Ein strenger Geruch liegt in der Luft, während die Sonne Schatten in Rastermuster über fein abgesteckte Landschaften wandern lässt. Wache Augen suchen durch ein Gitter angestrengt nach einer Bewegung. Im Hintergrund vermischen sich schrille Kinderstimmen mit animalischen Rufen.
Ah, endlich doch noch zwischen all den Tarnfarben ein fremdes Etwas entdeckt. Schnell ein Foto und weiter geht das Abenteuer – ein Besuch in einem Zoo ist ein aufregendes Erlebnis der schönsten Art, doch ist es das auch für die niedlichen bis majestätischen Protagonisten hinter dem Gitter oder der Scheibe?
Für Aufregung sorgt aktuell ein Fall aus Bayern: Der Tiergarten Nürnberg sucht seit mehr als einem Jahr ein neues zu Hause für mehrere Guinea-Paviane. Von ihnen gibt es derzeit 45 Stück in dem Nürnberger Zoo, während das Gehege gerade einmal für 25 Paviane konzipiert war. Notfalls müssten überzählige Affen der Population getötet werden.
Das kommunizierte der Tiergarten bereits Anfang 2024. Ein großer Aufschrei folgte, der bis heute anhält – denn an der Situation hat sich nichts geändert.
Wie konnte es so weit kommen? Und wie können Zoos ihrem Anspruch gerecht werden? Watson hat dazu mit dem Deutschen Tierschutzbund gesprochen und auch beim Tiergarten selbst nachgefragt.
"Da sich derzeit kein Platz für Guinea-Paviane findet, steht die Tötung nach wie vor im Raum", hieß es vonseiten des Zoos aus schon Mitte Juni. Unter anderem, weil es zwischen den Affen aufgrund der Platzverhältnisse verstärkt zu Konflikten kommt – bei denen sich die Tiere verletzen.
Dass Zoos aus Artenschutzgründen gewisse Tierarten auch durch Tötungen "managen", ist geläufig. An dieser Praxis äußerten Tierschützer:innen schon oft Kritik – und die Tötung von Primaten ist nochmal außergewöhnlicher.
Von einem "menschengemachten Dilemma" beim Artenschutz sprach Dag Encke, Direktor des Tiergarten Nürnberg. "Die Hauptverantwortung liegt beim Tiergarten", erklärt Biologin Paulina Kuhn vom Tierschutzbund gegenüber watson.
Zwar lobt Kuhn den Tiergarten für seine Transparenz im Fall der Paviane und unterstellt den Verantwortlichen keinerlei böse Absichten – jedoch schlechte Planung:
Das Paviangehege ist 2009 erweitert worden, 2011 hat der Zoo auch eine Tierschutzkommission ins Leben gerufen. Diese hat im Fall der Paviane, wie der Tiergarten Nürnberg gegenüber watson beteuert, "alle Möglichkeiten geprüft und Maßnahmen ergriffen, um die Gruppengröße und das Wachstum der Gruppe zu reduzieren".
So seien geeignete Einrichtungen gesucht worden, welche dem Zoo einzelne Paviane abnehmen können. Dennoch hätten seit 2011 lediglich zwei Zoos 16 der Tiere in ihren Bestand übernommen. Weitere Abgabemöglichkeiten hätten sich in den vergangenen Jahren "trotz verschiedener Versuche" nicht ergeben.
Der Tiergarten Nürnberg habe auch versucht, die Gruppengröße der Guinea-Paviane durch Verhütung zu verkleinern – ohne Erfolg. Die Weibchen seien "dauerhaft unfruchtbar" geblieben, bei den Männchen ergäben einzelne Sterilisationen wenig Sinn, da ein Männchen allein alle Weibchen befruchten könne.
Eine erneute Erweiterung des Geheges im Laufe der vergangenen Jahre wäre "nicht sinnvoll" gewesen, weil sie das Problem lediglich "vertagt" hätte, heißt es vom Tiergarten. Stattdessen würde bei einer stetigen Gehegeerweiterung anderen Arten, "für die wir die gleiche Verantwortung des Populationserhaltes haben wie für die Guinea-Paviane", der Platz weggenommen.
Dennoch sei laut Tierschutzbund-Referentin Kuhn beim Zoo und in der Kommission "nie konstruktiv" daran gearbeitet worden, das Problem der steigenden Pavian-Population zu lösen.
