in ihrer Tinder-Horrorstory hat niemand verdient – ich meine nur, dass das Konzept von Yin und Yang auch bei Tinder existiert. Okay, ciao!