Im Jahr 2023 nahm die Klimakrise ordentlich an Fahrt auf: Weltweit überschlugen sich die Krisen – und ebbten auch im Laufe des Jahres nicht ab: Überschwemmungen. Dürre. Waldbrände. Tornados. Hitze. Tod. Schmelzende Gletscher. Steigende Meeresspiegel.
Die Liste der Katastrophen, angestoßen durch die Erderhitzung, ist schier endlos lang.
Welches die größten Klimakatastrophen, Gesetzesdurchbrüche, Rück- und Fortschritte waren, hat watson für euch recherchiert. Hier kommt der Jahresrückblick durch die Brille der Klimakrise.
Das Jahr startet mit großen Klimaprotesten, denn die Baggerarbeiten in Lützerath sollen beginnen. Um das zu verhindern, hatten Klimaaktivist:innen das Dorf besetzt. Ihr Ziel: Lützerath – und die darunterliegende Kohle – zu erhalten. Verbrenne man sie, könne man die Klimaziele nicht einhalten. Studien legen zudem nahe, dass man die Kohle für die Energiesicherheit nicht benötige.
Die Landesregierung von NRW sieht das anders. Mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Energiekonzern RWE hatten sie sich darauf geeinigt, den Kohleausstieg in NRW auf 2030 vorzuziehen, dafür aber kurzfristig größere Mengen Braunkohle zu fördern.
Sechs lange Tage war es ein Kampf zwischen David und Goliath, Aktivist:innen und Polizei, Politik, RWE. Die Aktivist:innen verlieren – Lützerath wird abgerissen.
Am 6. Februar gibt die australische Wetteragentur einem Tiefdruckgebiet den Namen "Freddy". Noch am selben Tag entwickelte sich daraus ein tropischer Wirbelsturm, ein Zyklon.
Rund zwei Wochen später hat er den Indischen Ozean überquert – rund 8000 Kilometer. Am 24. Februar trifft er in Mosambik auf das afrikanische Festland, dreht ab – wird noch einmal stärker – und kommt zurück. Es ist ein Monster von Sturm, wie es ihn im Südosten Afrikas noch nicht gegeben hat.
Am 11. März fegt er ein zweites Mal über Mosambik hinweg, einen Tag später über Malawi – und hinterlässt ein Bild der Zerstörung. Erst nach über einem Monat löst er sich auf. Noch nie hat sich ein tropischer Wirbelsturm so lange angehalten. Über 1000 Menschen sind gestorben.
Deutlich wie nie zuvor hat der Weltklimarat mit der Veröffentlichung seines Berichts vor der Klimakrise gewarnt und drastische Maßnahmen gefordert, um den CO2-Ausstoß zu verringern.
Die 1,5-Grad-Grenze werde bereits im nächsten Jahrzehnt überschritten. UN-Generalsekretär António Guterres warnte davor, dass die Klima-Zeitbombe ticke, der IPCC-Bericht aber ein "Überlebensleitfaden für die Menschheit" sei.
In den Medien dominieren nicht mehr Fridays for Future die Berichterstattung rund um die Klimakrise, sondern vor allem die Letzte Generation. Sie blockieren Straßen, indem sie sich auf ihnen festkleben, oder beschmieren Gegenstände und Gebäude.
Im Laufe des Jahres schaukeln sich die Protestaktionen, aber auch der Umgang mit den Aktivist:innen, immer weiter hoch: Polizist:innen werden gröber, Passant:innen treten, bespucken oder schlagen die Aktivist:innen. Selbst die Frage, ob es sich bei den Aktivist:innen um eine kriminelle Vereinigung handele, kommt auf. Statt Geldstrafen gibt es immer häufiger Gefängnisstrafen – mehrfach ohne Bewährung.
In Deutschland ermitteln zwei Staatsanwaltschaften gegen die Letzte Generation – wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Gleich zweimal gibt es größere Razzien.
Erst blieben die Niederschläge wochenlang aus – Italien ächzte unter Hitze, Trockenheit und Wassermangel. Dann plötzlich kam innerhalb von 36 Stunden die Regenmenge von sechs Monaten herunter. Das Ausmaß der Verwüstung sei mit einem Erdbeben vergleichbar, erklärte der Präsident der betroffenen Region Emilia-Romagna, Stefan Bonaccini. Zahlreiche Städte und Gemeinden wurden überflutet, 14 Menschen starben.
Nach einem monatelangen Streit hat sich die Ampel-Regierung auf neue Vorgaben für Heizungsanlagen geeinigt. Grundsätzlich wird an dem Ziel festgehalten, dass neu eingebaute Heizungen künftig zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen.