Während der Zoo darauf verweist, dass sich die Zucht "nur bis zu einem gewissen Grad exakt planen" lässt, argumentiert Kuhn, dass die 80-prozentige Überbelegung im Paviangehege "nicht von heute auf morgen entstanden" sei.
"Für uns steht fest: Diese Tötung kann verhindert werden", fasst die Biologin zusammen. Außerdem sei nicht zu erkennen, dass der Tiergarten gewillt sei, an seinem Zucht-Vorgehen etwas zu ändern – auch wenn die Paviane getötet werden sollten.
Bei der Züchtung bedrohter Arten sei die Gewährleistung einer artgerechten Haltung zu beachten, erklärt Kuhn. Basierend darauf müsse geklärt werden, mit welchem Ziel die Population gezüchtet werde.
Tierschützer:innen wie Kuhn kritisieren, dass unter dem Deckmantel des Artenschutzes häufig Populationen erhalten und dafür die Tötung individueller Tiere in Kauf genommen wird. Für den Tierschutzbund stehe hingegen fest, dass das "individuelle Wohlbefinden" jedes Tieres zähle.
Der Zoo verteidigt sich. Zum gesetzlichen Auftrag des Artenschutzes in Zoos gehöre im äußersten Fall auch, "für das Populationsmanagement zu töten". Für den Tierschutzbund ist jedoch diskussionswürdig, was man unter "Artenschutz" versteht, erklärt Kuhn.
Sie unterscheidet zwischen "tatsächlichem Artenschutz, also dem Erhalt von Arten im Zusammenhang mit ihren natürlichen Lebensräumen und den ökologischen Funktionen" und "reiner Arterhaltung". Zoos würden sich meist auf Letzteres konzentrieren. Es werde eine bestimmte Population herangezüchtet – mit dem vagen Ziel, die Tiere eventuell irgendwann auszuwildern.
Häufig fehle dabei ein konkretes Konzept, um der Art und den Tieren wirklich zu helfen – in Zoos würden Tiere etwa nicht immer die Verhaltensweisen entwickeln, die sie in freier Wildbahn bräuchten. "Die reine Arterhaltung führt dann dazu, dass die Tiere zu lebenden Museumsstücken verkommen", bringt Kuhn es auf den Punkt.
Der Tiergarten Nürnberg schreibt auf seiner Website, dass es derzeit für die Guinea-Paviane keine Auswilderungsprojekte gebe und diese auch nicht geplant seien, weil es in den Herkunftsgebieten keine geeigneten Areale gebe.
Auch Kuhn erklärt, dass bei einer Wiederauswilderung ein geeigneter Lebensraum gefunden werden müsse, unter Berücksichtigung der "Gefährdung durch Jagd" sowie der Überlebensfähigkeit der im Zoo gezüchteten Tiere.
Das Ziel echten Artenschutzes müsse "klar sein: Erhaltung mit Blick auf eine mögliche Auswilderung". Dies würde "ohne klare Auswilderungspläne" jedoch nicht klappen.
Doch der Zoo betont gegenüber watson auch, die Erhaltung von Arten, "die derzeit gar nicht ausgewildert werden können", dürfe mit diesem Argument nicht unterlassen werden. Dies "käme einer Aufgabe gleich" – und aufgeben will der Zoo nicht.
Reservepopulationen in Zoos und Zuchtstationen seien wichtig, um eine Auslöschung von Arten zu verhindern. Dies sehe man am Beispiel der seltenen Visayas-Pustelschweine und Hirscheber, deren kleiner Wildbestand aufgrund einer Schweinepest "in kürzester Zeit" und in großen Teilen "dahingerafft" sei.
Der Tierschutzbund ist grundsätzlich nicht gegen Zoos. Allerdings müsse gewährleistet sein, dass die Tiere frei von "Leiden und Schaden" sowie verhaltensgerecht gehalten werden, meint Kuhn. Bei vielen Arten wie Menschenaffen, Delfinen oder Eisbären sei das fast gar nicht zu erfüllen, weshalb auf ihre Haltung verzichtet werden solle.
Dennoch: "Es gibt Arten, die sich in Zoos grundsätzlich halten lassen, wenn man auf ihre arteigenen Bedürfnisse achtet."
(mit Material der dpa)