Allerdings gelten Klimaschutzvorgaben auf Druck der FDP erst viel später als ursprünglich gedacht. Das Erreichen der Klimaschutzziele rückt damit in weite Ferne, wie Umweltverbände kritisieren.
Am 8. September wurde das Gesetz im Bundestag beschlossen, am 1. Januar 2024 tritt es in Kraft.
Nach mehreren Tagen mit Temperaturen über 40 Grad tobten unter anderem auf Rhodos heftige Waldbrände, 15.000 Hektar wurden zerstört.
Über 20.000 Menschen mussten mit Booten evakuiert werden, darunter auch zahlreiche Tourist:innen.
Die ersten drei Juli-Wochen waren global betrachtet zudem der heißeste je untersuchte Drei-Wochen-Zeitraum, wie eine Untersuchung am Karlsruher Institut für Technologie ergab: In Portugal wurden 44,5 Grad gemessen, in Spanien 45, in Italien gar 48,2 Grad.
Am 6. August fällt im italienischen Tricesimo so viel Hagel, dass sich eine 30 Zentimeter dicke Eisschicht bildet. Erst zwei Tage vorher musste bereits in Reutlingen der Winterdienst ausrücken.
Sturm "Daniel" hat die Küste des Bürgerkriegslandes Libyen am 10. September schwer verwüstet. Heftiger Regen führte zu Überschwemmungen im Nordosten des Landes. Über 11.000 Menschen sind gestorben, mehr als 30.000 sind obdachlos geworden.
Aber auch in Griechenland, der Türkei, Bulgarien, Brasilien, Hongkong, Spanien, Vietnam und Las Vegas kam es zu schweren Überschwemmungen, die für Tod und Zerstörung sorgten.
Bislang legte das Klimaschutzgesetz fest, wie viele Treibhausgase in einzelnen Sektoren wie Industrie, Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft eingespart werden müssen. Werden die Ziele verfehlt, müssen die zuständigen Ministerien Sofortmaßnahmen vorlegen, um die Ziele doch noch zu erreichen. Bis 2030 will Deutschland seinen CO2-Ausstoß so um 65 Prozent gegenüber 1990 verringern.
Doch damit ist jetzt Schluss: Stattdessen wird der jährliche Gesamtausstoß an CO2-Emissionen in Deutschland begutachtet. Das bedeutet, dass verfehlte Ziele im Verkehr etwa mit Zusatzeinsparungen im Industriesektor ausgeglichen werden können. Auch Sofortprogramme braucht es nicht mehr.
Das vom Bundeskabinett gebilligte Klimaschutzprogramm soll die deutschen Emissionen wieder auf Kurs bringen. Der Haken: Selbst so wird das Ziel noch um mindestens 200 Millionen Tonnen CO2 gerissen, der Expertenrat für Klimafragen geht gar von einer noch größeren Summe aus.
Das Klimaschutzprogramm ist der operative Teil des Klimaschutzgesetzes, das die rechtlich verbindlichen Klimaziele festschreibt. Demnach muss Deutschland ab 2045 klimaneutral wirtschaften.
Nach einer Analyse des EU-Klimanwandeldienstes Copernicus war 2023 das wärmste seit 125.000 Jahren. Zuvor hatte das US-amerikanische Info-Portal Climate Central für den Zeitraum November 2022 bis Oktober 2023 bereits von den wärmsten zwölf aufeinanderfolgenden Monaten seit 125.000 Jahren gesprochen.
Als eine Ursache für das heiße Jahr gelten laut dem Weltklimarat IPCC und Copernicus die anhaltend hohen CO2-Emissionen, die 2022 ein Rekordhoch erreichten. Das Wetterphänomen "El Niño" hat ebenfalls dazu beigetragen, da es etwa das Oberflächenwasser im östlichen Pazifik erwärmt.
Von Ende November bis Mitte Dezember fand in Dubai die Weltklimakonferenz COP28 statt – mit "historischen", wenn auch nicht ausreichendem Ergebnis: Erstmals rief die Weltgemeinschaft bei einer UN-Klimakonferenz zur Abkehr von fossilen Brennstoffen auf. Der zuvor von über 100 Staaten geforderte Ausstieg blieb leider aus.
Außerdem soll etwa die Kapazität der Erneuerbaren bis 2030 verdreifacht werden, das Tempo bei der Energieeffizienz soll sich in diesem Zeitraum verdoppeln.
Was ebenfalls bleibt: jede Menge Schlupflöcher. Das 1,5-Grad-Ziel, das betonen Wissenschaftler:innen weltweit, lässt sich so jedenfalls nicht erreichen.